kunstraum
: Reisen in der Dämmerung

Esther Schipper öffnet ihre Räume für eine umfangreiche Malereiausstellung. Bei Max Goelitz hebt Ju Young Kim ab

Ausstellungsansicht: Twilight is a Place of Promise, Esther Schipper, Berlin, 2024 Foto: Courtesy the artist and Esther Schipper, Berlin / Paris/Seoul, Photo © Andrea Rossetti

Die Frau hat ihren Be­trach­te­r*in­nen den Rücken zugewandt. Sie ist nackt, sitzt breitbeinig auf einem Stuhl, aufrecht, mit der Brust an der Rückenlehne. Sie zeigt ihr Hinterteil, aber weder Brust, noch Geschlecht, während sich im Hintergrund üppige rote Tulpen in einer Bodenvase in die Höhe recken. Ganz bei sich wirkt die Frau, stark und schön, kein bisschen gefällig. Das Bild stammt aus dem Jahr 1966. Gemalt hat es Pan Yuliang, geboren 1895 in China, gestorben 1977 in Paris. Pan Yuliang gilt als erste chinesische Malerin, die im westlichen Stil arbeitete. Ihre Werke, bevorzugt weibliche Aktgemälde und -Zeichnungen, bei denen es sich oft um Selbstporträts handelt und mit denen sie dem male gaze ihrer Zeitgenossen ihren eigenen entgegensetzte, sind inzwischen in einigen Sammlungen vertreten, stießen zu ihrer Zeit jedoch in China auf Ablehnung. Wegen ihrer Sujets und wegen Pan Yuliangs Vergangenheit als Prostituierte. Zu sehen sind zwei davon gerade in der Gruppenausstellung Twilight is a Place of Promise bei Esther Schipper.

Versammelt sind dort Werke von 19 Malerinnen, internationaler Herkunft, divers auch in Bezug auf ihr Alter. Pan Yuliang ist die älteste unter ihnen, die nigerianisch-amerikanische mittlerweile in Berlin lebende Künstlerin Monilola Olayemi Ilupeju, geboren 1996, die jüngste. Ilupeju ist unter anderem mit einem sensiblen Porträt ihrer Mutter vertreten, abgemalt vermutlich von einer Fotografie. Es zeigt die Mutter als junge Frau, kurz nachdem sie in die USA ausgewandert ist. Etwas verkrampft sitzt sie auf einem Lehnstuhl, blickt unsicher aus dem Bild und in eine ungewisse Zukunft. Surrealer hingegen die Bilder von Bettina von Arnim, über die sich geometrische Landschaften erstrecken, oder auch jene von Huguette Caland, in denen sich Körper in Linien und Formen aufzulösen scheinen.

Fast schon musealen Umfang hat die Schau. Lose knüpft sie an „L’Invitation au voyage“ an, die ebenfalls rein weiblich besetzten Ausstellung der Galerie aus dem Frühling 2021, die damals, während Covid, als das Fernweh groß war, mehr oder weniger direkt vom Reisen erzählte. Gewissermaßen auch an die Überblicksschau zu zeitgenössischer Kunst aus Südkorea „Dui Jip Ki“, die bei Esther Schipper im vergangenen Sommer zu sehen war. Eine schöne Tradition scheint sich da zu entwickeln, mit kuratierten Ausstellungen das Programm zu erweitern.

„Twilight is a Place of Promise“. Esther Schipper, bis 24. August, Di.–Sa. 11–18 Uhr, Potsdamer Str. 81 E, www.estherschipper.com

Ju Young Kim: „Aeroplastics“. Max Goelitz, bis 27. Juli, Do.–Sa. 13–18 Uhr, Rudi-Dutschke-Str. 26, www.maxgoelitz.com

Auf andere Art und Weise abgestimmt auf die Jahreszeit ist die aktuelle Ausstellung bei Max Goelitz. Ju Young Kim, geboren 1991 in Seoul, zeigt dort ihre erste Einzelausstellung. Erst kürzlich hat die Künstlerin ihren Abschluss an der Kunsthochschule in München gemacht – und ist schon bereit abzuheben. „Aeroplastics“, der Titel deutet es schon an: Die Künstlerin arbeitet mit Flugzeugteilen. Hightechversatzstücke ausgesonderter Flieger kombiniert sie mit Bleiglaselementen, wie man sie aus dem Jugendstil kennt, beispielsweise tauscht sie die Scheiben von Flugzeugfenstern mit solchen aus. In die Mitte des großen Galerieraums hat die Künstlerin einen Flugzeug-Dreisitzer platziert, reduziert nur auf die Aluminiumschalen. Besonders bequem wäre es nicht, auf diesen den Atlantik zu überqueren, die Souvenirs sind dafür schon da: Auf einem Tabletttisch hat Ju Young Kim in Bronze gegossene Miesmuschelschalen arrangiert. Verbirgt sich in ihrer Anordnung womöglich eine Botschaft? An nautische und aeronautische Karten erinnern wiederum die Elemente, die sie in einen Bordtrolley eingesetzt hat. Was ist das Ziel der Reise? Es scheint eigentlich nicht darauf anzukommen. Was Ju Young Kim liefert, sind formschöne, präzise konstruierte Metaphern für die Übergänge, die Transferzustände des Lebens. Beate Scheder