Der Klärschlamm ist doch nicht so sauber

In Bremen geht in Kürze eine Anlage für die Verbrennung von Klärschlamm in Betrieb. Eine Bürgerinitiative wirft ihr eine hohe Schadstofflast und eine negative Energiebilanz vor

Eine Klärschlammanlage aus der Luft Foto: Sebastian Kahnert/dpa

Von Harff-Peter Schönherr

Toiletten sind geduldig. Sie spülen auch runter, was keine Fäkalie ist. Rein damit, weg. Geht ja alles in die Kläranlage.

Aber die Abwasserbehandlung hinterlässt Klärschlamm. Der darf nicht mehr auf die Deponie, zu hoch ist die Schadstoffbelastung. Auch als phosphorhaltiger Dünger für Agrarflächen ist er suboptimal, denn er enthält Schwer­metal­le, Chemikalien, Rückstände von Medikamenten.

Eine Lösung: Verbrennung. Ab 2029 ist das für große Kläranlagen Pflicht. Keine Bodenbelastung mehr, dafür die Rückgewinnung von Phosphor aus der Asche, Abwärme fürs Fernwärmenetz, im Idealfall nachhaltig erzeugter Strom.

Dazu braucht es Klärschlammverbrennungsanlagen. Eine davon geht demnächst am Bremer Industriehafen in Betrieb, verantwortet von der Bremer „Klärschlammentsorgung Nordwestdeutschland“.

Doch die Bremer „Bürgerinitiative Oslebshausen und umzu“ erhebt seit Langem Vorwürfe gegen die Verbrennungsanlage. Ende Juli hat die Initiative mit dem Vorwurf „Etikettenschwindel“ noch mal nachgelegt. In einem Kommuniqué schreibt ihr Sprecher Dieter Winge von einer „hohen Schadstofflast“ und einer „negativen Energiebilanz“.

Besonders die genehmigten Schadstoffwerte empören Winge. Sie liegen am oberen Ende der Emissions-Bandbreite, welche die EU-Richtlinie über Industrieemissionen zulässt. Es reiche nicht, sich innerhalb der Bandbreiten zu bewegen, sagt Winge der taz. „Die Betreiber müssen erst einmal die niedrigsten Werte anstreben. Ist dies nicht möglich, muss nachgewiesen werden, warum diese so nicht erreicht werden können.“ In Bremen wie auch an anderen deutschen Standorten sei man „so nicht vorgegangen“, man habe „schematisch die maximal möglichen Schadstoffwerte innerhalb dieser Bandbreite beantragt und auch genehmigt“. Die Bremer Anlage habe „fast durchgängig wesentlich höhere Schadstoffwerte“ als eine vergleichbare Anlage im niederländischen Delfzijl.

Zudem verbrauche die Anlage mehr Energie, als durch die Verbrennung des Klärschlamms erzeugt werde. „Dies ist im politischen Prozess und auch im anschließenden Genehmigungsverfahren immer anders kommuniziert worden“, schreibt Klaus Koch vom Gutachterbüro Umweltnetzwerk Hamburg in Winges Kommuniqué. Der Bevölkerung sei gesagt worden, „dass die KVA-Anlagen klimagünstige Effekte hätten, zusätzlichen Strom und Fernwärme erzeugen können“. Das sei eine „Klimalüge“.

Winges Bürgerinitiative verlangt zusammen mit dem Umweltnetzwerk Hamburg von Kathrin Moosdorf, der Bremer Senatorin für Umwelt, Klima und Wissenschaft, nun eine Studie zur Energieeffizienz.

Eine solche Studie werde „als nicht zielführend angesehen“, schreibt Jonas Kassow, Leiter des Büros der Senatorin, der taz. Eine Energiebilanz habe für die Genehmigungsfähigkeit der Anlage „keine Rolle“ gespielt. Ihr Hauptzweck sei nicht die Energieerzeugung. Es gehe darum, Phosphor „umfassender als bisher wieder in den Wirtschaftskreislauf zurückzuführen“ und gleichzeitig „die herkömmliche bodenbezogene Klärschlammverwertung“ einzuschränken.

Die Bremer Anlage habe wesentlich höhere Schadstoff-werte als eine vergleichbare Anlage in den Niederlanden

Den „Klimalüge“-Vorwurf wertet Kassow als Unterstellung. Die Anlage könne „weitgehend energieautark betrieben werden“, Transportwege würden entfallen. Zu der über den Eigenverbrauch hinausgehenden Erzeugung von Strom und Fernwärme gebe es keine Zahlen des Betreibers, schreibt Kassow. Solche Zahlen seien für die Genehmigung und Überwachung der Anlage aber auch nicht maßgeblich.

Die Anlage erfülle „alle geltenden gesetzlichen Anforderungen und -Vorschriften“, schreibt Oliver Ladeur der taz, Sprecher des Betreibers „Klärschlammentsorgung Nordwestdeutschland“, sie sei auf „dem Stand der Technik“. Die Umweltsituation am Standort verbessere sich deutlich: „Das Kohlekraftwerk Block 6 ist vom Netz gegangen und die thermische Klärschlammverwertung kommt. Das muss immer im Zusammenhang gesehen werden.“ Am Standort würden eine Million Tonnen weniger CO2 emittiert, außerdem reduziere sich der Feinstaub deutlich. Die Rauchgasreinigungsanlage setze „höchste Umweltstandards“.

Winge wird das nicht zufriedenstellen. Auch an der Phosphor-Rückgewinnung hat er Zweifel. Es gebe „noch kein marktreifes Verfahren“, schreibt er. „Somit wird die Bevölkerung auch zum Hauptzweck dieser Anlagen in die Irre geführt.“