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: Die irre Karriere des Felix Zwayer

Foto: Tom Weller/dpa

Was für eine Auszeichnung! Ein Halbfinale oder ein Finale eines großen Turniers zu pfeifen, das haben in der Geschichte des deutschen Schiedsrichterwesen bislang nur drei Referees geschafft. Felix Zwayer, dem die Leitung des Halbfinals zwischen England und der Niederlande übertragen wurde, zählt nun auch zu dem erlesenen Kreis.

Kurioserweise ist sein vierter EM-Einsatz dann sein dritter Turnierauftritt in der Dortmunder Arena. Dortmund und Zwayer – da war doch was? Jude Bellingham, einer der derzeit großen Hoffnungsträger im englischen Nationalteam, hatte im Dezember 2021, damals in Diensten von Borussia Dortmund, mächtig gegen Zwayer wegen umstrittener Entscheidungen im Spitzenspiel gegen Bayern München ausgeteilt: „Man gibt einem Schiedsrichter, der schon mal Spiele verschoben hat, das größte Spiel in Deutschland. Was erwartest du?“ Bellingham kostete die Bemerkung eine Geldstrafe von 40.000 Euro. Zwayer nahm sich wegen des großen Shitstorms nach der Partie und einer Morddrohung eine mehrwöchige Pause. Die Frage, ob der Berliner überhaupt weitermachen würde, stand im Raum. Zwayer erklärte damals: „Ich bin belastet. Mental und psychisch.“

Seine dunkle Vergangenheit hatte ihn wieder eingeholt. Im Jahr 2005 wurde er für sechs Monate vom DFB gesperrt, weil er sein Wissen um die Zusammenarbeit des Kollegen Robert Hoyzer mit der kroatischen Wettmafia erst mit Verspätung dem Verband offenbart hatte. Zudem stand die Aussage Hoyzers im Raum, Zwayer hätte für eine Partie 300 Euro angenommen, als Lohn für manipulatives Arbeiten als Linienrichter, was dieser bis heute bestreitet.

Lange konnte sich dann der vom DFB geschützte Zwayer recht unbehelligt in der strengen Hierarchie des deutschen und europäischen Schiedsrichterwesens Schritt für Schritt nach oben arbeiten. Das verwunderte ein wenig. Beim Fachmagazin Kicker schaffte er es in den letzten acht Jahren bei den Saisonbewertungen nur einmal unter die Top drei. Häufig rangierte er im Gesamtklassement eher auf einem der hinteren Plätze. Mit der erwähnten Bundesligapartie zwischen Dortmund und München holt ihn dann wegen Bellingham seine Vergangenheit wieder ein. Damals sagte er rückblickend über sein Verhalten beim Wettskandal: „Das war falsch und ich bin dafür bestraft worden. Damit muss es dann aber auch gut sein.“

Das bleibt vermutlich ein frommer Wunsch, wenn man die Automatismen der Branche kennt. Die Schlagzeilen, welche die englische Presse vor dem Halbfinale in dicken Lettern produziert, dürfen weder die Uefa noch Zwayer verwundern. Es wird von einem „Schiri-Albraum“ und einem „verurteilten Spielmanipulator“ geschrieben, der über das Schicksal des englischen Nationalteams entscheiden könnte. All das, nachdem Teile der deutschen Presse den Engländer Anthony Taylor zum Skandalschiedsrichter der EM hochgejazzt haben, weil er im deutschen Viertelfinale gegen Spanien ein Handspiel im Elfmeterraum als nicht strafwürdig bewertet hatte. Er wurde vielfach zum Hauptschuldigen für das deutsche Ausscheiden gemacht. Auf Social Media gaben deutsche Anhänger Zwayer mit auf den Weg, er wisse ja wohl, was er zu tun habe.

Angesichts dessen, wie groß schon die Aufregung vor dem Halbfinale ist, kann Felix Zwayer gar nicht mehr unbelastet in diese Partie gehen. Dem Verdacht, er würde England benachteiligen, wird er sich im Zweifelsfall eher nicht aussetzen wollen. Mit dieser Auszeichnung hat die Uefa genau besehen Zwayer keinen ­Gefallen ­getan. Johannes Kopp