Die Friedrichstraße hat fertig

Mit der Schließung der Galeries Lafayette ist die Wiederbelebung der Friedrichstraße endgültig gescheitert. Wir sollten nun loslassen und uns auf ihre Ränder konzentrieren. Vor allem am Mehringplatz droht die Lage zu kippen. Ein Plädoyer

Glas, Beton, Asphalt – und Touristen. Die Galeries Lafayette an der Friedrichstraße zwischen Jäger- und Französischer Straße Foto: Sergi Reboredo/VW Pics/Redux/laif

Von Uwe Rada

Ein Luxuskaufhaus in der Friedrichstraße? Da waren die Punks nicht weit. „Chaos-Tage“ wurden den Galeries Lafayette zu ihrer Eröffnung im Frühjahr 1996 prophezeit. Kurzerhand sperrte die Polizei die Straße weiträumig ab. Am Ende erwiesen sich die Flugblätter mit der Drohung als autonomer Scherz. Die Chaos-Tage blieben aus.

28 Jahre später stellt sich die Frage, ob nicht sogar die linksradikale Szene mit ihrem Fake-Chaos einem unrealistischen Versprechen auf den Leim gegangen ist – die Wiederbelebung der legendären Friedrichstraße als Luxusmeile. Die ist nun endgültig und krachend gescheitert. Am letzten Julitag schließen die Galeries Lafayette ihre gläsernen Eingangstüren. Die Friedrichstraße hat fertig.

Es war ein Niedergang mit Ansage. „Die Friedrichstraße ist auch ein Symbol für das Berlin nach der Wende“, sagte Guido Herrmann vor genau fünf Jahren zur taz. Herrmann ist Mitglied der Geschäftsleitung des Friedrichstadt-Palasts und war lange Vorsitzender des Vereins „Die Mitte“, in dem sich die Gewerbetreibenden der Friedrichstraße organisiert haben. 2019 sagte er noch: „Hier soll die Stadt zusammenwachsen. Und die Galeries Lafayette sind das Synonym für diese neue Friedrichstraße.“

So viel Hoffnung. So viel Pfeifen im Walde. So viele hausgemachte Fehler. Der größte davon, sagt ein Branchenkenner, sei der gewesen, nach der Wende alleine auf Einzelhandel statt auf einen Mix aus Geschäften, Kultur und Gastronomie zu setzen. „Nördlich der Weidendammer Brücke sehen wir, dass dieser Mix funktioniert.“

Zwischen Unter den Linden und Leipziger Straße sei die Friedrichstraße dagegen schon lange tot gewesen. Nicht einmal H&M habe mehr auf den Standort vertraut. Dazu kam die Insolvenz des Luxus-Quartiers im Block 206 zwischen Jägerstraße und Taubenstraße. „Doch das wollte damals keiner sehen“, sagt der Branchenkenner.

Wie geht es nun weiter? Um wirklich etwas Neues entstehen zu lassen, heißt es vielleicht loszulassen und Abschied zu nehmen. Abschied von einem großen Namen, der nicht einmal mehr als Marketing-Claim funktioniert hat. Nichts erinnert an der mittleren Friedrichstraße mehr an das, was ihren Spirit in der Kaiserzeit und der Weimarer Republik ausmachte.

Mythos der Weltstadt

Damals war die Friedrichstraße neben dem Potsdamer Platz ein Symbol der Weltstadt Berlin. Legendär die Kaisergalerie, die einst vom Boulevard Unter den Linden zur Friedrichstraße, Ecke Behrenstraße führte. Oder die Friedrichstraßenpassage, Ecke Oranienburger. Ein Hauch von Paris und Mailand streifte Berlin damals.

Und auch eine Vorstellung von Zukunft in Gestalt des gläsernen Hochhauses von Mies van der Rohe aus dem Jahre 1922 – vielleicht das berühmteste nicht gebaute Gebäude der Architekturgeschichte. Dazu der Bahnhof, die Ikone großstädtischer Mobilität und der Auflösung von Zeit und Raum. Die Varietés, die Restaurants. Die Friedrichstraße war Sinnbild von Tradition und Moderne zugleich.

Heute ist sie ein Sinnbild des Scheiterns. Gescheitert der Versuch, die schon zu DDR-Zeiten geplanten Friedrichstadtpassagen zwischen Französischer und Mohrenstraße durch Abriss und Neubau profitabel zu machen. Dabei wurden sie unter die Erde verbannt, was nie funktioniert hat. Gescheitert auch die städtebauliche Einbindung des Checkpoint Charlie in das Gewerbe der Stadt, ohne die Spuren der Teilung zu verwischen. Gescheitert schließlich der Versuch, die Totgeburt als Fußgängerzone zu reanimieren.

ZLB wäre ein Weiter so

Loslassen also, nicht mehr hinschauen, mit Verachtung strafen. Das sollte sich vielleicht auch Kultursenator Joe Chialo (CDU) zu Herzen nehmen. Ein Umzug der Zentral- und Landesbibliothek (ZLB) wäre der x-te Versuch der Wiederbelebung. Warum so viel Geld ausgeben, wenn auch dieses Projekt scheitern wird?

Besser wäre es, diesen Teil der Friedrichstraße einfach sich selbst zu überlassen. Soll sich das Immobilienkapital dort austoben dürfen und zeigen, welche Stadt es hervorbringt. Das wäre nur konsequent. Dann könnte man auch die Straßenschilder abschrauben und jeden Einzelabschnitt nach dem jeweiligen Investor benennen. Die Investorenstadt müsste sich dann einen anderen Mythos suchen.

Ohnehin wird die Friedrichstraße in Zukunft vor allem von ihren Enden her wahrgenommen werden. Nördlich der Weidendammer Brücke ist es ein ähnlicher Investorenmix wie an der mittleren Friedrichstraße, nur dass dieser, wenn auch auf obszöne Art und Weise, funktioniert.

Und mit einem anderen Mythos als Treiber. Statt dem verlorenen Glanz der Friedrichstraße verleiht die Erinnerung an den rauen Charme des ehemaligen Kunsthauses Tacheles dem gleichnamigen Stadtquartier einen satten Mehrwert. Für zehn Millionen Euro ging hier Berlins teuerste Eigentumswohnung über den Tisch – ein Quadratmeterpreis von 40.000 Euro. Als kulturelles Alibi muss das Fotografiemuseum Fotografiska herhalten.

Geschichte Nach der Erweiterung der Friedrichstadt ließ Friedrich II. vor dem Halleschen Tor 1734 das Rondell bauen, einen repräsentativen Platz, der 1815 in Belle-Alliance-Platz umbenannt wurde. Seit 1946 heißt er Mehringplatz.

Wiederaufbau Nach dem Krieg wurde der zerstörte Platz in den 1960er Jahren nach den Plänen von Hans Scharoun wiederaufgebaut und wurde zur Sackgasse. Es entstanden vor allem Sozialwohnungen. Heute leben am Mehringplatz 5.500 Menschen.

Brennpunkt Laut den Zahlen des Quartiersmanagements leben 55 Prozent der Kinder am Mehringplatz in Armut. Der Anteil von MigrantInnen liegt bei 71 Prozent. 36,5 Prozent beziehen Transferleistungen. Die Kriminalität steigt. „Kaum ein Tag vergeht mehr ohne Polizeieinsatz, bei den Anwohner­:innen wächst die Angst“, schrieb jüngst der Quartiersrat in einem Brandbrief an Berlins Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU). Anwohnende fordern zudem die Anerkennung als Kriminalitäts- und Präventionsschwerpunkt sowie Videoüberwachung. (wera)

Auch hier kann man getrost wegschauen, selbst wenn Jochen Sandig, Anfang der 1990er Jahre Sprecher des Kunsthauses, sagt: „Ich bin entrüstet und wütend. Man hat die Marke Tacheles einfach übernommen. Ein Namensklau.“ Heute ist Sandig mit Sasha Waltz Betreiber des Radialsystems, er hat die Friedrichstraße also losgelassen, auch wenn das Tacheles nicht ganz unschuldig ist an der Megagentrifizierung an deren nördlichen Ende. Noch zu Sandigs Zeiten war ein Teil der Künstlerinnen und Künstler selbst auf Investorensuche gegangen.

Der Norden brummt aber nicht nur wegen des schillernden Namens Tacheles. Das neue Quartier nach den Plänen des Schweizer Architekturbüros Herzog & de Meuron ist auch eingebettet in das urbane Umfeld der Oranienburger und der Spandauer Vorstadt. Eine Ausgehgegend,gut vernetzt mit anderen lebendigen Quartieren. Die vom städtischen Umfeld isolierte mittlere Friedrichstraße dagegen lebte alleine vom Namen und klappte abends ihre Bürgersteige hoch.

Im Süden spielt die Musik

Viel wichtiger ist das südliche Ende der Straße. Anders als in der Mitte und im Norden ist die öffentliche Hand im Süden der Friedrichstraße an vielen Stellen involviert. Ohne ein Konzeptverfahren wäre aus dem ehemaligen Blumengroßmarkt nicht das Kreativquartier geworden, das es heute ist. Die taz hat ebenfalls davon profitiert.

Auch am Mehringplatz wurde investiert. Sieben Millionen Euro hat die Neugestaltung des Platzes gekostet, die 2022 abgeschlossen wurde. Den weiteren Niedergang des Quartiers hat sie nicht aufhalten können.

Am neuen Tacheles funktioniert der Branchenmix, wenn auch auf obszöne Weise

„Das infernalische Gebrüll der Trinker und haltlosen Jugendlichen begleitet unser aller Nächte wie Eiszapfen in den Ohren“, schrieb die Schriftstellerin und Anwohnerin Manja Präkels schon 2022. Inzwischen droht die Lage zu eskalieren, obwohl der große Teil der 1.500 Wohnungen von den landes­eigenen Wohnungsbaugesellschaften Gewobag und Howoge vermietet wird.

Mit dem Neubau von Wohnungen versuchen die Unternehmen inzwischen, gegen den weiteren Niedergang anzubauen. Das kann aber nur gelingen, wenn die soziale Infrastruktur mitwächst. Zuletzt war eher das Gegenteil der Fall. Noch immer konnte der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg nicht mit der Sanierung des baufälligen Stadtteilzentrums in der Friedrichstraße 1 beginnen. Es fehlt das Geld.

Keine Rolle spielt für das Bezirksamt dagegen ein Plan, der immer wieder diskutiert wird: ein Durchbruch der Friedrichstraße zum Halleschen Tor. Warum ein solches Denkverbot? Warum nicht auch solche Alternativen prüfen? Warum nicht Denkmalschutz und Quartiersentwicklung abwägen?

Wäre die Friedrichstraße keine Sackgasse mehr, könnte dereinst doch noch die Zentral- und Landesbibliothek an ihr beheimatet sein: am alten und hoffentlich künftigen Standort am Blücherplatz.