Andreas Hergeth über irritierende Kunst auf seinem Lieblingsspazierfriedhof
: Ein altes Grab mit vier Stühlen und einem QR-Code

Das hier ist mein Revier. Schon fast 30 Jahre lang kenne ich den Friedhof mit dem schönen Namen Georgen-Parochial-Friedhof II wie meine Westentasche. Seit zehn Jahren gehe ich morgens und abends 15 Minuten zu Fuß über den Todesacker, wenn ich mit dem Rad zur Arbeit in die taz fahre. Neues fällt sofort auf. So wie dieses Schild, das plötzlich am Haupteingang an der Landsberger Allee 48–50 den Weg zu „Deadly Matters“ zeigt.

Es handelt sich um eine Ausstellung, die bei freiem Eintritt bis 18. Juli zu den regulären Friedhofsöffnungszeiten von 8 bis 20 Uhr zugänglich ist. Wegweiser führen zu den einzelnen, über den Friedhof verstreuten Installationen. Das „Deadly Matters Kollektiv“ – so nennen sich die sieben Künstlerinnen – hat den Friedhofsraum auf sich wirken lassen. Herausgekommen sind „ortsspezifische Installationen, die den Zugang zu den vielen Dimensionen des Todes und des Lebens öffnen“, wie es auf der Homepage zur Ausstellung heißt. Und das „ortsspezifisch“ trifft es gut. Der noch heute genutzte 13 Hektar große Friedhof wurde 1867 angelegt. Neben neuen Grabreihen und modernen Urnenfeldern gibt es eine Menge historischer Mausoleen und uralter umzäunter Gräber. Einige wurden aufwendig saniert; die Mehrzahl verfällt immer mehr, von der Natur überwuchert.

In genau so einer Grabanlage steht je ein Stuhl in den vier Ecken, die zum Verweilen einladen – und zum Lauschen. Über einen QR-Code lässt sich das Klangstück „The call of Silence“/ „Der Ruf der Stille“ von Natallia Kunitskaya anhören. Die 5,26 Minuten beginnen mit einem Herzton, der von einem bedrohlichen Maschinenton und Babygeschrei abgelöst wird. Das ist ergreifend, wenn man weiß, dass nur weniger Meter entfernt ein historisches Grab zu einer Grabanlage für Sternenkinder umfunktioniert wurde. Zu hören sind auch Krankenwagensirenen (das Krankenhaus Friedrichshain liegt gegenüber dem Friedhof), Kirchenglocken, Lachen, Gesprächsfetzen, Orgelmusik, das Piepen eines medizinischen Apparats … Die Installation gleicht einer akustischen Reise durch den gesamten Lebenszyklus.

In einer ganz anderen Ecke des Friedhofs steht ein weißes Zelt auf einer frisch gemähten Wiese. Katya Romanova hat hier ein Pop-up-Café eröffnet. Es trägt den Namen „berlin bones“. Das ist mehr als sinnfällig, wenn man weiß, dass unter dieser Wiese die Gebeine von Verstorbenen ruhen, die aus den Jahren 1200–1717 stammen, vor rund zwölf Jahren erst geborgen und dann wieder beigesetzt wurden.

Hier veranstaltet die Künstlerin Gespräche und gemeinsame Mahlzeiten, „die einen Raum für den Austausch von Erinnerungen, Gefühlen und Erfahrungen über Tod und Gedenken eröffnen“ sollen. Essen und Trinken sind bekanntlich wesentliche Elemente von Trauerritualen. Am Dienstagabend findet ab 18.30 Uhr eine Diskussion zum Thema Sterbebegleitung statt (Anmeldung erbeten). „Todesangelegenheiten“ eben, wie man den englischen Ausstellungstitel übersetzen kann.

Programm und Anmeldungen zu Veranstaltungen: www.dasistkunst.com