Punk lebt, Jesus klebt

Das Berliner Humboldt Forum widmet eine Ecke seiner Berlin-Ausstellung den Punks von Ostberlin, die zu DDR-Zeiten eine Nische in der Kirche fanden. Zur Eröffnung spielte die legendäre, 1980 gegründete Punk-Band Planlos

Punks vor HO-Geschäften in Ostberlin. Das Foto entstand zwischen 1983 und 1985 Foto: Robert-Havemann-Gesellschaft/Nikolaus Becker

Von Ulrich Gutmair

Erst ist es nur ein Punk, dann sind es zwei. Nach ein paar Takten sind es schon vier Frauen und Männer, junge und alte, die vor der Bühne tanzen. Das ist nicht weiter verwunderlich. Denn auf der Bühne stehen die fünf Männer der Punkband Planlos, deren Musik willige Körper und Seelen schnell in Bewegung zu setzen vermag – mit längeren Pausen seit 1980. Insofern also alles normal. Nur dass die Ostberliner Punks, die einst von der Stasi verfolgt wurden, einmal im von der DDR abgerissenen und nun wieder aufgebauten Berliner Stadtschloss spielen würden, war nicht zu erwarten. Es wäre auch nicht passiert, wenn Planlos-Musiker Pankow sich das nicht ausbedungen hätte. Er gebe gern Material für die Ausstellung, aber dann müsste seine Band auch auftreten, habe er Kuratorin Ulrike Rothe gesagt, erzählt er.

Denn der Auftritt von Planlos an diesem denkwürdigen Sonntagnachmittag im Juli 2024 findet anlässlich der Eröffnung der Schau „Punk in der Kirche. Ost-Berlin 1979–89“ statt. Sie befindet sich in der vom Berliner Stadtmuseum bespielten Abteilung „Berlin lokal“ im ersten Stock des Humboldt Forums. Schon unten vor der Tür waren einige Punks zu sehen, noch mehr drängeln sich nun drinnen mit vielen anderen, weniger eindeutig zu identifizierenden Menschen um zwei der drei Kuratorinnen und die freie Autorin und Zeitzeugin Anne Hahn, die ebenfalls mitgewirkt hat.

Die drei erklären, worum es geht. Der Titel „Punk in der Kirche“ erzählt davon, dass Punkkonzerte in der DDR nur in Wohnungen oder in Kirchenräumen stattfinden konnten. Trafen sich die Ostberliner Punks auf dem Alexanderplatz oder im Kulturpark Plänterwald, mussten sie darauf gefasst sein, von staatlichen Organen überwacht und drangsaliert zu werden. Die Behörden sprachen Platzverweise gegen einzelne Punks aus, die dann den Alexanderplatz nicht mehr betreten durften, oder, wenn sie von außerhalb kamen, gleich Berlinverbot bekamen. Um Punks für längere Zeit in den Knast stecken zu können, wurden sie wegen staatsfeindlicher Hetze oder anderer Gummiparagrafen angeklagt.

Punk konnte sich also nur in Nischen ausleben, und die Nische Kirche gab es nur, weil mutige Pfarrer ihre Räume zum Teil gegen den Widerstand ihrer Kirchenleitungen für die Punks öffneten. Eines der Ausstellungsstücke ist ein Schlagzeug, das vor einem groß aufgezogenen Foto eines Altars steht. Darauf der Slogan: „Punk lebt, Jesus klebt.“ Hier liest man das als Kommentar zum kürzlich auf dem Humboldt Forum angebrachten Kreuz und der dazugehörigen Aufschrift, die fordert, „dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind“.

Vor Altar und Schlagzeug hätte man gerne ein paar Bierflaschen kullern lassen und auch ein bisschen Bier verschüttet, sagt Anne Hahn. Das wäre in der Tat eine alle Sinne ansprechende und der Sache angemessene Installation gewesen. Durften die Kuratorinnen aber nicht. Man hat im Humboldt Forum anscheinend Angst vor Punks mit Bier. Denn auch beim anschließenden Konzert von Planlos gibt es weder Bier noch Wein. Könnte ja was danebengehen.

Das alles tut der guten Laune keinen Abbruch, weil sich Planlos als gut geölte Maschine präsentieren. Das erste Lied, das sie zum Besten geben, heißt „Deutschland“. Ein klassisches Punkstück, das mit minimalen Mitteln die Lage der Nation auf den Punkt bringt: „Deutschland, Deutschland, Stacheldraht / Deutschland, Deutschland, Militär / Deutschland, Deutschland, Zucht und Drill / Deutschland, Deutschland, Bürger still.“

Das Stück ist um 1982 entstanden, erzählt Pankow später, als die Sowjetunion SS-20-Raketen in der DDR stationiert hatte und in der Bundesrepublik amerikanische Pershings das atomare Schreckensgleichgewicht aufrechterhalten sollten. „Deutschland“ endet so: „Deutschland, Deutschland, Polizei / Deutschland, Deutschland ist entzwei / Russland und Amerika / Bald ist der Atomkrieg da.“

Pankow und seine Freunde hatten gehört, dass SS-20-Raketen in Gransee aufgestellt worden seien. Kurzerhand – „in Punkmanier“, wie Pankow sagt – fuhren sie hin. „Wir haben tatsächlich ein Armeegelände gefunden. Ich habe die Scheibe runtergekurbelt und gefragt, ob hier die SS-20 seien, wir würden uns die mal gern ankieken.“ Sie kamen stattdessen vier Tage in Gewahrsam, bis auch die Polizei verstand, dass die Punks nur einen Witz gemacht hatten.

Als Zugabe spielen Planlos noch mal „Deutschland“. Das ist eine runde Sache, auch wenn das Stadtschloss noch steht, was für Pankow okay ist. Er findet die Räume des Humboldt Forums schön, obwohl der Palast der Republik, der einige Jahrzehnte lang hier gestanden hatte, bevor man ihn abriss, für ihn und seine Freunde historischen Wert besessen habe. Das rabiate Wegwischen von DDR-Geschichte ärgert auch ihn, der wahrlich genug Stress mit der DDR hatte.

Jetzt ist Zeit, sich die „Schau“ anzusehen, die sich allerdings über eine gerade mal grob sechs Quadratmeter große Ecke in einem der Räume von „Berlin lokal“ verteilt. Sie ist – für den beschränkten Platz, den man ihr zugestanden hat – sehr gut und anschaulich geworden. Wer mag, kann sich hier vier Punk-Stücke von Feeling B, Die Beamten, Rosa Beton und Namenlos in voller Länge anhören.

„Deutschland, Deutschland, Zucht und Drill. Deutschland, Deutschland, Bürger still“

Planlos

Einige Texttafeln und eine Slideshow klären in der durch die Umstände gebotenen Kürze über die Geschichte von Punk in der DDR auf. In einer Vitrine werden ein Kassettenrekorder und eine Kassette mit Musik von Bands aus der DDR, Ungarn und Polen sowie einige selbst gemachte Badges und Nietenarmbänder gezeigt. Daneben hängt eine Lederjacke, hinten steht drauf: „Aufgepasst du wirst überwacht.“ Wie hatten Planlos eben gesungen? „Du steigst in meinen Freund und horchst mich aus / Berichtest die Lügen, wie du sie brauchst.“

Jungen Leuten und Touristen, die wenig über den „ersten sozialistischen Staat auf deutschem Boden“ wissen, könnte man vom Scheitern der DDR erzählen, indem man ausführlicher vom Umgang ihrer Organe mit den Punks berichtet und vor allem darüber, was diese jungen Leute damals umgetrieben hat. Dafür müsste man aber mutiger sein und einige der locker in diesem Raum von „Berlin lokal“ verteilten Filmchen, von denen manche doch stark nach City Marketing riechen, aus dem Weg räumen, um den Punks den Raum geben zu können, der ihnen gebührt: 60 statt 6 Quadratmeter. Dort könnte Pankow dann erzählen, wie er der Stasi vergeblich zu erklären versuchte, dass die Punks links von ihr stünden.

Dazu am besten jeden Monat ein weiteres Konzert, als nächste Band schlage ich Rosa Beton vor. Die singen dann: „In rosa Mauern sind wir gefangen / Satt und zufrieden, es fehlt uns an nichts.“