Das Trauma als Erbe

Mit „Generation Zukunft – Die Enkel des Holocaust“ remixt Eike Besuden seinen Film über den Bremer Warenhausbesitzer Julius Bamberger. Diesmal fokussiert er auf die Sicht der Nachfahren

Eine Szene zeigt ein gemeinsames Schabbat-Mahl Foto: Eike Besuden

Von Wilfried Hippen

Manchmal merken Filmemacher, dass sie eine Geschichte im ersten Anlauf noch nicht zu Ende erzählt haben. So erging es Eike Besuden mit „Aufgeben? Niemals! – Die Geschichte der Familie Bamberger“. Darin hatte er 2013 vom Leben des jüdischen Kaufmanns Julius Bamberger erzählt, der 1907 in Bremen eines der modernsten Kaufhäuser Deutschlands gründete. Das „Kaufhaus Bamberger“ war in der Stadt eine Institution und in der Presse wurde die erste Rolltreppe Bremens gefeiert.

Doch als die Nazis an die Macht kamen, wurde Bamberger enteignet. Er floh zusammen mit seinen beiden Kindern in die USA. Nachdem der Film in die Kinos kam, besuchten die Nachkommen von Bamberger Bremen, um ihre Vergangenheit zu erkunden. Besuden zeigte ihnen das inzwischen renovierte und nach Bamberger benannte Gebäude, in dem heute die Volkshochschule beheimatet ist, die Villa, in der die Familie wohnte, den jüdischen Friedhof und andere Erinnerungsorte.

Als er so diese dritte Generation der Familie kennenlernte, merkte er, dass es wichtig ist, die Geschichte auch aus ihrer Perspektive zu erzählen. Er reiste in die USA und interviewte 17 Familienmitglieder. Im Jahr 2022 veröffentlichte er diese ausführlichen Interviews in dem Buch „Emigranten – Erben des Holocaust in den USA“ beim Bremer Kellner-Verlag. Aber Besuden ist nun mal ein Filmemacher. Also montierte er die Aufnahmen von einigen dieser Interviews zu dem 65 Minuten langen Film „Generation Zukunft – Die Enkel des Holocaust“.

Darin erzählen vor allem die Enkel Julius Bambergers davon, wie das Trauma der Verfolgung und Flucht auch in der dritten Generation noch präsent ist. Als Juden in Amerika haben sie sich eine sichere, mittelständische Existenz aufgebaut, aber sie alle fühlen sich eben nicht sicher. Sie haben die Ängste ihres Großvaters und ihrer Eltern geerbt. Eine der Enkeltöchter schildert, wie sie in einem Kino oder einen Theater immer als erstes die Ausgänge sucht. Ein Urenkel, der als Rabbi arbeitet, erzählt, welche Überwindung es ihn gekostet hat, bei seinem Deutschlandbesuch die Kippa, also die traditionelle Kopfbedeckung der Juden, öffentlich zu tragen.

Die Enkelinnen erzählen auch davon, wie neurotisch Anneliese, die Tochter Bambergers versuchte, ihre schlimmen Erfahrungen als 16-jährige in einem französischen Flüchtlingslager zu verdrängen. So fabulierte sie als alte Frau vom deutschen Kaiser und nannte Johann Sebastian Bach einen ihrer Vorfahren. Auch die aktuelle politische Lage in den USA beunruhigt Bambergers Enkel. Die Interviews fanden kurz nach dem Sturm aufs Kapitol statt und die Familie war froh darüber, auch deutsche Pässe und damit eine Möglichkeit zur Flucht zu haben.

In einer Sequenz sieht man die Kinder, Enkel und Urenkel Bambergers zusammen Schabbat feiern, aber die Interviews hat Besuden in sehr konventionellen, filmisch nicht sonderlich interessanten Einstellungen aufgenommen. Eine zweite Ebene war dringend erforderlich, und dies nicht nur aus stilistischen Gründen: Die Geschichte der Familie Bamberger musste auch in diesem Film noch einmal erzählt werden. Nur vor dem Hintergrund der traumatischen Erlebnisse ihrer Vorfahren bekamen die Aussagen der späteren Generationen ihr Gewicht.

Aber Besuden hatte diese Geschichte ja schon aufwendig im ersten Film erzählt – unter anderem mit nachinszenierten Spielszenen. Viel Geld war nicht vorhanden – auch wenn die Karin-und-Uwe-Hollweg-Stiftung sowohl das Buch wie auch das Filmprojekt finanzierte.

Auch die aktuelle politische Lage in den USA beunruhigt Bambergers Enkel

Also verwendete Besuden viele Sequenzen aus seinem ersten Bamberger-Film noch einmal. Etwa die Hälfte des Films besteht aus zweitverwertetem Material. Dass dieses Recycling nicht kenntlich gemacht und nicht einmal im Abspann erwähnt wird, ist nicht ganz einwandfrei. Es hätte auch nicht verschämt verborgen werden müssen. Denn Besuden ist hier ein „Remix“ gelungen, in dem die Essenz der Geschichte stimmig und optisch reizvoll vermittelt wird.

„Generation Zukunft – Die Enkel des Holocaust“ hatte im Juni 2024 auf dem „Filmfest Emden Norderney“ Weltpremiere – doch sie war nicht sehr feierlich. Keine(r) der Prot­ago­nis­t*in­nen war angereist und der Film ging im Überangebot des Festivals unter. Wie es mit ihm weitergeht, ist noch unklar. Besuden sucht einen Verleih und einen Fernsehsender. Aber mit ihren 65 Minuten hat die Produktion eine Länge, die weder im Kino noch im Fernsehen in die festgefügten Formate passt. Zumindest eine Bremer Premiere ist geplant, aber ob sie noch in diesem Jahr stattfinden wird, ist fraglich.