Und
nun,
Team
Harris?

Die Nominierung der Vizepräsidentin zur Präsidentschaftskandidatin der Demokraten scheint gesetzt. Aber für das, was darauf folgt, gibt es kaum Vorbilder. Ein Überblick

Von Hansjürgen Mai

1 Wie geht’s jetzt weiter?

Kamala Harris’ Team ist jetzt dabei, potentielle Vizekandidaten – es kann eigentlich nur ein Mann werden – einer extrem gründlichen Prüfung zu unterziehen. Dabei interessiert sie natürlich die Frage, wer neue Wäh­le­r:in­nen­grup­pen erschließen oder Harris’ Schwächen ausgleichen kann. Mindestens genauso entscheidend ist aber die Suche nach potentiellen Bomben oder Bömbchen in der Vergangenheit der Kandidaten. Gibt es Aussagen, Handlungen, Verbindungen, die Harris im Wahlkampf um die Ohren fliegen könnten?

Bis spätestens zum 7. August wird dieser Prozess abgeschlossen sein. Dann wird per virtueller Wahl über die Nominierung von Harris als neue Präsidentschaftskandidatin abgestimmt. Sie selbst reist nun durch das Land, um Gesicht zu zeigen und Profil zu gewinnen. Auch wenn sie dreieinhalb Jahre das zweithöchste Amt im Land bekleidet hat, ist ihr Bekanntheitsgrad definitiv noch ausbaufähig.

2 Wie wurde Bidens Rückzug und seine Unterstützung für Harris in Washington aufgenommen?

Die Demokraten haben auf Joe Bidens Entscheidung, seine Kandidatur weniger als vier Monate vor der Wahl zurückzuziehen, vor allem mit Erleichterung reagiert, und mit viel Dankbarkeit und großer Bewunderung. Dieses Gefühlspotpourri hat überlagert, dass Harris bei den Demokraten gar nicht die unumstrittene Wunsch-Ersatzkandidatin war. Doch mit dem späten Rückzug von Biden war der Aufstandswille, so schien es, erschöpft. Nach und nach haben sich alle führenden Demokraten hinter Harris gestellt. Am Freitag gab auch Ex-Präsident Barack Obama der Kandidatin via Twitter seinen Segen. Es wäre schon eine sehr, sehr große Überraschung, sollte noch ein Herausforderer oder eine Herausfordererin auftauchen.

Die Republikaner nutzten in den vergangenen Tagen die Chance, Joe Biden auch als Präsidenten anzugreifen. Der republikanische Sprecher des US-Repräsentantenhauses, Mike Johnson, erklärte, wenn Biden nicht fit genug sei zu kandidieren, dann sei er auch nicht fit genug, das Land zu regieren.

Jenseits dessen schossen sich die Republikaner mit etwas Verzögerung auf die 59 Jahre alte frühere kalifornische Senatorin und Generalstaatsanwältin Harris ein.

3 Wie hat Biden seine Woche verbracht?

Für Biden war es eine historische Woche. Nachdem er kurz zuvor positiv auf Covid getestet wurde, verbrachte er die ersten Tage in seinem Haus in Delaware. Dort traf er auch die Entscheidung, sich aus dem Rennen zu verabschieden. Am Dienstag reiste er dann zurück nach Washington. Am Mittwochabend hielt er seine Rede an die Nation, in der er seine Entscheidung begründete.

Nur einen Tag später traf er sich mit dem israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu, um die Situation in Gaza und den Status der Waffenstillstandsverhandlungen zu besprechen. Biden erklärte, dass er in den verbleibenden sechs Monaten seiner Amtszeit weitere politische Ziele verfolgen wird. Ohne den Wahlkampfstress ist dies womöglich auch der Gesundheit zuträglicher.

4 Wie reagiert Trump?

Ex-Präsident Trump hätte sich wohl ein erneutes Matchup mit dem geschwächten Biden gewünscht. Mit Harris steht ihm nun wohl eine deutlich jüngere Konkurrentin gegenüber. Eine Strategie, wie er damit umgeht, ist noch nicht so richtig zu erkennen – außer, sie zu beschimpfen. Aktuell stellt er Harris in seinen Reden als eine „inkompetente, verrückte Linksradikale“ dar. „Jetzt haben wir also ein neues Opfer, das wir besiegen müssen: die lügnerische Kamala Harris“, sagte Trump während einer Wahlkampfveranstaltung in Charlotte.

Sein Wahlkampfteam hat in dieser Woche Beschwerde bei der nationalen Wahlaufsichtsbehörde FEC eingelegt. Trump will verhindern, dass Harris Zugriff auf die mehr als 91 Millionen Dollar an Spendengeldern bekommt, die für die Wiederwahl von Biden und Harris gesammelt wurden. Wann die FEC über die Beschwerde entscheiden wird, ist nicht bekannt.

5 Worauf kommt es im Wahlkampf jetzt an?

Ob Biden oder Harris, die Herausforderung bleibt dieselbe. Es geht darum, Wählerinnen und Wählern in den Swings States – Bundesstaaten, in denen die Mehrheiten immer wieder zwischen Demokraten und Republikanern wechseln – für sich zu gewinnen. Diese Bundesstaaten sind wahlentscheidend.

Nach aktuellen Umfragen hat Trump in diesen Bundesstaaten gerade die Nase vorn, doch Harris wird sich auf genau diese Staaten in ihrem Wahlkampf konzentrieren. Vor allem junge Wähler und Wählerinnen begrüßen die mögliche Nominierung von Harris. Mit Themen wie dem Recht auf Abtreibung und Umweltschutz könnte Harris besonders bei Jüngeren punkten. Sie setzt sich mit ihrer Kritik an Benjamin Netanjahu auch schon erkennbar in der Israel-Politik von Biden ab.

Eine Demo von Kamala-Harris-Unterstützern in San Francisco am Tag nach Joe Bidens Rückzug Foto: Loren Elliott/afp

6 Wieso ist Geld so wichtig im US-Wahlkampf?

Geld regiert die Welt. Diese Aussage trifft besonders auf den US-Wahlkampf zu. Je mehr Geld ein Kandidat oder eine Kandidatin zur Verfügung hat, desto leichter ist es, mögliche Wähler mithilfe von Fernsehwerbung, Internet-Ads, Kundgebungen oder anderen Werbematerialien zu überzeugen.

7 Und warum werden beim Spendensammeln immer neue Rekorde aufgestellt?

In den ersten 48 Stunden nach Bidens Ausstieg hat Harris eine Rekordsumme von mehr als 100 Millionen US-Dollar Spenden erhalten. Seit der umstrittenen „Citizens United“-Entscheidung des amerikanischen Supreme Court von 2010, die eine Obergrenze für Gesamtspenden im Zeitraum von zwei Jahren aufhob, gibt es in der US-Politik immer wieder neue Spendenrekorde. Eine Wende ist bisher nicht in Sicht.

8 Wie zuverlässig sind die Umfragen eigentlich?

Spätestens mit dem für viele überraschenden Wahlsieg von Donald Trump im Jahr 2016 sind Umfragen in Verruf geraten. Sie gelten nur als Indikatoren eines allgemeinen Trends, aber nicht als gesicherte Basis. Die US-Wahl 2016 hat die Meinungsforschung jedoch auch dazu veranlasst, ihre Methoden zu überdenken und neu zu justieren. Zwar sind Umfragen auch heute noch keine Garantie für ein bestimmtes Ergebnis, doch sie sind mittlerweile deutlich genauer als noch vor acht Jahren.