Lass wachsen

Mal lang, mal kurz, mal glatt, mal kraus und hin und wieder an ungeliebten Stellen: Haare sind in Teil von uns und unendlich vielfältig. Das zeigt auch die Fotoarbeit von Hannah Pieper

Foto: Hannah Pieper

Wenn man Hannah Piepers Fotoarbeit betrachtet, sticht einem sofort das Bild mit den kupferfarbenen Haaren ins Auge. Wie fließendes Gold wirken sie, ein wenig surreal und sehr, sehr schön. Doch wie ist es entstanden? Kurz meint man, die Haare seien einfach vornüber gekämmt, doch was darunter liegt, sieht nicht wie ein Gesicht aus.

Darauf angesprochen lacht Pieper durch den Handylautsprecher. Nein, auf dem Bild sei nicht bloß eine Langhaarmähne zu sehen. „In diesem Fall gingen die Haare wirklich von Kopf bis Fuß.“ Für die Aufnahme habe Pieper, die einst im Modebereich gearbeitet hat, sie über den gesamten Körper ihrer Besitzerin drapiert, was ihnen das Aussehen eines extravaganten Umhangs verleiht.

0,08 Millimeter ist der durchschnittliche Durchmesser eines Kopfhaares, nach ihm hat Hannah Pieper ihre Fotoserie benannt. Sie ist der Abschluss ihrer Ausbildung an der renommierten Ostkreuzschule in Berlin. Eine Faszination für Haare habe sie schon immer gehabt, sagt Pieper. Die Lieblingsgeschichten ihrer Kindheit seien Märchen wie „Rapunzel“ gewesen, und auch in ihren eigenen Haaren sah sie etwas Magisches – wenn sie ihr abgeschnitten wurden, habe sie sogar zu weinen begonnen. Die Haare zu verlieren, war für Pieper so, wie einen Teil ihrer Identität gestohlen zu bekommen, auch wenn sie das als Kind natürlich so nicht in Worte fassen konnte.

Seitdem sie selbst über ihr Aussehen entscheiden kann, verändere sie ihre Haare hingegen gerne, erzählt Pieper. Momentan trage sie einen blondierten Bob. Andere glätten ihre Locken oder wellen ihre glatten Haare oder lassen sich – wie die junge Frau auf dem Foto oben links auf dieser Seite – in darauf spezialisierten Afro-Shops Cornrows in die Haare flechten.

Die Bedeutung des Haares ist immens. Die Kopfrasur wurde im Laufe der Geschichte immer wieder als Strafe eingesetzt, und heute geben Menschen Hunderte bis Tausende Euros für Echthaarverlängerungen oder Eigenhaartransplantationen aus. Volles Haupthaar gilt sowohl bei Frauen als auch bei Männern als attraktiv, wohingegen die Meinungen bei Körperbehaarung auseinandergehen.

„Schon die alten Ägypter haben sich die Körperhaare entfernt“, erzählt Hannah Pieper. Dazu verwendeten sie eine Paste aus Zucker, so wie es bis heute im arabischen Raum üblich ist. Anderswo greift man eher zu Wachs oder setzt den Rasierer ein. Wie viele Frauen hatte auch Pieper lange ein Problem mit ihren eigenen Körperhaaren. Vor allem die Haare auf ihren Unterarmen hätten ihr zu schaffen gemacht. „Ich habe mich damit einfach nicht weiblich genug gefühlt“, sagt sie. Heute hingegen stehe sie dazu, genau wie die Frau in der lila Strumpfhose auf dem Foto über diesem Text.

Während die Zurschaustellung weiblicher Körperbehaarung früher als mutig galt, etwa bei Grace Jones oder Julia Roberts, gehört sie heute in progressiven Kreisen schon fast zum guten Ton. Die Mehrheit reißt sich nach wie vor fast alle Haare heraus. Schade eigentlich. Immerhin verstärken sie Berührungen, schützen vor Infektionen und machen uns einzigartig.Anna Fastabend

Foto: Hannah Pieper

Foto: Hannah Pieper

Foto: Hannah Pieper

Foto: Hannah Pieper

Foto: Hannah Pieper

Foto: Hannah Pieper

Foto: Hannah Pieper