„Wie eine Art Freun­d*in“

Parasoziale Beziehungen zu Stars oder In­flu­en­ce­r:in­nen machen Spaß. Doch sie können in Zeiten des Rechtsrucks auch gefährlich sein, sagt die Medienforscherin Zoe Olbermann

Haben hohes Identifikationspotenzial: Selena Gomez und Justin Bieber vor ihrer Trennung Foto: Miguel Aguilar/imago

Interview Laila Oudray

taz: Frau Olbermann, als parasoziale Beziehungen werden einseitige Beziehungen zwischen dem Konsumenten und den medialen Persönlichkeiten, beispielsweise Stars oder In­flu­en­ce­r*in­nen, bezeichnet. Ist das nicht einfach ein Fan?

Zoe Olbermann: Nein, es gibt einen großen Unterschied und der liegt in der Emotion. Es fühlt sich für die Partizipierenden nämlich wie eine wirklich zweiseitige Beziehung an. Wir haben also nicht nur – anders als beim Fan-Sein – eine Beziehung zu der Medienperson, weil wir beispielsweise ihre Musik gut finden. Bei einer parasozialen Beziehung habe ich stattdessen das Gefühl, dass die Person ein Teil meines alltäglichen Lebens ist, eine Art Freund*in. Ich identifiziere mich mit ihr. Wenn die Person vielleicht betrogen wird, dann fühlt sich das für mich auch so an, als wäre ich mit betrogen worden. Ich leide mit der Person und feiere natürlich auch ihre Erfolge. Wie eben in einer Freundschaft.

Können Sie Beispiele nennen?

Da ist die Trennung von Justin Bieber und Selena Gomez in 2018. Bis heute sagen sich Fans: „Okay, Justin Bieber darf nicht mit Hailey Bieber zusammen sein und eigentlich darf er niemand anderen lieben als Selena Gomez.“ Da kommt es zu Anfeindungen, weil die Leute eine so starke parasoziale Beziehung zu Selena Gomez haben, dass sie sich bis heute eigentlich von Justin Bieber mit betrogen fühlen. Natürlich ist die Zweiseitigkeit in Wirklichkeit nur eine Illusion und man weiß eigentlich nichts über ihr Privatleben. Trotzdem fühlt es sich es an, als wäre Selena Gomez eine Freundin. Und nach der Trennung hat man nun mal auch ein schlechtes Verhältnis zu ihrem Ex-Partner.

Ich erinnere mich noch an die Trennung von Take That und wie sehr das die Fans mitgenommen hat. Eigentlich sind parasoziale Beziehungen nichts Neues oder hat sich da etwas verändert?

Social-Media-Plattformen liefen eine neue Ebene von Nahbarkeit. Das hat große Auswirkungen. Je nahbarer, je zugänglicher ich Medienpersonen nämlich wahrnehme, desto schneller entstehen parasoziale Beziehungen und desto intensiver werden sie auch. Und schon wie Instagram und Tiktok funktionieren, fördert das parasoziale Beziehungen. Sobald wir uns auf Tiktok ein Video, was in unserem Feed landet, zu lange angucken, sind wir in der Algorithmus-Bubble gefangen. Das heißt, wir schauen uns ein Taylor-Swift-Video an, schauen uns das vielleicht nochmal ein zweites Mal an, weil uns das jetzt gut gefallen hat, und sofort spielt uns der Algorithmus nur noch Taylor-Swift-Content aus. Und das führt natürlich dazu, dass wir in sehr kurzer Zeit sehr, sehr viele Medienrezeptionssituation mit Taylor Swift haben. Und das kann zu einer engen parasozialen Beziehung führen. Das bedeutet, das Phänomen an sich ist nicht neu, aber es funktioniert, wie so vieles irgendwie durch Social Media, in viel kürzerer Zeit, viel schneller und viel intensiver.

Einige Künst­le­r*in­nen und In­flu­en­ce­r*in­nen scheinen es darauf anzulegen, parasoziale Beziehung aufzubauen und sich nahbar zu zeigen. Sie gehen zum Beispiel live, zeigen ihre Häuser, ihre Morgenroutine etc. und nehmen die Leute in ihren angeblichen Alltag mit. Warum ist das so interessant für Künstler, so eine intensive Fanbasis aufzubauen?

Wir wissen aus der Forschung, dass freundschaftliche parasoziale Beziehungen für die Künst­le­r*in von Vorteil sein können. Dadurch werden sie als sympathischer, vertrauenswürdiger und glaubwürdiger wahrgenommen. Je stärker die parasoziale Beziehung ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass der Rezipient, die Produkte, die die diese In­flu­en­ce­r*in­nen bewerben, kaufen. Das bedeutet bei einer Künstler*in, zu der wir eine starke parasoziale Beziehung haben, gehen wir eher auf ein Konzert, kaufen uns eher das Album, bestellen uns eher Merch-Produkte, und das geht auch in so einen politischen, aktivistischen Kontext über.

Wie meinen Sie das?

Wir wissen aus Studien zu Greenfluencer*innen, also Influencer*innen, die ein umweltbewusstes Leben bewerben, dass parasoziale Beziehungen auch unser umweltpolitisches Engagement fördern. Das heißt, wir übernehmen quasi so ein bisschen die Einstellungen von den Personen und handeln auch dementsprechend. Wir wissen aus der Forschung, dass parasoziale Beziehungen einen Einfluss darauf haben, wie wir Aussagen und Botschaften von den Medienpersonen verarbeiten. In der Forschung sprechen wir von der sogenannten oberflächlichen Verarbeitung. Das bedeutet, dass wir auf einmal nicht mehr gucken, ob das gute Argumente sind, die die Person verwendet. Wir machen keinen Faktencheck. Wir achten nicht darauf, was für Quellen sie verwendet oder ob sie überhaupt Quellen verwendet. Man kann sich diese parasozialen Beziehungen wie so einen Deckmantel des Vertrauens vorstellen, die sich über die Aussagen legen. Und das ist für die Medienperson natürlich von Vorteil, aber gleichzeitig natürlich, vor allem im gesellschaftspolitischen Kontext, auch wahnsinnig gefährlich.

In den letzten Wochen wurde sehr viel über den Einfluss von Social Media, gerade Tiktok, auf das Wahlverhalten der Erst­wäh­le­r*in­nen diskutiert. Welche Rolle spielen parasoziale Beziehungen in dem Kontext?

Auf Social Media posten Po­li­ti­ke­r*in­nen auch nicht politischen Content. Wir sehen, wie Markus Söder bei McDonald’s sitzt, wie Manuela Schwesig mit der Tochter im Urlaub ist oder wie Hendrik Wüst für seine Familie kocht. Das heißt, Po­li­ti­ke­r*in­nen stellen sich in Alltagssituationen dar, um Nahbarkeit, Zugänglichkeit und Ähnlichkeit zu präsentieren. Dieses Gefühl der Ähnlichkeit und der Nahbarkeit fördert parasoziale Beziehungen und kann dazu führen, dass wir Aussagen der Politiker*innen, um die es ja eigentlich gehen sollte, vielleicht nicht mehr kritisch hinterfragen, sondern denken: „Ah, die Person wirkt so sympathisch.“ Das ist nicht neu, sondern nur eine Weiterentwicklung der „Homestorys“ von früher. Spannend ist, dass die AfD ganz anders verfährt.

Ich habe auch nicht das Gefühl, dass beispielsweise Maximilian Krah zeigt, wie sein Haus oder sein Tagesablauf aussieht.

Das stimmt. Wir haben uns im Zuge der Europawahl in einem Seminar mit Studierenden die unterschiedlichen Tiktok-Accounts der Parteien angeschaut. Auffällig war, dass der Account der AfD der, ich sage mal, unpersönlichste war. Jeder Post erhielt eine politische Botschaft: knackige Slogans, völlig übertrieben, völlig aus dem Kontext gerissen, aber eben eine politische Aussage. Die parasozialen Beziehungen finden stattdessen über In­flu­en­ce­r*in­nen statt.

Können Sie das näher erläutern?

Im Umkreis der AfD tummeln sich viele Influencer*innen, bei dem über das Profil eben nicht zu erkennen ist, dass die Person AfD-Mitglied ist. Auch wird jetzt nicht unter jedem Post direkt ein blaues Herz gepostet. Es kann stattdessen erst einmal ganz allgemein um Alltagsthemen gehen: Da ist das erste Bild ein Blick auf den Strand, das zweite ein Bild vom Essen. Also erst mal typisch Influencer*in. Dann kommen ab und an eben rechtspopulistische, rassistische und diskriminierende Aussagen. Das ist natürlich dann besonders gefährlich. Zu dem Zeitpunkt besteht potentiell bereits eine parasoziale Beziehung und die Use­r*in­nen vertrauen der rechten In­flu­en­ce­r*in und hinterfragen die Aussagen weniger. Zudem ist es gerade für die jungen Nut­ze­r*in­nen nicht ersichtlich, dass es einen Zusammenhang zu einer rechten Partei gibt und diese Aussagen nicht von der netten In­flu­en­ce­r*in stammen.

Das funktioniert?

Foto: Uni Würzburg/ D. Hütter

Zoe Olbermann ist Mitarbeiterin am Arbeits­bereich Medien- und Wirtschaftskommunikation der Uni Würzburg. Sie erforscht die Rezeption von Social Media.

Es ist tatsächlich die schlauere Strategie. Diese klassischen „Homestorys“ von Po­li­ti­ke­r*in­nen von anderen Parteien, mit denen sie sich als nahbar darstellen wollen, funktionieren nicht immer. Es kann sogar sehr schnell als lächerlich wahrgenommen werden. Dahingegen folgen viele junge Leute In­flu­en­ce­r*in­nen und kennen daher diese Art und Weise der Kommunikation sehr gut. Sie können sich mit ihnen viel besser identifizieren und die Aussagen wirken authentischer. Das kann dazu führen, dass dann eben die Ansichten der In­flu­en­ce­r*in teilweise übernommen werden.

Das klingt gefährlich, aber auch schwierig zu überwinden. Die Plattformen sind dagegen wohl machtlos, oder?

Genau. Auf Instagram hat man die Möglichkeit, politischen Content aus dem eigenen Feed zu verbannen. Wenn man aber wie die AfD eben über „klassische“ In­flu­en­ce­r*in­nen geht, politische Schlagwörter vermeidet und auf die parasoziale Beziehung zu den Use­r*in­nen setzt, kann man diesen Filter ziemlich gut umgehen. Heißt, ihre Botschaften kommen durch, die der anderen Parteien nicht.

Gibt es Möglichkeiten für Eltern oder Leh­re­r*in­nen, da einzugreifen?

Es ist erforderlich, dass diese Strategien in Schulen thematisiert wird. Die Schü­le­r*in­nen sollten darüber aufgeklärt werden, dass es keine authentische Meinungsaussage von einer netten In­flu­en­ce­r*in ist. Dahinter stecken Teams, die sich genau überlegen, wie sie die Use­r*in­nen für sich gewinnen können. Außerdem sollte es die Möglichkeit geben, im Geschichtsunterricht virale Aussagen aus Social Media zu besprechen. Es ist wichtig, dass man beim Thema Propaganda nicht nur eine Rede aus der NS-Zeit analysiert. Man sollte zusätzlich auch mal so einen Account anschauen und die Werkzeuge dieser politischen Kommunikation analysieren.