kunstraum
: Auf Messers Schneide

Zum 80. Geburtstag würdigt das Palais Populaire die ungestüme Künstlerin Galli mit einer Werkschau

Galli, 1-Horn, 1984, Gouache, Kreide auf Leinwand, 135 x 115 cm, Sammlung Deutsche Bank, Deutsche Bank Collection Foto: Mathias Schormann, Courtesy the artist

Ein weiblicher Akt hält triumphierend seinen abgetrennten Kopf in die Höhe, das ist vielleicht besonders krass, aber es gibt auch abgeschlagene Hände und Hufe, die auf dem Boden liegen, durchbohrte, aufgespießte Körper und abgetrennte Arme. Es geht grausam zu, in den Zeichnungen und Gemälden von Galli. Aber nicht nur. Es gibt auch leidenschaftliche Umarmungen, so innig, dass die Körper miteinander verschmelzen, wunderbare Tiere und fantastische Fabelwesen, wobei die einen von den anderen oft kaum zu unterscheiden sind, und Pilze, vor allem aber Hocker, auch zu den lebendigen Wesen zählen.

Es braucht die Grausamkeit, die mit der entschiedenen Geste korrespondiert, mit der die Künstlerin ihre Figuren und ihre Farben auf die Leinwand setzt. Denn Bilder können wie Galli sagt, „entsetzlich schön“, also perfekt sein – und dagegen muss etwas getan werden. Für Anna-Gabriele Müller wie Galli mit bürgerlichem Namen heißt, ist Kunst eine viel zu vitale Angelegenheit, um in Schönheit zu sterben – oder in Schrecken. Die Malerei hält alle Mittel bereit, auf des Messers Schneide zu agieren. „Je schräger die Farbgebung ist, umso reizvoller ist es … sporadisch geht das in Geschmacklosigkeit über“, wird sie an der Wand im Palais Populaire zitiert. Dort ehrt die Kunstabteilung der Deutschen Bank die in diesem Jahr 80 Jahre alt gewordene Künstlerin mit der Ausstellung „Seht zu, wie ihr zurechtkommt.“

Die im Saarland geborene Galli kam 1969 zum Studium an die HdK nach Berlin. Schon in dieser Zeit entwickelte sie ihren expressiven, ungestümen Malerstil, mit dem sie später zu den Neuen Wilden gezählt wurde, deren rasanter Aufstieg Ende der 70er Jahre mit ihren ersten Ausstellungen und Erfolgen zusammenfiel. Dann wurde sie aber, wie bei Künstlerinnen die Regel, vergessen. Um im hohen Alter als Pionierin auf ganz eigenen Wegen erkannt zu werden, Maria Lassnig viel näherstehend als Rainer Fettig oder Salomé. Oft wird die radikale Körperlichkeit ihrer Figuren mit ihrer Kleinwüchsigkeit in Verbindung gebracht, wozu sie sagt: „Das ist klar, aber es ist zu kurz gegriffen, wenn man es zu sehr auf die Kleinwüchsigkeit bezieht. Der Körper als Schlachtfeld, das betrifft jeden.“

Und wie man in einem ihrer von Videos begleiteten Künstlerbüchern sehen kann, skizziert Galli eben auch das genüssliche Wannenbad. Allein die laufende Waschmaschine und der beladene Wäscheständer wären in feministischer Lesart als eine erweiterte Kampfzone auszumachen. Gallis Kunst ist vielschichtig, das zeigt die zentrale Arbeit der Ausstellung. Auf den rund 80 „Index Cards“ (2002–06), Karteikarten mit Zeichnungen auf der Vorder- und Rückseite, erhält dieser häusliche Alltag künstlerische Größe und aus den blutigen Fragmenten erwächst die Zärtlichkeit der Farben und der Zauber der Dinge.

Bis 7. Oktober, Palais Populaire, Unter den Linden 5, Mi.-Mo. 11–18 Uhr, Do. 11–21 Uhr

Brigitte Werneburg