„Projektionsfläche für Linke“

ANTISEMITISMUS Die Reihe „The Voices of Germany“ kritisiert bis Juni Antisemitismus von links

taz: Warum jetzt eine Reihe zur Kritik des Antisemitismus von links, Frau Kracht?

Merle Kracht: Eine Auseinandersetzung mit diesem Thema wird nach wie vor von großen Teilen der linken Szene gemieden. Viele reagieren reflexartig nach dem Motto: „Haben wir schon mal drüber gesprochen, gibt es bei uns nicht“. Dass Antisemitismus auch in linken Zusammenhängen existiert, hat sich in der Vergangenheit leider immer wieder gezeigt.

Ist der Antisemitismus in der Linken nicht der Gleiche wie in der gesamten Gesellschaft?

Die linke Szene tut sich bei der Reflexion des eigenen Antisemitismus besonders schwer. Sicher hängt die Verweigerung auch damit zusammen, dass eine konsequente Kritik des Antisemitismus linke Gewissheiten infragestellt. Eine bestimmte Kapitalismuskritik ist oft mit antisemitischen Ressentiments verwoben, beispielsweise in der Tradition linker Analysen der Weimarer KPD, in denen oft Juden und Jüdinnen als Schuldige für die Existenz des Kapitalismus ausgemacht wurden.

Gibt es in Hamburg Debatten um antisemitische Untertöne bei Kritik an Israel?

Diese Debatten gibt es seit längerem. Leider ist es so, dass immer wieder die gleichen Personen und Gruppen darauf hinweisen müssen, dass sich hinter einer vermeintlichen Kritik am Staat Israel in den allermeisten Fällen antisemitische Ressentiments verbergen. Vor diesem Hintergrund wird es einen Vortrag von Alex Feuerherdt geben, der sich mit der Funktion Israels als Projektionsfläche für die deutsche Linke beschäftigen wird.

Was meint: „Besser allein als in schlechter Gesellschaft“?

Der Titel der Podiumsdiskussion steht für ein Problem in unserer politischen Praxis. Wir können auf diverse Versuche der Kritik des Antisemitismus von Links seit Anfang der Neunzigerjahre zurückblicken. Irgendwann ist da die Frage angebracht, ob es nicht an der Zeit ist, den Vorwurf der Spaltung positiv zu besetzen und damit aufzuhören, sich an dieser Szene abzuarbeiten.

INTERVIEW: GASTON KIRSCHE

■ Auftakt am Mi, 10. 4., 19.30 Uhr, Rote Flora, Schulterblatt 71; weitere Termine bis Ende Juni, Infos und Programm: www.voicesofgermany.org