Die Grenzen der Kritik in Syrien

Kurz vor dem historischen Kongress der Baath-Partei Anfang Juni nimmt das Regime in Damaskus Oppositionelle fest und zerstört damit Hoffnungen auf Veränderungen

DAMASKUS taz ■ Eine Straßenkreuzung in Damaskus Geschäftsviertel Abu Rumaneh. Etwa 50 Demonstranten fordern die Freilassung ihrer Mitstreiter, die in den vergangenen Wochen vom syrischen Geheimdienst festgenommen wurden. Am ersten Tag der Aktion werden sie von überraschten Verkehrspolizisten misstrauisch beäugt, am zweiten Tag von Soldaten mit Schlagstöcken vertrieben.

Alles ist möglich dieser Tage in Syrien. Ermutigt durch den internationalen Druck und die für den Kongress der regierenden Baath-Partei Anfang Juni angekündigten Reformen fordern Oppositionelle das Regime heraus und testen, wie weit sie gehen können. Sie schreiben kritische Kommentare nicht mehr nur in libanesischen, sondern auch in syrischen Staatszeitungen. Sie gründen eine Organisation zur Verteidigung der Pressefreiheit, nennen die verbotene Kommunistische Partei in Demokratische Volkspartei um und verlesen Erklärungen im Exil lebender Muslimbrüder. Mal lässt der Geheimdienst sie gewähren, mal nicht. Mehr als ein Dutzend prominenter Regimekritiker wurden inzwischen verhaftet, darunter Mohammed Raadun, Chef der Arabischen Organisation für Menschenrechte in Syrien, deren Gründungsmitglied Nizar Ristnawi, das Mitglied der Syrischen Menschenrechtsvereinigung Ali al-Abdallah sowie das achtköpfige Organisationskomitee des Atassi-Salons, eines monatlichen Diskussionsforums. Die Wohnung von Suheir Atassi war der letzte Ort, an dem Regimegegner offen diskutieren konnten, jetzt sitzt die Gastgeberin selbst hinter Gittern. Der Grund: Die Organisatoren haben ein Tabu gebrochen. Beim letzten Treffen am 7. Mai wurde eine Erklärung von Ali Sadr Eldin al-Bayanouni verlesen, dem in London lebenden Chef der syrischen Muslimbruderschaft. Obwohl er darin einen Gewaltverzicht erklärt und eine moderne Zivilgesellschaft statt eines theokratischen Staats fordert, wollen Syriens Machthaber von einem Sinneswandel der Islamisten nichts wissen.

Anfang der 80er-Jahre war deren Versuch, das Regime zu stürzen, brutal niedergeschlagen worden. Seitdem steht in Syrien auf Mitgliedschaft und Unterstützung der Muslimbrüder die Todesstrafe, die in der Regel in 12-jährige Haftzeit umgewandelt wird. Ali al-Abdallah, den Vorleser der Erklärung, erwartet ein unfairer Prozess vor einem Staatssicherheitsgericht. Auch der Umgang mit Syrern, die aus dem Exil heimkehren, zeigt die Grenzen der Kritik in Damaskus. Nachdem Syriens Botschaften angewiesen wurden, den teilweise seit über 20 Jahren im Ausland lebenden Emigranten Pässe auszustellen, wagten Dutzende die Rückkehr. Ehemalige Putschisten sowie kommunistische Künstler waren dabei willkommen, angebliche Muslimbrüder wurden verhaftet.

Die Botschaft ist klar: Solange säkulare Linke unter sich bleiben, werden sie in Ruhe gelassen. Wer sich aber den Islamisten annähert, muss mit Verhaftung rechnen. Denn ein Schulterschluss dieser oppositionellen Kräfte könnte für das Regime gefährlich werden. Für heute Abend hat die Opposition zu einer großen Protestveranstaltung aufgerufen. KRISTIN HELBERG