Schwimmen und Wassersport in Berlin: „Ertrinken geschieht leise“
Die Sommerferien bedeuten Hochsaison für die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG). Vorstandsmitglied Michael Neiße nennt es ein „lebensrettendes Hobby“.
taz: Herr Neiße, sind die Sommerferien für die DLRG die schlimmste Zeit?
Michael Neiße: Das kann man so nicht sagen. Außerdem: Was ist schlimm? Schlimm ist, wenn wir einen Toten aus dem Wasser holen müssen. Aber das passiert Gott sei Dank selten. Wir haben arbeitsreiche Tage, wenn das Wetter besonders gut ist. Aber die haben wir auch im Herbst, wenn es stürmt und die Segelboote umkippen.
Die DLRG betreibt in Berlin 26 Wasserrettungsstationen in den Bereichen Unterhavel, Oberhavel, Tegeler See und Müggelsee. Wie oft kommt es vor, dass Sie Menschen tatsächlich vor dem Ertrinken bewahren können?
Wir unterscheiden zwischen Lebensrettung und Rettung vor dem sicheren Badetod.
Michael Neiße (66) ist Projektmanager im Ruhestand. Beim DLRG Berlin, der 13.000 Mitglieder hat, leitet er die Verbandskommunikation. Neiße ist seit seinem 14. Lebensjahr bei der Lebensrettungsgesellschaft aktiv.
Was ist der Unterschied?
Wenn wir Schwimmer aus dem Wasser holen, die Schwierigkeiten haben und noch nicht untergegangen sind, wenn ein Surfer vom Brett fällt oder ein Segelboot umkippt und es sich um Nichtschwimmer oder erschöpfte Menschen handelt, sprechen wir von Lebensrettung. Das betraf im vergangenen Jahr 18 Menschen. Vor dem sicheren Badetod gerettet haben wir 8 Menschen. Sie waren schon untergegangen, wir haben sie im letzten Augenblick rausgeholt und zum Teil auch reanimiert.
Für 23 Menschen kam im vergangenen Jahr in Berliner Gewässern laut DLRG-Statistik jede Rettung zu spät. Im Jahr zuvor waren es 18. Wie viele Badetote sind in diesem Jahr bereits zu verzeichnen?
Wir haben noch keine Zahlen für das laufende Jahr, da die Statistiken erst nachlaufend erstellt werden. Die DLRG kennt auch nicht jedes Unglück, da wir ehrenamtlich arbeiten und nur in unserer Freizeit vor Ort sind.
Gibt eine generelle Aussage, die sich zu den Vorfällen treffen lässt?
Was man auf jeden Fall feststellen kann: Männer sind scheinbar immer ein bisschen risikobereiter. Auch Alkohol ist im Spiel, Überschätzung und Gruppenzwang. Es gibt die verschiedensten Gründe, warum Leute ertrinken. Manche muten sich beim Schwimmen auch zu viel zu.
Schreit ein Mensch, der ertrinkt, laut um Hilfe?
Im Allgemeinen nicht. Ich nehme mal ein Beispiel: Wenn jemand weit rausschwimmt und nicht mehr kann, wird er versuchen, all seine Kraft ins Schwimmen zu stecken, also dass er über Wasser bleibt, anstatt zu schreien. Wenn er es rechtzeitig merkt, kann er mit den Armen vielleicht noch ein Notsignal geben, dass man ihm entsprechend helfen kann. Aber normalerweise geschieht Ertrinken leise, gerade bei Kindern. Man sollte auf sie immer ein explizites Auge haben. Kleinkinder ertrinken auch in einer Pfütze, wenn sie mit dem Gesicht hineinfallen und nicht mehr rauskommen.
Das ist schon passiert?
Kinder sind schon in ganz flachen Gewässern ertrunken. Sie halten die Atmung an und ersticken dann.
Wie gut können die Berliner schwimmen?
Die allgemeine Schwimmfähigkeit ist nach wie vor schlecht. Darüber klagen wir ja schon sehr lange und daran hat sich auch nicht viel geändert. Aber das ist in ganz Deutschland so. Die Ausbildungsmöglichkeiten fehlen, viele wollen offenbar auch nicht schwimmen lernen. Und dann geschehen eben Unfälle in der Gruppendynamik, gerade auch bei Kindern und Jugendlichen. Die, die schwimmen können, springen ins Wasser, und das Kind, das nicht schwimmen kann, springt hinterher – und dann fällt ihm ein, ich kann nicht schwimmen. Das ist ganz gefährlich.
60 Prozent der Zehnjährigen können nicht zufriedenstellend schwimmen, schreibt die DLRG auf ihrer Homepage.
Wir sagen, Kinder, die ein Seepferdchen haben, sind keine sicheren Schwimmer. Sicheres Schwimmen sehen wir erst, wenn das Abzeichen in Bronze abgelegt wurde. Da ist nachgewiesen, dass man eine bestimmte Strecke sicher zurücklegen kann. Unsere Haltung ist: Kinder sollten so früh wie möglich schwimmen lernen, am besten mit vier oder fünf.
Von Eltern hört man immer wieder, dass die Schwimmkurse ausgebucht sind oder die Schwimmbäder geschlossen, weil ständig irgendwas kaputt ist.
Das mag sein, aber in Berlin haben wir im Vergleich zu anderen im Bundesgebiet trotzdem eine komfortable Situation. Aber die mangelnde Schwimmfähigkeit der Berliner zeigt, dass kein zufriedenstellender Grad erreicht ist. Wir könnten mehr Schwimmzeiten in den Hallen gebrauchen, um mehr ausbilden zu können.
Wie viele aktive RettungsschwimmerInnen gibt es bei der DLRG Berlin?
Rund 1.000 – halbe-halbe Männer und Frauen –, aber die sind natürlich nie alle zusammen draußen an den Wasserrettungsstationen. Im Schnitt sind 250 bis 300 Rettungsschwimmer am Wochenende berlinweit unterwegs. In den Sommerferien haben wir eine zusätzliche Ferienbesetzung, da unterstützen uns Jugendliche, die schulfrei haben. So können wir jetzt auch an einzelnen Tagen in der Woche draußen an den Einsatzorten sein. Am Dienstag haben wir Menschen auf der Unterhavel aus einem beinahe versunkenen Segelboot helfen können. Im Übrigen machen unsere Leute weit mehr als Lebensrettung. Das fängt bei der Versorgung einer Schürfwunde mit einem Pflaster an.
Hat die DLRG auch Nachwuchsprobleme, wie das bei ehrenamtlichen Organisationen zumeist der Fall ist?
Nachwuchs wird bei uns natürlich immer gerne gesehen, die älteren Kameradinnen und Kameraden brechen ja irgendwann auch weg. Tatsache ist: Ehrenamt hat heutzutage generell keinen hohen Stellenwert mehr. Viele Vereine klagen darüber, dass die Leute nur noch schwer dafür zu begeistern sind. Wir versuchen, aus unseren Schwimmkursen heraus Menschen zu begeistern. Das gelingt eigentlich gut, unsere Rettungsschwimmkurse sind immer komplett ausgebucht. Wir unterstützen auch die Berliner Bäderbetriebe bei der Ausbildung von Rettungsschwimmern, die auf diesem Weg ihre Saisonkräfte rekrutieren.
Auch Sie selbst sind nach wie vor draußen im Einsatz. Was treibt Sie an?
Das Schöne ist: Es ist ein lebensrettendes Hobby. Dazu kommt, dass man unter Freunden ist, man arbeitet im Team, die DLRG ist ein bisschen wie eine Familie. Und wenn man nach einem Einsatz nach Hause kommt und jemandem geholfen hat, ist das schon ein gutes Gefühl. Ich sage immer: Die Rettungsstation ist unsere Laube am Wasser, wo wir auch Menschen helfen können.
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