Mit dem Wahlzettel statt mit der Waffe

Ein ehemaliger Bürgerkriegskämpfer geht im neuen Libanon wählen, hadert aber immer noch mit der Vergangenheit. Für ihn ist der syrische Einfluss von einem amerikanischen abgelöst worden. Und Konfessionen und Clans dominieren nach wie vor

AUS BEIRUT KARIM EL-GAWHARY

Der Mann mit dem freundlichen Blick und dem leicht angegrauten Haar ist kein ungewöhnlicher Wähler in Beirut. Wie viele der 420.000 wahlberechtigten Frauen und Männer über 21 Jahre, die gestern in der libanesischen Hauptstadt unter starken Sicherheitsvorkehrungen an die Urnen gingen, hat Fuad Ramadan noch vor weniger als zwei Jahrzehnten in der gleichen Nachbarschaft mit der Waffe in der Hand im Bürgerkrieg Straßenzug um Straßenzug erobert und wieder verloren. Für welche Miliz, das ist nebensächlich. Heute geht er seinen demokratischen Pflichten nach und gibt seine Stimme für das 128köpfige libanesischen Parlament ab, das an vier aufeinander folgenden Sonntagen gewählt werden soll.

„Es ist gut, dass wir die Gewehre und Kanonen gegen die Wahlzettel ausgetauscht haben. Es ist zu viel Blut geflossen und heute tragen wir unsere politischen Differenzen an den Urnen aus“, erklärt Ramadan. Aber gleichzeitig warnt er davor, zu glauben, dass sich das politische System des Landes nur aufgrund demokratischer Wahlen grundsätzlich geändert habe: „Das Land ist immer noch in Konfessionen, Sekten und Familienclans aufgeteilt, auch wenn es sich heute demokratisch gibt“.

Dass er nun erstmals wählt, seit die syrischen Truppen nach einer Anwesenheit von drei Jahrzehnten abgezogen sind, lässt den Juwelier völlig unbeeindruckt. „Früher waren wir unter syrischem und heute sind wir unter amerikanischem Einfluss“, meint er trocken. Sicher habe es zahlreiche Büros des syrischen Geheimdienstes und 30.000 syrische Soldaten im Land gegeben, aber deren direkter Einfluss auf das tägliche Leben der Libansen sei in den letzten Jahren nur noch gering gewesen. „Die haben aus Damaskus nur noch bei unseren Politikern angerufen und haben ihnen gesagt, was sie tun sollen. Heute ruft jemand aus der US-Botschaft in Beirut an und macht das Gleiche“, argumentiert der 48-Jährige.

Angesichts einer Grenze mit Syrien und einer mit Israel sei der Libanon einfach zu strategisch gelegen, um im Ruhe gelassen zu werden. Jeder syrische Staatsstreich und jede politische Veränderung in Damaskus sei, historisch gesehen, immer in Beirut vorbereitet worden. „Washington will den Libanon nun in eine Plattform umwandeln, um einen Regimewechsel in Damaskus voranzutreiben“, glaubt er. Außerdem wollten die USA die Sicherheit Israels garantieren, in dem sie die Entwaffnung der radikalen schiitischen Hisbollah vorantreiben. Die Partei ist vor allem im Süden des Landes stark, wo am kommenden Sonntag gewählt wird.

Kann sich Fuad Ramadan vorstellen, dass der Libanon erneut in einen Bürgerkrieg wie in den Jahren 1975 bis 1990 verstrickt werden könnte? Der ehemalige Milizionär verweist darauf, dass jede Konfession, jede Familie und jeder politische Gruppe mit einer ausländischen Botschaft in Verbindung steht, sei es die amerikanische, die der Golfstaaten, die mit ihren Petrodollars Einfluss nehmen, oder seien es eben Telefonanrufe aus Damaskus. „Wenn sie alle in ihren Zielen im Libanon übereinstimmen, dann bleibt es hier ruhig, wenn nicht, dann kehren die alten Zeiten wieder zurück“, fürchtet er.

Wie fühlt er sich, wenn er im Wahllokal seine Nachbarn trifft, die er früher bitter bekämpft hat? Für Ramadan gibt es keine libanesischen Politiker, die einen wirklichen nationalen Dialog und eine nationale Versöhnung vorantreiben können, auch nicht bei diesen Wahlen. Jeder denke nur an seine Familie und seine Konfession. „Die Erinnerungen werden daher einfach unter den Teppich gekehrt. Keiner redet offen darüber“, sagt er.

Fuad Ramadan kommt aus dem Wahllokal, vor dem Anhänger der verschieden Parteien in ihren jeweils verschiedenfarbenen T-Shirts und Baseballmützen noch friedlich versuchen, die letzten Wähler für ihren Kandidaten zu mobilisieren. Der Bürgerkriegskämpfer von einst deutet auf ein Haus in der Nachbarschaft. „Hier wohnen Menschen, die im Bürgerkrieg meinen Cousin erschossen haben, aber was soll’s, wir alle wollen Frieden und Stabilität, also vergeben wir.“ Dann macht er eine nachdenkliche Pause und fügt hinzu: „Aber vergessen werden wir niemals.“