Greise Männer, Hetze bei der EM und UK: Eine unmögliche Kunst

Unser Autor blickt in die Woche zurück und sieht greise alte Männer, zerstrittene Kolleg:innen, Hetze bei der EM, aber auch einen britischen Silberstreif.

Joe Biden schaut auf seine Armbanduhr.

Joe Biden: Ist es wirklich schon so spät? Foto: Elizabeth Frantz/reuters

Wen n ’s am schönsten ist, soll man aufhören. Das wird gern gesagt, das klingt gut und ist doch so schwer, wie in dieser Woche wieder besonders deutlich wurde. Außer Jürgen Klopp weiß offensichtlich niemand mehr, wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist, um einen Job unter Applaus zu beenden. Am allerwenigsten wusste es leider ausgerechnet der mächtigste Mensch der Welt .

Dass Joe Biden den geeigneten Moment verpasst hat, um beifallumrauscht die Bühne zu verlassen, wurde nicht nur mir, sondern der ganzen Welt spätestens im TV-Duell mit Donald Trump bewusst, als der US-Alterspräsident bei den Fragen zum Thema Migration ins Stottern geriet und kaum noch einen Faden fand, geschweige denn einen roten. Damit offenbarte Biden nicht nur seine persönliche Schwäche, sondern auch noch das größte Problem aller halbwegs Liberalen, die sich gegen den weltweiten Rechtsruck stemmen.

Beim Thema Migration einfach in das grassierende Abschottungsgerede einzustimmen, ist fatal. Liberale können keine Mauern bauen, sonst sind sie keine Liberalen mehr. Einfach ganz offen für offene Grenzen werben können sie realpolitisch aber auch nicht. Carola Rackete und die Linke kamen damit auf 2,7 Prozent.

Zwischen diesen Polen wird es kompliziert. Wer da nicht ins Stottern gerät oder wie Katrin Göring-Eckardt missverständlich über weiße und nichtweiße Fußballspieler twittert, muss topfit sein und möglichst charmant wie Robert Habeck um den heißen Brei herumreden können.

Das legendäre Gruppenselfie

Der einzige wirklich schöne Moment der Ampel, also das legendäre Gruppenselfie, ist schon lange her. Nach der goldenen Regel hätten sie damals gleich wieder aufhören sollen. Aber das sagt sich halt so leicht. Wer auf die Mächtigen schimpft, die von der Macht nicht lassen können, sollte sich an die eigene, vielleicht gerade leicht verkokste Nase fassen.

Macht ist auch nur eine Droge. Und wer will schon nach dem dritten Bier nach Hause gehen, wenn es gerade lustig wird? Oder nach der Pizza auf das leckere Tiramisu verzichten? Den Fernseher ausschalten, obwohl die Staffel noch nicht ganz zu Ende ist? Ich nicht.

Manchmal ist durchhalten auch besser als aufhören und wird belohnt. Zum Beispiel mit der Einigung der Ampeltroika auf den neuen Haushalt. Aber wir wissen alle: Nach der Einigung ist vor dem Streit. Vielleicht wäre daher jetzt ein super Moment, um endlich …

Auch die US-Demokraten hatten letztens vor allem Krisen, aber immerhin halbwegs erfolgreiche Zwischenwahlen 2022. Vielleicht wäre das eine Gelegenheit gewesen, um Bidens Nachfolge einzuleiten. Leider verpasst. Weil Biden nur an sich dachte und seiner prädestinierten Nachfolgerin Kamala Harris gleich am Anfang den unangenehmsten, weil unlösbaren Auftrag gab, ja genau: die Migration zu regeln. Damit konnte sie nur scheitern.

Ich bin trotz allem fest entschlossen, den Optimismus niemals aufzugeben und darauf zu setzen, dass Harris oder eine andere aus dem Hut gezauberte Person den größten Moment noch vor sich hat, also einen Wahlsieg und die Verhinderung der Trump-Rückkehr ins Weiße Haus. Was seit Montag mit dem Freibrief des Supreme Court für kriminelle Handlungen von US-Präsidenten noch wichtiger geworden ist.

Die schöne Ablenkung EM funk­tio­niert nur noch eingeschränkt. Leider hat das Team, auf das ich gesetzt hatte, Österreich, schon aufgehört und der Türkei die Bühne überlassen. Doppeltorschütze Merih Demiral nutzte sie auch noch für einen doppelt depperten Wolfsgruß und Präsident Erdoğan für einen Besuch im Berliner Olympiastadion. Der Fußball als „Pille gegen Rassismus“ wirkt zwar immer noch bei vielen divers aufgestellten Teams, aber leider nicht ganz so länderübergreifend, wie wir es auf dem wochentaz-Titel zum EM-Start hofften.

Ich könnte jetzt zum Trost noch lange vom klaren Labour-Wahlsieg in Großbritannien schwärmen und über den Beweis jubeln, dass der Trend keineswegs automatisch überall nach rechts geht. Und dass ein Erdrutsch auch sehr erfreulich sein kann. Aber wenn es am schönsten ist, soll man ja aufhören.

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