Welt-Aids-Konferenz: Let’s talk about Sex

HIV und Aids sind weitgehend aus dem Bewusstsein verschwunden. Soll die Krankheit nicht grassieren, muss öffentlich über Sex gesprochen werden.

Besucher*innen der 25. Welt-Aids-Konferenz lassen sich auf dem Messegelände vor dem Haupteingang fotografieren

Wer Aids nicht grassieren lassen will, muss öffentlich über Sexuelles sprechen Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Aids ist keine Bagatellinfektion, auch wenn das Thema inzwischen kaum mehr Aufregung verbreitet als der Ausbruch einer Schweinegrippe irgendwo in Europa. Oder anders formuliert: Aids, die potenziell tödliche Infektionskrankheit, ist ziemlich weit weg. Weniger als 2.000 Menschen stecken sich jährlich mit dem HI-Virus an. Aber sie sind durch eine Fülle von Medikamenten so geschützt, dass es bei ihnen nicht zu einem Zusammenbruch des körpereigenen Immunsystems kommen muss.

Aids ist zu einer Langfristerkrankung geworden, wie es Diabetes schon lange ist: Jene, die erkrankt sind, müssen sich lebenslänglich medikamentös einstellen, aber geheilt werden sie durch pharmakologische Interventionen im Leben nicht mehr. Zu einer Pandemie ist Aids in volkswirtschaftlich wohlhabenden und gesellschaftlich liberalen Staaten nie geworden. Und das, weil vor allem schwule Betroffene der Pharmaindustrie vor 40 Jahren Beine gemacht haben, damit diese aus durchaus an Homosexuellen desinteressierten Gründen nicht mit der Entwicklung von Medikamenten aufhört.

Der Fortschritt in Sachen Aids-Bekämpfung war auch die Folge von sexueller Aufklärung: Wer Prävention wollte, musste über sexuellen Praktiken sprechen. In Ländern wie Russland und Belarus, aber auch in arabischen und afrikanischen Staaten, in denen Minderheiten, schwule Männer, Sexarbeiterinnen*, Drogenabhängige verfolgt und stigmatisiert werden, konnte die Infektionskrankheit nicht eingedämmt werden. Allein deshalb, weil Homosexualität dort so repressiv diskriminiert und jede Aufklärung über Infektionswege sowie ihre Verhütung verhindert wird. Es ist nicht verwunderlich, dass solche Länder höchste Infektionsraten aufweisen.

Das ist die wichtigste Botschaft, die von der 25. Welt-Aids-Konferenz in München ausgehen sollte. Sie ist bedeutender als jedes Reden über pharmakologische Fortschritte: Wer Aids nicht grassieren lassen will, muss öffentlich über Sexuelles sprechen. Das wäre eine politische Botschaft von Wucht – keine andere verdient es, so deutlich formuliert zu werden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin,und des taz Talks, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders des Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan, aktuell auch noch Bayer-Leverkusen-affin. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.