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Ein Zeichen
für Toleranz

Bunt, laut und gegen rechts: Der erste CSD in Sonneberg richtete sich auch gegen den ersten AfD-Landrat. Er steht wie keinzweiter für den Rechtsruck in Deutschland

Von David Muschenich

Seine ersten Worte auf der Bühne klingen etwas schüchtern. „Ich bin 21 und meine Pronomen sind er/es“, stellt sich Liam vor. Hinter ihm hängt eine Pride-Flagge mit der Aufschrift „CSD Sonneberg“. Dort, ganz im Süden Thüringens, ist er aufgewachsen. Aber erst als er vor drei Jahren nach Würzburg zog, outete sich Liam als trans. Nun ist er mal wieder zurück, um auf dem ersten CSD in Sonneberg zu sprechen.

An diesem späten Samstagnachmittag lauschen ihm auf dem Piko-Platz mitten in der Stadt mehrere Hundert Menschen – trotz drückender Hitze. Die meisten suchen im Schatten Schutz vor der Sonne, einige kühlen sich im Brunnen ab. Viele tragen Regenbogenfahnen um die Schultern oder Schminke im Gesicht. Vereinzelt ist das Antifa-Logo zu sehen. Liam fordert: „Wir brauchen CSDs, bis ich dieselben Rechte habe wie cisgender Männer und bis ich genauso wenig Angst habe, durch Straßen zu laufen!“ Applaus und Jubel. Mit jedem Wort gewinnt Liam an Sicherheit. „Das hier heute ist keine Feier“, ruft er ins Mikrofon, reckt die Faust in die Luft und fügt auf Englisch an, „the first pride was a riot“ – der erste CSD war ein Aufstand.

In Sonneberg waren 250 Teil­neh­me­r:in­nen angemeldet, doch laut Polizei sind mehr als 600 zu diesem ersten Christopher Street Day gekommen. Viele reisten zur Unterstützung auch aus Erfurt, München, Berlin oder Wiesbaden an. Zugespitzt lässt sich sagen: dank der AfD. Vor etwa einem Jahr wählte der Landkreis Sonneberg Robert Sesselmann mit 52,8 Prozent zum Landrat. Er ist deutschlandweit der einzige AfD-Politiker in diesem Amt. Durch ihn steht der Landkreis wie kein Zweiter für das Erstarken der AfD – besonders vor den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg. Laut Umfragen liegt sie dort jeweils vorne, in Sachsen und Thüringen mit Werten um die 30 Prozent.

Die Mitglieder der AfD machen schon lange Stimmung gegen queerfreundliche Politik. Zum Beispiel sprechen sich die Landesverbände in Thüringen und Sachsen in ihren aktuellen Wahlprogrammen gegen eine „Sexualpädagogik der Vielfalt“ aus und mahnen, das traditionelle Familienbild „Mutter, Vater und Kind(er)“ werde beseitigt. Auch vor dem CSD in Sonneberg warnte die AfD.

Die Or­ga­ni­sa­to­r:in­nen des CSD wollten gegen solche Politik ein Zeichen für Toleranz und eine bunte Gesellschaft setzen. Im Landkreis Sonneberg wohnen etwa 56.000 Menschen, in der gleichnamigen Stadt rund 22.000. Gerade abseits der großen Städte machten CSDs queeres Leben sichtbar, sagt Matthias Gothe vom Thüringer Verein Queerweg. „Das ermöglicht Austausch und Akzeptanz“, erklärt er. Zudem seien die CSDs auch für die queeren Personen vor Ort von großer Bedeutung. „Das Fahnenmeer zu sehen, zeigt ihnen, dass sie nicht allein sind.“

Es ist keine private Frage, inwieweit geschlechtliche Identitäten akzeptiert werden

Doch wie kommt der CSD in Sonneberg an? Vor dem Wochenende kursierte das Gerücht, es sei rechter Gegenprotest geplant. Außerdem habe es Anfeindungen gegeben, berichtet Sascha Klughardt von der Partei der Humanisten an diesem Samstag. Er ist ei­ne:r der Or­ga­ni­sa­to­r:in­nen und steht in einer blauen Weste am Rande des Piko-Platzes. Eigentlich kommt Klughardt selbst gar nicht aus Sonneberg, sondern lebt 20 Kilometer entfernt in Coburg, auf der bayerischen Seite der Landesgrenze. Aber wegen der teils feindseligen Stimmung in Sonneberg, erklärt Klughardt, sei es für Menschen vor Ort schwierig, sich offen zu engagieren. Zukünftig hoffe er auf mehr lokale Unterstützung. Ist er trotzdem zufrieden mit dem ersten CSD in Sonneberg? „Ich bin positiv überrascht, es sind mehr da als erwartet“, antwortet er und deutet auf den Platz. Die Stimmung ist ausgelassen.

Auf der Bühne hat der Musiker Yu seine Gitarre weggelegt und rappt zu mitreißendem Bass: „Moshpit, Moshpit, auf den Nazis“. Dabei tanzt er, eine hellblau-rosa-weiße Trans*-Fahne in der Hand. Die Menge rappt mit, springt im Takt. In der ersten Reihe mit dabei: Liam, gut zu erkennen an seinen grünen Haaren. Er ist Fan, sieht Yu dieses Jahr insgesamt drei Mal live.

Etwas später tritt dann Steffen Schütz, Landesvorstand des Bündnis Sahra Wagenknecht in Thüringen, auf die Bühne. Wagenknecht selbst sprach sich zuletzt vehement gegen das Selbstbestimmungsgesetz aus. Das neue Recht erspart zum Beispiel trans Personen psychische Gutachten, wenn sie ihren Geschlechtseintrag ändern lassen. „Es gibt dazu unterschiedliche Auffassungen. Nicht zu LGBTQ-Fragen oder Respekt und Toleranz. Aber über Detailfragen“, sagt Schütz. Zum Thema Trans-Identität vertrete er selbst eine andere Meinung als zum Beispiel Wagenknecht, erklärt er dem Publikum in Sonneberg. Das sei aber nichts Ungewöhnliches in einer Partei, die Meinungsvielfalt lebe.

Der befürchtete rechte Gegenprotest ist hingegen nicht zu sehen. Auch Sonneberg hat mehr als eine Seite. Während die kleine CSD-Parade durch die Stadt zieht, klatschen und winken manche An­woh­ne­r:in­nen aus ihren Fenstern. Andere beäugen den CSD kritisch bis ablehnend – zum Beispiel ein halbes Dutzend Männer und Frauen, die vor einer Eisdiele um einen Tisch sitzen. Sie trinken Kaffee, Bier und Aperol. Einer von ihnen trägt ein T-Shirt auf dem „The White Race“ steht. Zu Deutsch: Die weiße Rasse. „Nein, das weiße Rennen“, behauptet der Träger.

Und wie findet er den CSD? „Wir sind von der NSDAP und finden das scheiße.“ Er blickt erwartungsvoll, es soll wohl ein Scherz sein. Aber mal im Ernst: Was hat die Gruppe gegen die Veranstaltung? Die Antworten gehen durcheinander. Aufgebracht heißt es, man habe gar nichts gegen queere Menschen. Alle könnten rumlaufen, wie sie wollten. Nur sei der CSD unnötig politisiert. „Was hat die Antifa damit zu tun?“, fragt ein Mann mit Krücken. Die Veranstaltung richte sich allein gegen den Landrat Sesselmann, das sei unfair. Ein Mann mit Sonnenbrille auf der Nase und Zigarette in der Hand zeigt aufgebracht in Richtung des CSD: „Wer soll die denn ernst nehmen?“

Sänger Yu rappt in Sonneberg gegen Nazis Foto: David Muschenich

Während der Aufregung vor der Eisdiele geht der CSD zu Ende, die Teil­neh­me­r:in­nen zeigen sich zufrieden, auch Madeleine Henfling, Vizepräsidentin des Thüringer Landtags und Spitzenkandidatin der Grünen für die Wahl am 1. September. Die gebürtige Ilmenauerin war als Rednerin zum CSD eingeladen und freut sich auch noch Tage später, dass der auf die Beine gestellt wurde. „Für Sonneberg und Südthüringen ist das überhaupt nicht selbstverständlich“, betont sie.

Für die Bündnisgrüne sei eine antifaschistische Grundeinstellung auf dem CSD selbstverständlich. „Faschistische Ideologie hat ein klares Bild von Männern und Frauen – und ihren Rollen in der Gesellschaft. Dabei negiert sie die Rechte für Menschen, die nicht diesem Weltbild entsprechen“, erklärt Henf­ling. Geschlecht und Sexualität seien politisch. „Es ist eine gesellschaftliche Frage – keine private –, wieweit geschlechtliche Identitäten akzeptiert und nicht diskriminiert werden.“

Doch nicht nur in den AfD-Hochburgen im Osten Deutschlands sind queere Menschen Anfeindungen ausgesetzt, selbst beim großen Karneval in Köln wurden Regenbogenfahnen abgerissen. In Sonneburg, berichtet Liam, sei er zwar auch schon beleidigt worden, aber es sei ihm „nie etwas krass Gewalttätiges“ passiert.