Italien fliegt weiter auf ihn

Scusi? In Mailand soll der Flughafen den Namen von Silvio Berlusconi tragen. Das gefällt nicht allen in Italien, ist aber auch konsequent: Wenn es um den verstorbenen Politiker und Unternehmer geht, scheint rechts der politischen Mitte Amnesie zu herrschen

Flügel für Berlusconi bereits im Wahlkampf 2022 : Matteo Salvini (links) und Giorgia Meloni (rechts) Foto: Gianni Cipriano/NYT/Redux/laif

Aus Rom Michael Braun

Bitte anschnallen. Wir beginnen den Landeanflug auf den Airport Malpensa-Berlusconi“: Wer per Flug nach Mailand reist, könnte künftig mit dieser Durchsage rechnen. Die zuständige Luftfahrtbehörde Enac gab kürzlich bekannt, dass Mailands größter Flughafen in Zukunft den Namen des vor gut einem Jahr verstorbenen Unternehmers, Milliardärs und Politikers tragen wird. Sie folgte damit einem entsprechenden Vorstoß der rechten Regierung von Giorgia Meloni, zu der auch die Berlusconi-Partei Forza Italia gehört, die dies im Eilverfahren durchgepeitscht hatte.

Viele dürfte sich der Magen umdrehen: wirklich Berlusconi? Wer Palermo ansteuert, landet auf dem Flughafen Falcone-Borsellino, benannt nach den beiden von Cosa Nostra im Jahr 1992 ermordeten Antimafia-Staatsanwälten Giovanni Falconi und Paolo Borsellino. Reisende nach Rom kommen auf dem Airport Leonardo da Vinci an, der in seinem Namen an die geniale Ausnahmeerscheinung der Renaissance erinnert. Der Flughafen von Venedig ist nach dem Weltreisenden Marco Polo benannt, ihrem berühmtesten Sohn.

Berlusconi ist zweifellos ein berühmter Sohn der Modestadt Mailand, er stand viele Jahre an der Spitze des Fußballvereins AC Milan. Und war er nicht auch ein Genie? Seine Fans sehen das so. Sie dürften ob der Namensentscheidung zufrieden nicken. Schon als junger Mann hatte Berlusconi es zum schwerreichen Immobilienunternehmer gebracht und sich in den Achtzigerjahren als Medientycoon durchgesetzt, der mit seinen drei Unterhaltungssendern Italiens privaten TV-Markt monopolisierte. 1994 erfand er sich dann noch einmal völlig neu, diesmal als Politiker, der mit Forza Italia eine eigene Partei gründete. Und wieder gelang ihm Außergewöhnliches: Viermal war er Ministerpräsident, zuletzt bis 2011, und brachte es damit auf insgesamt fast neun Jahre in diesem Amt. Niemand war in Italien nach 1945 so lange an der Regierung wie er, sein Einfluss wirkt bis heute nach.

Schon an den Methoden des Unternehmers Berlusconi ließ sich mäkeln. Seinen unternehmerischen Aufstieg finanzierte er aus dunklen Quellen – bis heute weiß niemand, woher die Unsummen kamen, die er bei Kapitalerhöhungen auf die Bank trug – in Cash. Er legte Hunderte Millionen Euro in ausländischen Schwarzfonds an, aus denen er wiederum die Bestechung von Politikern und später auch von Richtern zahlte. Und er unterhielt über Jahre hinweg stabile Beziehungen zur Cosa Nostra, der sizilianischen Mafia. Ein Boss arbeitete in Mailand auf seinem Anwesen, angeblich als „Stallknecht“.

Auch der Politiker Berlusconi bediente sich gern unorthodoxer Methoden. Um den Hals aus der Schlinge seiner zahlreichen Prozesse zu ziehen, erließ seine Regierung ein Gesetz nach dem anderen, mit denen er die Arbeit der Staatsanwälte durchkreuzte. Zur Sicherung von Parlamentsmehrheiten kaufte er die Stimmen von Politikern aus dem gegnerischen Lager.

Zu Hause kam Berlusconi so über die Runden. Im Ausland trug ihm das einen denkbar schlechten Ruf ein. Dieser war endgültig ruiniert, als ab 2009 die „Bunga-Bunga“-Skandale ans Licht kamen. Bekannt wurde, dass der mittlerweile über 70-Jährige regelmäßig Sexpartys mit ganzen Bataillonen von für ihre Dienste üppig bezahlten jungen Frauen feierte, unter ihnen auch Minderjährige. Das Genick brach ihm politisch aber ein anderer Fall: Im Jahr 2013 erhielt er vier Jahre Haft wegen Steuerbetrugs, die er zwar nicht verbüßen musste, doch zugleich entzog ihm das Plenum des Senats wegen des Urteils sein Mandat. Es war der einzige Fall, in dem Berlusconi letztinstanzlich verurteilt wurde.

Seinen Platz in den Geschichtsbüchern hat Berlusconi dennoch sicher: als Proto-Populist, der schon 1994 die Regierung einer westlichen Demokratie übernahm und der dabei vieles vormachte, was andere später kopieren sollten. Da wäre vorneweg die Art und Weise, wie sich der Milliardär als Mann des Volkes inszenierte, der gegen das alte politische Establishment aufsteht. Er komme aus dem „Schützengraben der Arbeit“, erklärte Berlusconi 1994, und wolle dem schändlichen Treiben der „Politikaster“ endlich ein Ende setzen.

Da wäre auch die polarisierende Rhetorik und Angstmache. Zeitlebens führte Berlusconi seinen Feldzug gegen die „Kommunisten“, die ihm angeblich an die Freiheit und den Ita­lie­ne­rn ans Portemonnaie wollten. Zur Polarisierung trug auch bei, dass Berlusconi immer dann, wenn er wie im Jahr 2006 Wahlen verlor, ohne jeden Beweis „Wahlbetrug!“ rief und keck behauptete, ihm sei der Sieg gestohlen worden.

Und da wäre schließlich das Verhältnis zur Justiz. „Politisch verfolgt“ sei er, behauptete Berlusconi jedes Mal, wenn gegen ihn Anklage erhoben wurde, sei es wegen Richterbestechung, wegen Steuerbetrugs oder Bilanzfälschung. Deshalb trachtete er danach, die Justiz zu beschneiden. Bis zu seinem Tod führte Berlusconi quasi 30 Jahre lang einen Dauerkrieg gegen die Justiz.

In allen diesen Punkten, wie auch aufgrund seines #metoo-reifen Umgangs mit Frauen, erinnert der Italiener sehr an Donald Trump. So wie dieser heute konnte sich Berlusconi dabei immer über eine Anhängerschaft freuen, die über seinen Machismo hinweg sah und ihm die Opfernummer von der angeblich verfolgten Unschuld abnahm.

Schon 1994 öffnete Berlusconi für seine erste Regierungsbildung der Vorgängerpartei der Postfaschisten, die heute durch Ministerpräsidentin Giorgia Meloni vertreten werden, und den harten Rechtspopulisten der Lega die Tür zu einer Allianz. Im Wahlkampf 2022 erklärte er seine Forza Italia dennoch plötzlich zum „Bollwerk gegen die Populisten“, gar zur „gemäßigten Kraft“ der proeuropäischen rechten Mitte – eine erstaunliche Volte, denn dieses vorgebliche Bollwerk trat im Wahlkampf weiter in einem Bündnis an der Seite von Melonis Fratelli d’Italia und Matteo Salvinis Lega an, und sitzt heute mit ihnen in einer Regierungskoalition.

Dass diese Regierung jetzt dafür gesorgt hat, dass der Flughafen Malpensa nach Berlusconi benannt wird, ist nur konsequent. Nach seinem Tod im vorigen Jahr erhielt er ein Staatsbegräbnis, die Regierung Meloni ordnete einen Tag Staatstrauer an. Diese Ehre war zuvor keinem anderen Ministerpräsidenten nach dem Ableben zuteil geworden. Man kann es auch so sagen: Von einer Amnestie hatte er zuvor zwar nicht profitiert, wohl aber von der Amnesie eines Teils der italienischen Wählerschaft rechts von der politischen Mitte.

Damit ist es der Ehrungen jedoch keineswegs genug. Die Tochter, Marina Berlusconi, kündigte bereits an, sie wolle innerhalb des familiären Medienimperiums den „Silvio-Berlusconi-Verlag“ gründen, welche dem „freiheitlichen Denken“ gewidmet sein solle. Zwar konnte ihr Vater mit den bürgerlichen Freiheiten nie viel anfangen – so sperrte er sich, stets an der Seite der katholischen Kirche stehend, gegen die Homoehe wie gegen die Selbstbestimmung von Patienten über ihr Lebensende oder die Liberalisierung bei der künstlichen Befruchtung. Die eigene Freiheit aber war ihm durchaus immer wichtig. Insbesondere die Freiheit, Gesetze zu brechen und straflos davonzukommen.

Man könne den Flughafen doch „Bunga-Bunga-Airport“ taufen, so heißt es im Internet

Da passt es bestens, dass seine Forza Italia auch nach Berlusconis Tod innerhalb der Meloni-Koalition diverse Justizreformen anschiebt, die den Staatsanwälten weitere Steine in den Weg legen sollen. Zum Beispiel will sie den Straftatbestand des Amtsmissbrauchs abschaffen oder Abhörmaßnahmen gegen Verdächtige einschränken. Völlig klar, dass diese Partei ihre Vorhaben ihrem Gründungsvater „widmet“.

Lega-Chef und Verkehrsminister Matteo Salvini treibt zudem energisch das Projekt voran, eine geplante Mega-Brücke bei Messina nach Silvio Berlusconi zu benennen. Die Brücke, die in Zukunft Sizilien mit dem italienischen Festland verbinden soll, war eines jener pharaonischen Vorhaben, das Berlusconi schon im Jahr 2001 auf die Agenda seiner damaligen Regierung gesetzt hatte. In diesem Fall würde – angesichts der zu erwartenden Bauzeit – auch die gesetzlich vorgesehene Norm eingehalten, die vorschreibt, dass Straßen oder Bauwerke frühestens zehn Jahre nach dem Tod einer Persönlichkeit nach dieser benannt werden dürfen.

Im Falle des Flughafens Mailand-Malpensa wurde dieses Gesetz einfach übergangen. Deshalb hoffen die Mitte-links-Parteien im Regionalparlament der Lombardei, dass ihre Einsprüche vor Gericht Erfolg haben könnten. Im Internet setzen Zehntausende ihre Unterschrift unter Petitionen, die die Umbenennung verhindern sollen.

Und in den sozialen Medien werden Alternativvorschläge gemacht: Man könne den Flughafen doch auch „Bunga-Bunga-Airport“ taufen.