Selenskyj und mögliche Verhandlungen: Begrenzt offen

Wolodymyr Selenskyj signalisiert Bereitschaft, Gebiete abzutreten, wenn die Bevölkerung das will. Es wäre ein Freibrief für Putin zum Weitermachen.

Eine in eine ukrainische Flagge gehüllte Frau steht neben der Gedenkmauer für die gefallenen Soldaten der Ukraine. Zu sehen sind viele kleine Fotos mit den Namen und dem Todestag der toten Soldaten

Gedenkmauer für getötete Soldaten: Verhandeln, aber nur, wenn es etwas zu verhandeln gibt, auch wenn der Krieg täglich weitere Opfer fordert Foto: Andrew Kravchenko/dpa

Anders als noch beim Ukraine-Friedensgipfel Mitte Juni hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj überraschenderweise gegen Russlands Präsenz bei einer Nachfolgeveranstaltung offensichtlich nichts einzuwenden. Wohl denen, die schon immer einer diplomatischen Lösung das Wort geredet, dabei aber stets im Dunkeln gelassen haben, was das bedeutet.

Sie könnten sich dennoch bestätigt fühlen, zumal der Krieg täglich weitere Opfer fordert. Ergo, so die Annahme, beginnt sich vielleicht endlich auch bei Selenskyj die Erkenntnis durchzusetzen, dass der Krieg gegen den russischen Aggressor für Kyjiw auf dem Schlachtfeld nicht zu gewinnen ist und sich die Ukraine folglich in das Unvermeidliche fügen muss.

Wenn man Selenskyjs Interview mit französischen Medien genau liest, sieht es allerdings etwas anders aus. An der territorialen Integrität macht er keine Abstriche. Das läge laut Verfassung auch gar nicht in seiner Kompetenz. Und nicht überall wird so kreativ mit dem Grundgesetz umgegangen wie in Russland. Über Gebietsabtretungen müsse, wenn überhaupt, die Bevölkerung entscheiden – sprich ein Referendum organisiert werden. Doch wie?

Die Menschen bei Wahlen in den ostukrainischen Gebieten Donezk und Luhansk sprechen zu lassen, war auch in den Minsker Abkommen 2014/15 vorgesehen. Was daraus wurde, ist bekannt. Genauso bekannt sind die Positionen Moskaus, an denen sich nichts geändert hat. Bevor sich der Kreml zu Gesprächen herablässt, soll Kyjiw komplett aus den vier völkerrechtlich besetzten Gebieten Donez, Luhansk, Saporischschja und Cherson abziehen. Das war und ist gelinde gesagt absurd: Gebiete und die Menschen, die dort wohnen, aufgeben.

Wenn gewaltsame Grenzverschiebungen nachträglich belohnt werden, wäre das nicht weniger als ein Freibrief für Moskau, danach weiterzumachen. Nichts spricht dafür, dass dieser Fall nicht eintritt. Um es klar zu sagen: Diplomatie und eine Friedenskonferenz sind wichtig. Aber nur dann, wenn es etwas zu verhandeln gibt und nicht, wenn eine Kapitulation am Anfang steht.

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Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.

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