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Rauswurf nach 73 Jahren

Das Café Berio im Schöneberger Regenbogenkiez steht vor dem Aus. Der Vermieter weigert sich, den Mietvertrag zu verlängern. Proteste haben bislang wenig bewirkt

Von Andreas Hergeth

Von außen betrachtet, sieht alles wie immer aus. Das Café Berio ist an diesem Sommernachmittag gut besucht, fast alle Plätze im Freien sind belegt. Die alten Dielen im Café selbst knarren wie eh und je. Hier liegen auch die Protestschreiben aus, auf den Tischen rufen DIN-A4-Blätter in Klarsichtfolie dazu auf, sich an einer Onlinepetition zu beteiligen: „Rettet das Berio! Stoppt die Verdrängung! Erhaltet den Regenbogenkiez!“ Zu den ersten, die die Petition unterstützten, gehörten Filmregisseur Rosa von Praunheim und Politiker wie SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert. Rund 14.000 haben bis Donnerstagmittag bereits unterzeichnet.

Das freut Karsten Schork. Der Inhaber des Café Berio würde hier in der Schöneberger Maaßenstraße 7, mitten im Regenbogenkiez zwischen Nollendorf- und Winterfeldtplatz, gern weitermachen. Doch das ist Wunschdenken. Denn „der Mietvertrag läuft zum 30. September einfach aus“, sagt Schork. Das wäre an sich nichts Ungewöhnliches. Gewerbemietverträge sind in der Regel befristet. „Seit Jahren habe ich immer wieder das Gespräch mit den Eigentümern gesucht. Aber völlig vergeblich. Es gab kein Gespräch und damit auch keine Einigung. Mitte September sind wir hier raus.“

Auch auf verschiedene Medienanfragen und Briefe von Politikern reagieren die Hauseigentümer nicht. Allein Jan-Marco Luczak, der für die CDU im Bundestag sitzt und sich an den Vermieter wandte, bekam eine schriftliche Reaktion. Gebracht hat es nichts, sagt Schork im nüchternen Ton. Dennoch schwingt Enttäuschung mit. Landespolitiker wie Klaus Lederer, der queerpolitische Sprecher der Linksfraktion, hätten von sich aus im Café vorbeigeschaut und gefragt, wie man helfen könnte.

Auch Grüne, SPD und Linke in der Bezirksverordnetenversammlung Tempelhof-Schöneberg haben sich in einer gemeinsamen Erklärung für das Café Berio starkgemacht. Mit einem gemeinsamen Antrag wollen sie bei der nächsten BVV-Sitzung nach der Sommerpause noch einmal alles für den Erhalt versuchen. Das Bezirksamt soll sich bei der Hauseigentümergemeinschaft des Gebäudes dafür einsetzen, den Vertrag zu verlängern. Mit dem Antrag appelliere die BVV zudem direkt an die Eigentümer, den Mietvertrag mit dem Cafébetreiber zu verlängern und „so den Fortbestand dieses für den Regenbogenkiez unverzichtbaren kulinarischen und kulturellem Treffpunkts zu sichern“, so Elias Joswich, der queerpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion.

Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner will auch in diesem Jahr am Christopher Street Day (CSD) in der Hauptstadt teilnehmen. Ob der CDU-Politiker die Parade am 27. Juli eröffnet, ist aber nach wie vor unsicher, teilte die Sprecherin der Senatskanzlei, Christine Richter, mit. Es liege derzeit noch keine Anfrage oder Einladung des CSD vor.

Eigentlich gehört die Eröffnung durch den Senatschef oder die Senatschefin schon fast zur Tradition. Der Trägerverein des CSD hatte zuletzt aber mehrere Forderungen gestellt, die der CDU-Politiker und der Senat zunächst erfüllen sollen. Der Verein verlangt unter anderem, dass sich Wegner über eine Bundesratsinitiative für die Erweiterung des Grundgesetz-Artikels 3 um das Merkmal sexuelle Identität starkmacht. Genau das hatte er bei der CSD-Eröffnung im vergangenen Jahr zugesagt. Passiert ist seither wenig.

Konkret heißt es im Forderungskatalog des CSD: „Auf Worte müssen nun Taten folgen. Auf Bundesebene blockiert insbesondere die CDU das Vorhaben.“ Es sei an der Zeit, dass Wegner den Druck auf die eigene Partei erhöhe.

Als Wegner Anfang Juli die Regenbogenflagge am Roten Rathaus hisste, sprachen Vertreter:innen des CSD-Trägervereins ihn auf ihr Anliegen an und überreichten ihm ein Plakat mit ihren Kernforderungen. Für Donnerstag war ein Gespräch im Roten Rathaus geplant, bei dem auch über Forderungen gesprochen werden sollte. Ergebnisse des Gesprächs lagen zu Redaktionsschluss noch nicht vor.

Zum diesjährigen Berliner CSD in Berlin erwarten die Organisator:innen rund 500.000 Menschen. Die Parade ist eine der größten Veranstaltungen der LGBTIQ*-Community in Europa. (taz, dpa)

Karsten Schork ist seit 1985 Inhaber der queeren Institution mit langer Tradition. Das Café heißt bereits seit 1970 „Berio“ – übrigens eine eingetragene Marke – und besteht mit dem Vorläufercafé namens „Maurer“ seit 1951. Nach 73 Jahren soll also Schluss sein. „Mit schwerem Herzen und tiefer Enttäuschung müssen wir euch mitteilen, dass wir gezwungen sind, Mitte September unsere Türen für immer zu schließen“, heißt es auf der Homepage. Rund 20 Mitarbeitende verlieren ihren Job.

Schork sieht die Sache realistisch. „Ich kenne ja meine Papiere“, sagt er. „Von daher bin ich nicht überrascht vom Ende des Mietvertrages. Wir wollten im Café schon vor Jahren sanieren, haben aber nie einen Termin bekommen, um das zu besprechen.“

Die Kundschaft weiß von der bevorstehenden Schließung bereits seit Ostern. „Viele Stammgäste“, erzählt Schork, „waren persönlich erschüttert, viele verbinden mit dem Berio eine ganz eigene Geschichte, viele würden alles tun, damit wir nicht schließen.“ Zum Beispiel für die Petition werben und daran teilnehmen. Das würde von der engen Bindung vieler Stammkunden zeugen.

„Unser Café ist eben nicht nur ein gastronomisches Zentrum, sondern auch ein Ort der Begegnung, des Austauschs und der Gemeinschaft“, sagt Schork. Auch habe man keineswegs nur queere Gäste. „Zu uns kommen alle, Heteros, Familien, Freaks und Kreative, auch Prominente, die hier nicht weiter auffallen und inkognito ihren Aufenthalt genießen können. Hier geht es extrem tolerant zu.“

Wie zur Bestätigung kommt Diane Wolf die Treppe zum Obergeschoss hoch, sie ist eine halbe Stunde zu früh dran, entschuldigt sie sich bei Schork. Die beiden kennen sich gut, Wolf ist eine Stammkundin. Sie will in einem Separee alles für die Geburtstagsfeier ihrer Tochter Dominique vorbereiten und hat Zeit für ein kurzes Gespräch.

„Als ich davon gehört habe, habe ich geweint, meine Tochter auch“

Diane Wolf, Stammgast

Diane Wolf ist etwa seit Ende der 1980er Jahre zu Gast im Berio. „Ich war regelmäßig zum Frühstück mit einer Freundin hier und nachdem unsere Tochter 1991 geboren wurde, sind wir echte Stammgäste geworden.“ Die Wolfs feiern hier Geburtstage und andere Feste, auch eine Hochzeit. Manchmal schauen sie auch nur kurz vorbei, wenn sie auf dem Winterfeldtmarkt einkaufen waren. Sie wohnen in Steglitz, die Tochter seit ein paar Jahren im Regenbogenkiez. „Das Berio war schon immer unser Wohnzimmer.“Wie geht es ihr mit der bevorstehenden Schließung? „Ich bin traurig, ich bin wütend. Als ich davon gehört habe, habe ich geweint, meine Tochter auch. Für uns ist das ganz schlimm.“ Sie wird die herzliche Atmosphäre vermissen.

An der Stelle mischt sich ihr Ehemann ins Gespräch ein. „Die Kündigung dieses Etablissements macht für den Hauseigentümer wirtschaftlich gar keinen Sinn“, sagt Peter Wolf. Schließlich stehe das Haus unter Denkmalschutz – und das würde bauliche Veränderungen erschweren. Wolf spricht von der „Gier der Hauseigentümer“ und „Exzessen im Gewerbemietenmarkt“, denen das Land Berlin entschlossenen entgegentreten müsse. „Ich wünsche diesem Hauseigentümer und seinem Verwalter einen sehr genauen Steuerprüfer, einen sehr pingeligen Denkmalschützer und auch einen Sachbearbeiter, der dieses Geschäft oder das ganze Haus hinterher für die Neufestsetzung der Grundsteuer zu bewerten hat, der alle Möglichkeiten ausschöpft, die das Gesetz zulässt.“ Peter Wolf muss es wissen, er sagt, er sei pensionierter Finanzbeamter.

Die nahende, scheinbar unabwendbare Schließung des queeren Traditionscafés ist in Berlin beileibe kein Einzelfall. Auch queere Kneipen und Restaurants sind von der allgemeinen Wirtschaftsmisere betroffen, sagt Schork. „Hauseigentümer machen in ihren Entscheidungen immer wieder Fehler und haben einen entscheidenden Einfluss darauf, wie sich die Kieze entwickeln, weil sich wegen immer weiter steigender Gewerbemieten die falschen Gewerbe ansiedeln und alteingesessene Betriebe das Nachsehen haben.“

Den Kopf in den Sand zu stecken, ist nicht sein Ding: Berio-Betreiber Karsten Schork Foto: Amélie Losier

Dazu kommen die Nachwirkungen der Pandemie, Preissteigerungen und die ausufernde Bürokratie, Nachwuchssorgen, der Fachkräftemangel (gerade in der Gastronomie) und der gestiegene Mindestlohn – „an sich ja eine super Sache, aber all das muss ich an meine Kunden weitergeben“. Früher habe er alle drei Jahre eine neue Preisliste gemacht. „Heute muss ich sie öfter ändern. Das alles ist frustrierend.“

Den Kopf in den Sand zu stecken, ist aber nicht sein Ding. Karsten Schork hat mehrere Optionen, was er nach dem Ende des Café Berio machen könnte. „Es muss ja auch nichts mit Gastro sein.“ Mehr verrät er nicht. Nur soviel: Er macht im Oktober erst mal Urlaub und wird mit etwas Abstand nachdenken, in welche Richtung es ihn treibt.

Aber erst mal steht am Wochenende das Lesbisch-schwule Stadtfest an. Ein Höhepunkt im queeren Kalender. Da wird das Café Berio wieder rappelvoll sein. Viel zu tun, wie so oft. Doch diesmal wird ein Hauch von Wehmut und Abschied in der Luft liegen.