Marie-Sofia Trautmann Die Couchreporter
: In „Sunny“ verschwimmen die Grenzen zwischen Robotern und Menschen

Abb.: Stephanie F. Scholz

Spätestens seit dem Film „Her“ (2013) steht außer Frage, dass viele von uns sich in schwachen Momenten lieber mit überzeugender KI als mit niemandem unterhalten würden. „Ich wurde nur für dich gemacht“, erklärt der Roboter Sunny in der gleichnamigen neuen Apple TV+-Serie von Katie Robbins („The Affair“) ihrer Besitzerin und trifft damit einen Nerv.

Die nach Japan ausgewanderte Suzie (Rashida Jones, „The Office“) versucht, den von ihr angezweifelten Tod ihres Mannes Masa (Hidetoshi Nishijima) und Sohnes Zen durch einen Flugzeugabsturz zu verarbeiten, als der Roboter Sunny ihr als Trost von der Firma ihres Mannes überreicht wird. Analog zu ihr durchlebt die Zuschauerschaft ähnliche Gefühle diesem rundlichen und überhaupt nicht bedrohlich aussehenden Homebot gegenüber: von Irritation und Ablehnung über Misstrauen bis hin zu – Freundschaft? Liebe?

Mit ihrer Fürsorglichkeit wird Sunny fast unbemerkt zur Begleiterin von Suzie („Atmest du?“, fragt Suzie, als Sunny bei ihr im Bett schläft. „Ich dachte, das könnte dir gefallen. Ich kann auch damit aufhören“, antwortet die). Ist ihr Verhalten anfangs ausschließlich unterwürfig und bemüht („Ich muss mich noch mehr anstrengen, um dir zu gefallen“), wird sie zunehmend witzig („Salz ist der heimliche Killer, aber natürlich bringe ich dir gerne mehr Sojasauce“) und mitunter auch eifersüchtig auf Freundschaften, die Suzie zu anderen Menschen pflegt. Kurz: Sie wird menschlich.

Diese ewige Frage nach dem Kern des Menschlichen stellt „Sunny“ auf eine Weise, die genau jetzt zum richtigen Zeitpunkt kommt: Wenn sie mitleidet, Suzie abends Eier zubereitet und bis zum letzten Kampf loyaler an ihrer Seite bleibt als die meisten ihrer Mitmenschen, kommen Zweifel an Suzies anfänglichem Vorwurf, Sunny sei „keine Person, in keinerlei Hinsicht.“ Jones, die in Harvard Theologie und Philosophie studiert hat, schenkt Suzie eine melancholische Vorsichtigkeit und viel Humor. In schönen Bildern fährt Suzie mit Sunny auf ihrem Fahrrad durch das nächtliche Kyoto, beide von Mitmenschen kritisch beäugt.

Neben der Frage nach dem Menschlichen bietet „Sunny“ genussreiche Einblicke in ein realistisch-futuristisches Japan völlig ohne dystopische Abgeschmacktheiten und einen düsteren Kriminalfall rund um das Verschwinden von Masa und Zen, den Ehemann und den Sohn. Dann zitiert die Filmmusik die Titelmelodie vom japanischen Gangsterklassiker „Tokyo Drifter“ (1966) und erinnert daran, dass Sunny nicht nur trösten, sondern Suzie auch bei der Aufklärung des Komplotts um ihren Mann helfen kann. Schnell ist klar, dass er keine Kühlschränke entwickelt hat, sondern an geheimnisvollen Unterweltrivalitäten beteiligt war. Die Urangst, den Menschen, mit dem man Bett und Körper teilt, eigentlich nicht zu kennen, wird so zu kontinuierlichen Nebenlinien der Serie. Bis zum Schluss gilt das, was Masa Suzie beim ­ersten Kennenlernen gesagt hat: „Gib der Maschine nicht die Schuld.“ Die Bösen in „Sunny“ bleiben die Menschen.

„Sunny“, 10 Episoden, ab 10. Juli auf Apple TV+ wöchentlich neue Folgen

Abb.: Stephanie F. Scholz

Abb.: Stephanie F. Scholz