Streit um die letzten Dinge

Die Reerdigung, eine Alternative zu Erdbestattung und Urnengrab, wird derzeit in Schleswig-Holstein getestet. Doch gegen die neue Methode gibt es auch Protest, vor allem von Krematorien

Nach 40 Tagen bleiben nur noch Humuserde und die Knochen übrig: In den „Kokons“ liegen die Toten auf Heu Foto: Christian Charisius/dpa

Von Esther Geißlinger

Den letzten ökologischen Fußabdruck hinterlässt der Tod: Weil die meisten Menschen ein Urnengrab der Erdbestattung vorziehen, steigt der CO2-Ausstoß der bundesweit rund 160 Krematorien. Die sogenannte Reerdigung, die als Pilotversuch in Schleswig-Holstein stattfindet, schafft eine Alternative. Doch es gibt Protest – vor allem von Seiten der Krematorien.

Sieben „Kokons“ stehen zurzeit in Gebäuden auf Friedhöfen in Kiel und Mölln, die zum evangelischen Kirchenkreis Altholstein gehören. In den Behältern liegen Tote auf Heu. In dieser Umgebung entsteht Wärme, der Leichnam zersetzt sich. Der Kokon wird regelmäßig bewegt, damit sich Flüssigkeit nicht am Boden sammelt. Nach 40 Tagen – der biblische Bezug ist bewusst gewählt – haben sich Muskeln und Organe in Humuserde verwandelt. Es bleiben die Knochen übrig, die in einer Knochenmühle zerkleinert werden, ähnlich wie die Reste nach einer Feuerbestattung. Die Erde wird in einem Tuch beigesetzt.

Hinter dem in Europa einmaligen Verfahren steht die Berliner Firma „Meine Erde“. Deren Geschäftsführer Pablo Metz hatte bundesweit gefragt, wer den Pilotversuch erlauben würde, aus Schleswig-Holstein kam eine Zusage: Der alte Satz „Erde zu Erde“ werde bei dem Verfahren sehr deutlich, sagt die zuständige Pastorin Almut Witt.

Rechtlich möglich ist die Reerdigung, weil das Kieler Gesundheitsministerium eine Ausnahme gestattete. Seit Januar gilt eine „Experimentierklausel“, der zu Beginn des Jahres alle Landtagsfraktionen zustimmten. Zurzeit arbeitet das Land an einer Reform des Bestattungsgesetzes, die Reerdigung könnte als ­Alternative zu anderen Formen aufgenommen werden.

Aber nach der Vorstellung der Methode im Sommer 2023 gab es auch kritische Stimmen. Besonders der Rechtsmediziner Klaus Püschel, bis 2020 Institutsdirektor am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und seit 2005 Geschäftsführer seines Instituts für Rechtsmedizin in Stade, meldete sich zu Wort. In einem Sonderheft der Zeitschrift ­Bestattungskultur des deutschen Bestattungsgewerbes nannte er das Verfahren „Kompostierung“, warf dem Berliner Start-up „Marketing­interessen“ vor und kritisierte die Bezeichnung Kokon für den Plastikbehälter.

Der Vorwurf, das Unternehmen verfasse „Werbeprosa“, findet sich erneut in einem Artikel auf „Spiegel online“ von Mitte Juli. „Wir bemühen uns um eine angemessene, würdevolle Sprache“, sagt ­Pablo Metz dazu. „Es geht darum, den Respekt vor Verstorbenen und ihren ­Angehörigen zu wahren.“

Aber der Streit um Begriffe hat ­inzwischen sogar zu einem Gerichtsverfahren geführt, dessen Ausläufer auch die taz betrafen: Nach der Klage eines Krematoriums darf „Meine Erde“ nicht mehr davon sprechen, dass es eine „wissenschaftliche Begleitung“ durch die Universität Leipzig gibt. Auch Medien sollten den Ausdruck nicht verwenden, bittet das Unternehmen. Allerdings spricht das Forscherteam aus Leipzig selbst in einem Aufsatz davon, in Texten des Kieler Landtags tauchen die Wörter auf. Die Leipziger Rechtsmedizin untersuchte zwei ­Reerdigungsprozesse, entnahm Proben und untersuchte die unter anderem auf Rückstände von Medikamenten und Giftstoffen.

Rechtlich möglich ist die Reerdigung, weil das Kieler Gesundheits­ministerium eine Ausnahme gestattete. Seit Januar gilt eine „Experimentierklausel“

Vor Gericht sei die Methode nicht bestritten worden, „nur der Begriff“, sagt Metz. Doch Rechtsmediziner ­Püschel – der Krematorien berät und dort Leichenschauen abhält – zweifelt trotzdem an der ­Methode: Es sei „völlig falsch“, dass der Körper zu ­Humus zerfalle, sagte er dem ­Spiegel. Stattdessen müsse es sich um „Kompost handeln, der relativ viel verfaultes Fleisch enthalte“.

Allerdings war Püschel bei keiner Kokon-Öffnung dabei – anders als das Team aus Leipzig und Ver­tre­te­r:in­nen des Kieler Gesundheitsministeriums. Die hätten einen „erdigen Geruch“ wahrgenommen, keineswegs den „Verwesungsgeruch“, den Kri­ti­ke­r:in­nen unterstellen, berichtete Gesundheits-Staatssekretär­ Oliver Grundei (CDU) im Fachausschuss des Landtags. Der Bericht der Leipziger Rechtsmedizin beschreibt, dass nach 40 Tagen im Kokon „keine Weichteilreste“ mehr lagen, dafür war „ein erdig-humoser Geruch wahrnehmbar“. Die Knochen sahen aus wie bei einem 20 bis 50 Jahren alten Leichnam.

Es sei gut und richtig, dass das Verfahren genau überprüft werde, sagt Pablo Metz. Aber er ist von der Methode überzeugt – und freut sich über zahlreiche Anfragen: „Die Menschen möchten es.“ Zurzeit dürfen die Reerdigungs-Kokons nur in Schleswig-Holstein stehen, aber das werde sich ändern, glaubt Metz: „Schon jetzt kann die Erde in Hamburg, Niedersachsen und Mecklenburg-­Vorpommern bestattet werden, andere Länder setzen sich damit auseinander.“ Mit der Zeit würden die Bedenken ausgeräumt, glaubt er: „Es ist ja nur neu.“