Paris am Allerliebenswertesten

Aus dem Leben der größenwahnsinnigen und unregierbaren Wuselmetropole Nummer eins, irgendwo zwischen Wahlen und Olympia

Das Motto von Paris: „Fluctuat nec mergitur“: Schwankt, aber sinkt nicht. Stimmt genau Foto: HWO

Aus Paris Harriet Wolff

„Madame, Madame, gucken Sie, die Flamme, die Flamme!“ Madame sieht: nichts. Es hat mal wieder gestürmt, geregnet, geblitzt und gedonnert in der Kapitale des Hexagons, wo derzeit nicht nur wettertechnisch unruhige Zeiten herrschen. Nun brennt für gefühlt drei Minuten an diesem Mittag eitler Sonnenschein vom präolympischen Himmel, Trikolorefähnchen werden geschwenkt, hier im Bezirk der Reichen und geht so Schönen – hier im 16. Pariser Stadtbezirk, wo auch schon Ex-Staatspräsident Nicolas Sarkozy an die heimische Fußfessel gelegt worden war.

Jetzt darf er wieder frei flanieren, kein Wort verliert er vor den Kulissen über die jüngsten und größten Kuddelmuddelparlamentswahlen Frankreichs nach 1945. Der derzeitige Amtsinhaber Emmanuel Macron hat sich samt seiner liberalen Renaissance-Partei, und ohne dass ihm das Wasser politisch bis zum Hals stand, durch die von ihm befehligten Neuwahlen mal eben um rund 100 Sitze seiner früheren relativen Mehrheit in der Nationalversammlung gebracht. Und die Ultrarechten von Marine Le Pen sind stärkste eigene Fraktion geworden – la vie pas en rose.

Hinter den Kulissen, so munkelt Paris, berät der stramm konservative Sarkozy seinen ins große Straucheln geratenen Intimus Emmanuel Macron, der immer schon rechter war, als er mittig sich gegeben hat. Macrons Flamme ist Stand jetzt, denn in Frankreich weiß man nie, am Erlöschen – und ach ja, die Flamme, die Flamme! Das olympische Feuer!

Davon wollten wir doch anfangs erzählen, an diesem mal wieder hibbelig geschäftigen Pariser Mittag, kurz bevor gefühlt tout Paris die Stadt fluchtartig verlässt und sie avec plaisir den ankommenden Olympiatouristen überlässt. Es verhält sich nämlich so: Zur großen Ehre der XXXIII. Olympischen Spiele, die nach 1900 und 1924 zum dritten Mal im Eiffelturmparadies an den Start gehen, rennen seit einigen Tagen frische und weniger frische Olympioniken und Olympionikinnen, rennen Stars und Sternchen quer durch die Stadt, um mit der Flamme in der hoch erhobenen Hand von A nach B zu gelangen.

Die Flamme sieht wahlweise aus wie ein kleines Grubenlicht, ein etwas größeres Grablicht oder eine sportliche Urne, golden schimmernd, vielleicht hätte sie auch Kaiser Franz, dem Beckenbauer gefallen. Obwohl – zu unscheinbar, hatten wir uns doch schon eine riesige Jahrmarktgrillpfanne voller Athletenfeuer erhofft zu bestaunen.

Und jetzt das! Rein gar nichts erhaschen wir vom bescheidenen Flämmchen, weil hier an der Metrostation Passy, und wie schon all die Tage zuvor, immer und überall Menschen intra muros Paris herumwuseln. Extra muros, jenseits des allzeit verstauten Périphérique, des Stadtautobahnrings, sind es auf der Insel von Frankreich, der Île de France, übrigens rund fünfmal so viele, nämlich in doppelter Ruhrpottstärke über zehn Millionen Menschen, auf die das Paris, das innerhalb der Mauern wohnt, gern mal unsportlich arrogant hinabschaut.

Fast alle treffen sie sich dann wieder auf der Stadtstaubahn, auch um gemeinsam gehetzt in den Jahressommerurlaub zu starten. Die schwarz-weißen Pariser Wimmelbilder des großen, vor zwei Jahren erst verstorbenen Jahrhundertzeichners Sempé, sie sind schlicht nichts dagegen.

Aber wir wollen hier nicht granteln! Im historischen Zen­trum von allem zu sein und sich stets und immer dafür zu halten, das aber auf liebenswert zickige Weise, ist schweres Pariser Los. Zumal les Bleus es jüngst auch nicht eingelocht haben bei der Fußball-Europameisterschaft jenseits des Rheins.

„Oui, c’est difficil“, wie es der Zeitungshändler meines Vertrauens inmitten von allem, was blinkt und quatscht auf den simplen Punkt bringt. Es ist halt, verflixt und zugenäht, auch wirklich gerade: schwierig.

Obwohl, stopp! Am vergangenen Sonntag, dem hiesigen Großnationalfeiertag, schien morgens die Sonne und alles schien: easy! Emmanuel Macron samt Frau Brigitte sowie die noch amtierende, hübsch zerstrittene Regierung unter Noch-Premierminister Gabriel Attal hatten sich ausgehfein gemacht. Ging es doch zur Abnahme der Nationalfeiertagsparade.

Im historischen Zentrum von allem zu sein, und sich dafür stets und immer zu halten, ist ein äußerst schweres Los

Dort kommt alles, aber auch alles an Mensch und Material zur Präsentation, was Uniformknöpfe und Federbüsche besitzt, was laufen, schießen, marschieren und fliegen kann – und vor allem: Orden, jede Menge Orden werden spazierengeführt. Ein großes Spektakel fürs Volk – und wir mitten drin, wenn schon nicht auf der Avenue Foch, wo dieses Jahr die Parade tagte, dann doch an einem nahegelegen Platz, wo sich gut die blau-weiß-rote Baskenmütze und der Rosé in die Lüfte schwingen ließen. Tuchfühlung mit Paradisten eingeschlossen.

Am Wölkchenhimmel zogen Doppeldeckerflugzeuge vorbei, auf dem Asphalt hochdekorierte Feuerwehrleute. Alle wirkten sie noch leicht verkatert, kein Wunder, denn am Abend zuvor gibt es die laute und alte Tradition der öffentlichen Feuerwehrbälle. Das muss man sich ein bisschen wie Kölner Karneval in Paris vorstellen – alle sind sehr betrunken, doch wenigstens mit Champagner, und im Unterschied zu Köln werden auch keine schlimmen Lieder gesungen, sondern nur schlechte.

Tja, was sollen wir abschließend nun sagen – die Parade und der Ball waren wirklich ­äußerst superb, allein, wir wurden gelangfingert von Pickpockets, futsch die Bankkarte. Und bis wir sie dann sperren konnten, wurde auch gleich schön abgehoben davon durch die gemeinen Langfinger. Warmlaufen wohl für die kommenden Olympia-Touristen – Paris am Allerliebenswertesten! Wir kommen trotzdem retour, mon amour.