Eine persönliche Annäherung

Die US-Journalistin Evelyn McDonnell hat eine Biografie über Joan Didion als Meisterin der scharfen Beobachtung und Stilikone vorgelegt

Von Carolina Schwarz

Wie schreibt man über eine Autorin, die über fast alle großen Wendepunkte in ihrem Leben geschrieben hat? Und die zudem ihr eigenes Schreiben immer wieder reflektiert hat. Joan Didion hat sich der Welt in Essays, Drehbüchern und Romanen, aber auch in unzähligen Interviews mitgeteilt. Mit ihren Reportagen aus dem Kalifornien der 1960er Jahre und ihren späteren Romanen über den Tod ihres Mannes und ihres Kindes wurde sie weltberühmt.

„Über so eine unglaublich talentierte Schriftstellerin zu schreiben, ist eine Freude und Bürde zugleich“, fasst US-Autorin Evelyn McDonnell ihre Aufgabe zusammen. Leider gelingt es ihr in ihrer nun auf Deutsch erschienenen Biografie nicht ganz, diese Bürde zu meistern. „Joan Didion und wie sie die Welt sah“ ist ein fragmentarisches Nachzeichnen von Didions Entwicklung als Autorin und politische Denkerin. In thematischen Kapiteln versucht sie die Themenvielfalt – von Verbrechen über Bürgerkriege, Drogen, Kalifornien, Politiker, Rockstars bis Polizei – einer Autorin einzufangen, die vor allem als Vertreterin des New Journalism und als detailverliebte Beobachterin bekannt geworden ist.

McDonnell möchte ebenso eine Beobachterin sein und konzentriert sich auf kleine Details in Didions Schreiben. Wie das wiederkehrende Motiv der Schlange etwa, vor der Di­dion panische Angst hatte. An anderer Stelle nimmt sie den Schreibstil Didions Buchstabe für Buchstabe auseinander: „Jedes ihrer Worte ist mit der Präzision einer Maschine gewählt“, schreibt sie und zeigt auf, wie Didion mit ihrer Sprache Le­ser_in­nen dazu einlädt, ihre eigenen Geschichten zu erzählen. Ausführlich beschreibt sie, wie Didion ihres und das politische Leben der USA mit Liebe fürs Detail oft persönlich, mal skeptisch, mal versöhnlich dokumentierte.

Evelyn McDonnell: „Joan Didion und wie sie die Welt sah“. Aus dem Englischen von Andrea Schmittmann. Harper Collins, Hamburg 2024, 288 Seiten, 24 Euro

McDonnell versucht sich der Autorin, die sie konsequent nur „Joan“ nennt, persönlich anzunähern, indem sie fast schon verzweifelt Gemeinsamkeiten zwischen ihr und dem „globalen Literaturstar“ und der „zeitlosen Stil­iko­ne“ sucht. Dafür arbeitet sie sich durch Literaturarchive, spricht mit entfernten Weggefährten Didions und reist an ihre Heimat- und Urlaubsorte von Sacramento und Los Angeles bis nach Miami und Hawaii. Doch viel mehr als „Wir haben beide einmal in New York gelebt“ und „Wir lieben das Meer“ findet sie leider nicht.

Gleichzeitig scheint es ihr ein Anliegen zu sein, sich konsequent politisch von Didion zu distanzieren. Von ihrem Konservatismus, ihren scheinbar unreflektierten Privilegien und ihrem Umgang mit der feministischen Bewegung. Didion hatte ihren kritischen Blick auf die Zweite Frauenbewegung in dem Essay „The Women’s Movement“ (1972) schonungslos aufgeschrieben. Für Donnell bleibt sie mit diesem Essay „als weibliche Ikone zutiefst problematisch“ und „unschwesterlich“. Doch interessanter als die persönliche Haltung der Biografin wäre eine tiefere Betrachtung von Didions eigener Verortung bei geschlechtsspezifischen Fragen gewesen. Auch Gespräche mit feministischen Zeit­genos­s_in­nen hätten dem Buch gutgetan.

Wirklich problematisch wird die Biografie da, wo McDon­nell zu spekulieren beginnt. Wenn sie sich zum Beispiel fragt, warum Didion und ihr Mann John Dunne keine leiblichen Kinder bekommen haben. Nachdem keiner ihrer Ge­sprächs­part­ner_in­nen darauf Antwort geben möchte, fantasiert sie: „Ich nehme an, dass es ein gesundheitliches Problem aus ihrem früheren sexuell aktiven Leben war, das eine Schwangerschaft verhinderte.“ Belege für diese Mutmaßung hat sie keine.

Die Netflix-Doku „Die Mitte wird nicht halten“ hat zu einem neuen Hype geführt

Oder wenn sie darüber sinniert, ob Didion ihrer Adoptivtochter Quintana eine gute Mutter gewesen ist. Auch die ständige Wiederholung von Hinweisen auf Didions schlanke Figur und die konkrete Benennung ihres Gewichts lassen sich nicht mehr mit einer Analyse von Didion als Stil­ikone rechtfertigen.

Joan Didion ist 2021 im Alter von 87 Jahren gestorben und hinterlässt fünf Romane und Drehbücher sowie zahlreiche Reportagen und Essays. Die Netflix-Doku „Die Mitte wird nicht halten“ ihres Neffen Griffin Dunne hat wenige Jahre vor ihrem Tod zu einem neuen Hype geführt und vielzählige neue Joan-Didion-Fans geschaffen. Eine umfassende Biografie hätte ähnliches Potenzial gehabt, doch diesem Buch wird so ein Hype nicht gelingen.