Sitzstreik und Scheinhinrichtungen

In Irans Hauptstadt protestieren weibliche Gefangene gegen verhängte Todesurteile. Auch die Einführung des neuen Präsidenten verspricht wenig

Von Daniela Sepehri

An diesem Dienstag soll Massoud Pezeshkian im Parlament als neuer Präsident der Islamischen Republik Iran vereidigt werden. Seine Amtseinführung steht im Schatten einer neu aufkommenden Hinrichtungswelle und Protesten in den Gefängnissen. Mindestens 27 Personen wurden laut dem persischsprachigen Londoner TV-Sender „Iran International“ innerhalb von sechs Tagen hingerichtet. Immer häufiger sind auch Frauen betroffen. Zum ersten Mal seit 14 Jahren wurden nun auch zwei Frauen wegen politischer Anklagepunkte zum Tode verurteilt: die Arbeiter­aktivistin Sharifeh Mohammadi und die kurdische Sozialarbeiterin Pakhshan Azizi, beide wegen angeblichen bewaffneten Widerstands.

Azizi, die bereits im November 2009 vier Monate lang inhaftiert war, wurde im August 2023 festgenommen und befindet sich nun im Teheraner Evin-Gefängnis. Ein Rechtsanwalt ihrer Wahl wurde ihr laut der Menschenrechtsorganisation Hengaw verweigert, auch habe das Gericht keine Beweise für seine Anschuldigung vorgelegt. In einem veröffentlichten Brief Azizis ist die Rede von Folter in Verhören. Auch habe sie mehrfach Scheinhinrichtungen durchleben müssen. „Ich wurde wiederholt gegen einen Stuhl gestoßen. Beleidigungen, Demütigungen, Verhöre und Drohungen erfüllten den Raum unter den schlimmsten geistigen und körperlichen Bedingungen“, heißt es in dem Brief.

Das Todesurteil gegen Azizi sorgte für Proteste. Die weiblichen politischen Gefangenen des Evin-Gefängnisses begannen in der Nacht vom 24. auf den 25. Juli, einen Tag nach Verkündung des Urteils, einen Sitzstreik im Gefängnishof. Zu den Streikenden zählen unter anderem die Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi sowie die deutsche Staatsbürgerin Nahid Taghavi, die seit 2020 in Iran inhaftiert ist. „Das Todesurteil gegen Pakhshan Azizi ist ein Stück weit ein Schlag für alle dort inhaftierten politischen Gefangenen“, erklärt Mariam Claren, die Tochter Taghavis, im Gespräch mit der taz. Für ihre Mutter sei es daher eine „Selbstverständlichkeit“, sich am Streik zu beteiligen.

Bei dem Protest weigerten sich die Gefangenen, abends in ihre Zellen zurückzukehren, und verweilten stattdessen die Nacht über im Gefängnishof. Am Wochenende wiederholten sie diesen Streik. „Es kann sein, dass es Bestrafungen gibt, wie Abbruch der Telefonate und des Besuchsrechts, bis hin zu neuen Akten, die gegen sie eröffnet werden“, erklärt Claren. Auch der Gesundheitszustand der fast 70-jährigen Taghavi sei katastrophal. Sie leide immer wieder an Infektionskrankheiten, habe Bandscheibenvorfälle, könne ihren linken Arm kaum bewegen. „Die knapp vier Jahre Gefängnis und davon sieben Monate Isolation haben ihre Spuren hinterlassen“, so Claren.

Der Sitzstreik im Evin-Gefängnis erreichte schließlich auch die politischen Gefangenen des Ghezel-Hesar-Gefängnisses, in Karadsch, westlich von Teheran, in dem derzeit die meisten Hinrichtungen vollstreckt werden. „Auch wir Gefangene schließen uns den Protesten der politischen Gefangenen im Frauentrakt des Evin-Gefängnisses an und verurteilen die Verletzung des Rechts auf Leben des iranischen Volkes durch die Hinrichtungsmaschinerie“, heißt es in einem veröffentlichten Brief. Die Streikenden fordern darin die Abschaffung der Todesstrafe in Iran und rufen die internationale Gemeinschaft auf, sich dieser Forderung anzuschließen.

„Der Widerstand, der Kampf und die Freiheitsbewegung ­gehen auch im Gefängnis weiter“, so Claren. Die Todesurteile gegen Mohammadi und Azizi erhöhen ihre Sorge vor einer neuen Eskalationsstufe. Für Claren ist es kein Zufall, dass ausgerechnet eine Kurdin und Arbeiteraktivistin zum Tode verurteilt wurden: „Sowohl die Arbeiterbewegung als auch die kurdische Bewegung sind die organisiertesten und widerstandsfähigsten.“

Hoffnung auf Verbesserung durch den neuen Präsidenten haben weder die Inhaftierten noch Mariam Claren. „Pezeshkian ist einfach nur eine Maske, die mal wieder aufgesetzt wird, um dem Westen zu suggerieren, dass sie eine legitime Regierung sind“, sagt sie. Inzwischen haben die Frauen im Evin-Gefängnis angekündigt, in den Hungerstreik zu treten. Sie schließen sich damit der Kampagne der „Schwarzen Dienstage“ an, die Anfang des Jahres vom ebenfalls gefangenen Menschenrechtsaktivisten Ahmadreza Hae­ri und anderen ins Leben­ gerufen wurde.