zwischen den rillen
: Roulette im Walzwerk

Berliner Orte, die es nicht mehr gibt: das Album „7 Stücke“ vom Ost-West-Quartett Kunstkopf

Kunstkopf: „7 Stücke“ (Edition Telemark/A-Musik)

„Wir waren Nonkonformisten zwischen Underground und experimenteller Musik“, erinnert sich Manfred Machlitt. Und Patrick Laschet sagt: „Wir wollten zeigen, dass elektroakustische Musik von Stromkreisen kommt, die anders geschlossen werden.“ Dirk Specht meint: „New Age war uns ein Gräuel, ausgestelltes Virtuosentum spielte keine Rolle.“ Die drei Musiker sprechen über das 1995 aus der Taufe gehobene Ost-West-Quartett Kunstkopf. Das vierte Bandmitglied war Taymur Streng (1962–2022).

Ihm ist das kürzlich erschienene, 1998 entstandene zweite Album der Band auch gewidmet. Der Komponist und Bibliothekar Streng kam aus der Punkszene Ostberlins, deren DDR-Erfahrung Hymnen der Absage generierte. Mitglied der Darkwaveband Neun Tage zu sein, mit der Bandplattform Ornament & Verbrechen in seinem Mahlsdorfer DIY-Studio aufzunehmen und am Ferienkurs für zeitgenössische Musik in Gera teilzunehmen, das schloss sich für Streng nicht aus. Manfred Machlitt arbeitete damals an der Akademie der Künste der DDR und hatte sich in bewusstem Kontrast früher schon in die Künstlerszene Prenzlauer Bergs begeben. Der westdeutsche Flügel von Kunstkopf war aus Aachen nach Berlin gekommen. Patrick Laschet und Dirk Specht hatten noch in Westdeutschland das Kassettenlabel Cafardage gegründet und bis 1992 eine Reihe limitierter Miniaturtapes mit ausgesuchten Beigaben wie einer Silberfischchen-Köderbox oder einem Büchlein, welches bei Nichtgefallen gesprengt werden konnte, herausgebracht.

Die neunziger Jahre, eine „Zeit, in der alles pulsierte“, wie sich Machlitt erinnert, machten es möglich, dass Laschet und Specht mit ihrer Band Vierzig Sekunden ohne Gewicht im Ostberliner Studio für Elektroakustische Musik ein Doppelalbum aufnehmen konnten. Gegründet hatte das Studio DDR-Komponist Georg Katzer, in dem er 1986 an der Akademie der Künste gegen kulturpolitische Engstirnigkeit erfolgreich einen Freiraum erstritten hatte.

Machlitt veranstaltete dort die Reihe „Kontakte“, ein Forum für elektronische Musik. Specht erinnert sich noch heute daran. Bereits dort kam es zu einer Begegnung mit Taymur Streng. Die Musik von Kunstkopf bezeugt einen verfremdenden Umgang mit Instrumentarium und Material. An einer Stelle klingt sie nach Roulette im Walzwerk; tatsächlich ist es eine kleine Stahlkugel, die sich in einer Metallschüssel auf den Saiten eines Bechstein-Flügels dreht.

Das Klavier war die Werkbank Hanns Eislers. Von dem österreichischen Komponisten der DDR-Nationalhymne war das Ins­trument über den Sänger und Spanienkämpfer Ernst Busch in den achtziger Jahren zu Machlitt gewandert. In den neunziger Jahren verwendete er es für Aufnahmen in seinem Heimstudio in der Jablonskistraße in Berlin-Prenzlauer Berg.

Die Geschichte von Kunstkopf ist auch die Geschichte von Berliner Orten und Räumen, die es so nicht mehr gibt. Kunstkopf spielten in provisorischen Undergroundclubs und besetzten Häusern wie der Galerie Mutzek in der Invalidenstraße, im Anorak in der Dunckerstraße, im Eimer und im Tacheles in Mitte oder in Fabrikräumen in Zwischennutzung wie den Reinbeckhallen. Was es auch gab, war der Hauptstadt-Musikwettbewerb Metrobeat, aus dem Kunstkopf als prämierte Newcomerband hervorgingen.

Album Nummer zwei ist das stringentere der beiden, meint Specht. An einer Stelle wagen Kunstkopf inmitten beherzter Geräuschhaftigkeit einen durchgehenden Beat, an anderer einen kantigen Funkrhythmus. Kunstkopf war eine Band, die sich gängigen Klassifikationen entzog. „Mittlerweile sind die Genregrenzen offen“, sagt Specht. Eine neues Werk aus dem Jahrzehnt der unerhörten Möglichkeiten will nachgehört werden. Robert Mießner