Sinn und Sicherheit

AUSBILDUNGSREIFE Unternehmen beklagen wie eh und je schulische und persönliche Qualitäten ihrer Bewerber. Die Gewerkschafts-Jugend kritisiert indes fehlende Kompetenz der Betriebe. Ein Seminar mit dem Ziel, das Verhältnis zwischen Ausbildern und Auszubildenden zu kitten, ist wegen des drohenden Fachkräftemangels gefragt

„Früher gab es noch richtige Ausbilder. Diese Kümmerer sind weggefallen“

Heike Gröpler, DGB-Jugend

VON NIELS HOLSTEN

„Bei 20 Prozent der Lehrlinge ist die Beherrschung der Rechtschreibung mangelhaft. Bei weiteren 17 Prozent kann von einer Sicherheit in der Rechtschreibung nicht die Rede sein. Das Ergebnis im Rechnen ist noch ungünstiger …“

Würde der heutige Leser nicht über das Wort „Lehrling“ stolpern, würde er das Zitat im Hier und Jetzt verordnen – das Wehklagen hört sich vertraut an. Tatsächlich stammt es aus dem Jahre 1965 und beschreibt das Ergebnis einer damaligen Untersuchung des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK).

Heute heißen Lehrlinge Auszubildende, doch die Kritik ist nahezu die gleiche geblieben: „Pünktlichkeit, Motivation und einfach eine nicht angemessene Einstellung zum Ausbildungsvertrag“ macht der Hauptgeschäftsführer des Unternehmensverband Kiel, Ingo Scheuse, für aufgekündigte Ausbildungsverhältnisse verantwortlich. Schlechte Schulbildung und Probleme mit Sekundärtugenden kurz: mangelnde Ausbildungsreife, wird den Jugendlichen gestern wie heute vorgeworfen. Die Unternehmen proklamieren sie als das zentrale Hemmnis, um mehr Ausbildungsplätze zu schaffen, beziehungsweise vorhandene besetzen zu können.

Ist das nur ein Generationenkonflikt? Das übliche Jammern der Alten am Tugendverfall der Jugend, ein Ablenken vom eigenen Versagen? Oder eine wirkliche Diskrepanz zwischen Leistungszustand und Anforderungsprofil? Die Ansprüche der Unternehmen seien falsch, sagt Heiko Gröpler, als Sekretär beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) Nord für die Jugend zuständig. „In anderen Kompetenzen sind die Jugendliche dafür besser geworden.“

So seien zum Beispiel PC- oder Englischkenntnisse stetig gestiegen, aber auch die Kommunikations- und Teamfähigkeit wird heute besser bewertet. Für ihn sei klar, dass hinzukommende Anforderungen „zu Lasten von anderen Kompetenzen“ gehen. Letztendlich müssten die Unternehmen damit umgehen.

Der Gewerkschaftler sieht das Problem eher im mangelnden Engagement der Unternehmen oder anders ausgedrückt, in der mangelnden Ausbildungsreife der Betriebe. Früher hätte es dort noch richtig ausgebildete Ausbilder gegeben. „Diese Kümmerer sind weggefallen“, sagt der 39-Jährige. Heute wüssten viele Betriebe nicht mehr, „wie Lernerfolge zu erzielen sind“.

Auch für die Ausbildung bedürfe es mittel- und langfristiger Planungen. Es sei auch nicht zu erklären, warum die angeblich so vielen freien Stellen nicht bei der Arbeitsagentur gemeldet seien. „Es reicht nicht aus, sich einen Aufkleber mit: ‚Wir bilden aus‘ aufs Auto zu kleben“, sagt Heiko Gröpler. Da müsse man schon mehr investieren.

Dass es offenbar auf beiden Seiten hapert, hat Ingo Scheuse vom Kieler Unternehmensverband erkannt, und ist eine Kooperation mit dem Osterberg-Institut eingegangen. Das gemeinsame Weiterbildungsangebot „Lust auf Arbeit machen – Lust auf Arbeit haben“, wendet sich sowohl an Ausbilder als auch an Auszubildende. Die Ausbilder sollen hier verdeutlicht bekommen, wie wichtig eine „flexible Ansprache zwischen Anforderung und Verständnis“ ist, sagt Ralph Kortewille, der zusammen mit Lidija Baumann die Seminare leitet. Ausbilder müssten sich „mehr Mühe machen, eine Beziehung herzustellen“. Auch ein Ausbildungsverhältnis sei davon abhängig, „ob die persönliche Beziehung klappt“, so der 43-Jährige. Die Aufgabe eines Ausbilders sei, „mit seinem Tun Sinn und Sicherheit zu vermitteln“, eine „stabile emotionale Brücke zwischen Jetzt und Zukunft anzubieten, auf der er vorangeht“.

Für Jugendliche sei es ein tiefes Bedürfnis dazuzugehören. Betriebe müssten ihren Auszubildenden deshalb die Frage beantworten: „Warum ist es sexy, in deinem Betrieb zu arbeiten?“, sagt der Psychologe. Die Jugendlichen hingegen werden angeregt, sich selbst zu hinterfragen: Was will ich eigentlich vom Leben? Wie sieht mein Lebensentwurf aus, und wie realisiere ich ihn im Betrieb? Warum lohnt es sich für mich, betriebliche Anforderungen zu erfüllen? Kortewille: „Jugendliche wollen einen Sinn erkennen, dann verhalten sie sich auch kooperativ.“

Große Überzeugungsarbeit muss Kortewille nach eigener Aussage bei den Unternehmen nicht leisten. Zwar gebe es noch Berührungsängste, aber die Betriebe sind in der Not. Es droht ein Fachkräftemangel – und jeder Abbrecher kostet Geld.

Termine: „Lust auf Arbeit machen“, 10. Mai; „Lust auf Arbeit haben“, 23. bis 25. Oktober. Infos: www.osterberginstitut.de