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Crowdsourcing-Plattform WheelmapBerliner Barrieren

Treppen, Rampen, Aufzüge: Seit 14 Jahren kartieren Ak­ti­vis­t:in­nen, welche Orte in der Stadt rollstuhlgerecht sind. Nun wird das Projekt erweitert.

Unüberwindbares Hindernis: Eine U-Bahnstation ohne funktionierenden Aufzug

Berlin taz | Manchmal ist es nur eine kleine Stufe, die den Restaurantbesuch unmöglich macht. Patrick Schmidt* fährt seinen elektrischen Rollstuhl zum Eingang einer Pizzeria in Berlin-Mitte, doch die Antriebsräder bleiben an einer Metallstufe hängen, drehen durch. „Hier könnte man wunderbar eine Rampe anlegen“, erklärt Schmidt. Vor der Tür gibt es viel Platz, Lokal und Terrasse sind ebenerdig. Perfekt, um die Aufstiegshilfe flach genug anzulegen und Platz zum Manövrieren zu haben. Doch die Rampe ist eine rein hypothetische Angelegenheit, denn es gibt sie nicht. Schmidt zückt sein Smartphone, macht ein Foto, öffnet die App „Wheelmap“ und trägt auf einer Karte „nicht barrierefrei“ ein.

Egal ob in Restaurants, im Verkehr oder beim Bau: Menschen mit Behinderungen werden in Berlin nach wie vor nur selten mitgedacht. „Man ist nicht behindert, man wird behindert“, sagt Schmidt. Im alltäglichen Kampf um gesellschaftliche Teilhabe sind Informationen ein wichtiger Faktor. Bestenfalls weiß der 36-Jährige schon vorher, wie er Hindernisse umgehen kann. Wo kann ich mit Freunden essen gehen? Gibt es dort eine Toilette, die ich nutzen kann? Und wie komme ich dahin?

Mit der Plattform Wheelmap schafft sich die Community selbst Abhilfe. Auf einer Karte sammeln Nut­ze­r:in­nen Informationen über behindertengerechte Toiletten, Rampen und Parkplätze. 14 Jahre nach ihrer Gründung ist die Wheelmap eine unverzichtbare Hilfe für viele Rollstuhlfahrer:innen.

Mittlerweile gibt es ausreichend Daten, um ein Bild zu zeichnen, wie es um die Barrierefreiheit in Berlin bestellt ist. Am Beispiel von Restaurants zeigt sich: Von 4.500 in Berlin gelisteten Lokalen sind lediglich 1.100 rollstuhlgerecht, 2.100 sind nur teilweise oder überhaupt nicht erreichbar. Über den Rest gibt es noch gar keine Informationen.

Unnötige Barrieren

„Wenn du die Karl-Marx-Straße in Neukölln lang gehst, musst du schon Glück haben, ein stufenloses Restaurant zu finden“, sagt Jonas Deister vom Verein Sozialheld*innen, der die Wheelmap betreibt. Grundsätzlich sei jeder zweite Ort in Berlin mit dem Rollstuhl erreichbar. „Das heißt, ich kann Berlin im Moment nur zu 50 Prozent so nutzen, wie du es kannst“, sagt Deister, der selbst auf einen Rollstuhl angewiesen ist.

Auf einer Beispieltour durch den Kiez rund um das taz-Gebäude in Kreuzberg nahe dem Checkpoint Charlie demonstriert Rollstuhlaktivist Patrick Schmidt, dass das „mapping“, wie das Eintragen der Daten in die App heißt, ein fortlaufender Prozess ist. Denn oft sind Angaben fehlerhaft, veraltet oder ungenau. Ein vietnamesisches Restaurant ist als rollstuhlgerecht gelistet. Doch die betonierte Rampe zum Eingang wird gekrönt von einer kleinen Stufe. „Mit meinem manuellen Rollstuhl würde ich da nicht drüber kommen“, sagt Schmidt und ändert die Einstufung in „nicht rollstuhlgerecht“.

„Die Frage ist, wie man eine Stufe definiert“, erklärt Schmidt, der schon seit der Gründung 2010 in der Wheelmap-Community aktiv ist. Je nach Rollstuhlmodell könnten schon flache Erhebungen Hindernisse darstellen. Da auf der Plattform alle Nut­ze­r:in­nen ohne Registrierung Einträge machen können, schwanke mitunter die Qualität der Informationen.

Ein weiteres Problem: Mit Wheelmaps lässt sich zwar die gebaute Umwelt beschreiben, nicht jedoch das Verhalten der Menschen. „Wenn es eine Rollstuhltoilette gibt, heißt es nicht, dass ich die auch benutzen kann“, berichtet Schmidt. Es sei keine Seltenheit, dass Behindertentoiletten als Lagerraum zweckentfremdet würden, oder dass der Weg zur Toilette komplett mit Tischen und essenden Gästen versperrt sei.

Nicht nur für Roll­stuhl­fah­re­r:in­nen

Wie der Name schon nahelegt, bietet die Wheelmap derzeit nur Informationen für Rollstuhlfahrer:innen. Mit dem aus Bundesmitteln geförderten Projekt „Inclu Science“ soll die App nun für neue Nut­ze­r:in­nen­grup­pen geöffnet werden. „Wir wollen auch, dass Menschen, die blind sind oder kognitive Einschränkungen haben, Informationen über Barrierefreiheit bekommen“, sagt Marie Lampe der taz. Lampe ist Vorständin des Vereins Sozialheld*innen.

Doch was bedeutet Barrierefreiheit überhaupt, zum Beispiel für eine taubstumme Person? Rund 30 Menschen mit unterschiedlichen Handicaps treffen sich Ende Juli in einem Zoom-Call, um diese Frage zu diskutieren. Nachdem bereits bei einem vorherigen Workshop Kriterien für Arztpraxen entwickelt wurden, sind jetzt Restaurants an der Reihe.

Problematisch seien etwa Pager, die mit akustischen Signalen die Gäste zum Abholen der Bestellung auffordern. „Ich sehe ja nicht, wann die Dinger piepen“, übersetzt eine Dolmetscherin eine Teilnehmerin. Auch verstünden die wenigsten Kellner Gebärdensprache und seien genervt, wenn man die Bestellung aufschreiben müsse.

Für andere Menschen wiederum sei Lautstärke ein wichtiger Aspekt, wirft eine weitere Teilnehmerin ein. Viele moderne Lokale seien offen gebaut und damit sehr laut. Sich bei hoher Umgebungslautstärke zu verständigen sei für Blinde sehr anstrengend. Auch für Menschen aus dem autistischen Spektrum stelle Lärm eine Barriere dar: „Viele würden da sofort einen Schock kriegen.“

Odyssee-ÖPNV

Im Lauf der Jahre hat die Wheelmap viele neue Funktionen erhalten. So gibt es mittlerweile „Datenpartnerschaften“ mit anderen Kartendiensten und Verkehrsbetrieben. „Wir haben bereits Live-Informationen über den Betriebsstatus von Aufzügen der S-Bahn Berlin sowie der BVG integriert. So kann ich rechtzeitig erfahren, ob ein Aufzug außer Betrieb ist und umplanen.“

Davon kann auch Patrick Schmidt ein Lied singen. Die Anreise zum Interview-Termin war – mal wieder – eine kleine Odyssee. Der Aufzug an der Friedrichstraße war defekt, da er nicht vom Gleis kam, musste er eine Station weiter fahren. Zum Glück kam der Fahrstuhl-Ersatz-Service schon nach 10 Minuten. Die Kleinbusse sind ein recht neuer Service der BVG, mit dem die Verkehrsbetriebe auf die dauerkaputten Aufzüge reagieren.

Spricht man mit Schmidt, wird schnell deutlich, eine App wie Wheelmap kann nur ein kleiner Baustein in Richtung Barrierefreiheit sein. Denn auch die besten Daten helfen nicht, wenn man als Mensch mit Behinderung einfach vergessen wird. „Ich konnte von Dezember bis März meine Wohnung nicht verlassen, weil der Fahrstuhl in meinem Haus defekt war“, berichtet der Aktivist. Eile, den Aufzug zügig zu reparieren, hatte der private Eigentümer nicht. „Das war schlimmer als Lockdown.“

*Name geändert

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