Andreas Speit
Der rechte Rand
: Wie die AfD versucht, Geschichte zu deuten

Die Niederlegung eines Kranzes an einem Grab oder einer Gedenkstätte markiert die Tradition des Erinnerns. Der nordrhein-westfälische Landtagsabgeordnete der AfD, Sven Trischler, wusste wahrscheinlich um die Resonanz, die seine Aktion erfahren würde, als er nach einer Delegationsreise in Namibia einen Kranz am Grab eines deutschen Schutztruppenoffiziers niederlegte. Die Provokation wirkte – De­le­ga­ti­ons­teil­neh­me­r*in­nen anderer Parteien zeigten sich fassungslos. Der Hamburger Geschichtsprofessor und Leiter der Forschungsstelle Hamburgs (post-)koloniales Erbe, Jürgen Zimmerer, schrieb auf dem Kurznachrichtendienst X: „Die Provokation reiht sich ein in weitere Versuche der AfD, eine Ehrenrettung der deutschen Kolonialgeschichte vorzunehmen.“

Mit diesem Anliegen fällt auch der Hamburger Bürgerschaftsfraktionsvize der AfD, Alexander Wolf, immer wieder auf. Der Alte Herr der Burschenschaft Danubia aus München dürfe die Argumentation seines Parlamentskameraden aus Düsseldorf unterstützen. Trischler sagte gegenüber der Deutschen Presseagentur, als ehemaliger Soldat und deutscher Volksvertreter habe er sich in der Pflicht gesehen, „für die gefallenen Schutztruppensoldaten einen Kranz niederzulegen, die unter sehr schweren Bedingungen Dienst taten.“

Alexander Wolf war in der Hamburger Bürgerschaft schon oft wegen seiner Bemühungen gegen die Aufarbeitung der Kolonialgeschichte aufgefallen. Für ihn reihen sich die Versuche der Aufarbeitung in einen „Kulturkampf“ ein, den „Linke aller Couleur unter dem Begriff ‚Neukontextualisierung‘“ führten. Mit „Neukontextualisierung“ sei nichts anderes gemeint als eine Umdeutung und Umwertung der Geschichte, „um uns Deutschen ein ganz überwiegend negativ geprägtes Bild unserer Geschichte einzubläuen“, schrieb Wolf in einer Pressemitteilung. Und: „Schuldbekenntnisse wie zuletzt gegenüber Namibia sind die direkte Folge.“

Die Relativierung der Verbrechen der Kolonialzeit ist charakteristisch für das rechte Milieu. Wer über die Verbrechen des Nationalsozialismus nicht sprechen will, ihrer nicht gedenken möchte, kann kaum über die Verbrechen des Kolonialismus reden. In der einst deutschen Kolonie Deutsch-Südwestafrika begannen am 12. Januar 1904 die Herero ihren Angriff auf die deutsche Kolonialmacht. Unter dem Kommando von Lothar von Trotha führte die deutsche Armee einen gezielten Vernichtungskrieg. Im August 1904 hatte die deutsche Armee die Herero auf dem Plateau des Waterbergs umzingelt. Die Soldaten richteten einen 250 Kilometer langen Absperrgürtel ein. Nur wenige Herero durchbrachen die Gürtel, die meisten verdursteten und verhungerten in der Wüste. Die überlebenden Herero wurden in Konzentrationslagern zur Zwangsarbeit verpflichtet. Von den ursprünglich 60.000 bis 80.000 Herero überlebten nur etwa 16.000, genaue Opferzahlen sind umstritten.

Das Hamburger Bündnis gegen rechts verwies bereits früh auf die privat-politische Nähe von Alexander Wolf zu rechten Kreisen in Namibia. Nach dem Jurastudium 1994 machte Wolf sein Referendariat inklusive eines Auslandsaufenthalts in Namibia. Das Hamburger Abendblattberichtet, dass er einem Waffenring angehörte, einem Zusammenschluss von Mitgliedern schlagender Studentenverbindungen in der Hauptstadt der ehemaligen Kolonie.

Wer über die Verbrechen des Nationalsozialismus nicht sprechen will, kann kaum über den Kolonialismus reden

Die Positionen von Wolf hatten 2018 Konsequenzen. Der Fraktionsvize wurde von einem runden Tisch der Kulturbehörde zur Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit Hamburgs verwiesen. Seriöse Forschung sei ignoriert worden, sagte Wolf später dazu, denn „all das“ sei „schwer erträglich für die links-grünen Deutschlandverächter, die die deutsche Geschichte kriminalisieren und zu einem düsteren Alptraum-Szenario verfälschen wollen“.