Jan-Paul Koopmann
Speckgürtelpunks
: Nichtstun am Limit

Foto: privat

Ungefähr zwei Stunden habe ich heute auf einen Starrwettkampf mit einer Kuh verwendet. So lange schon latscht ihre Herde nämlich schon ziellos zwischen meinem Ferienhausbalkon und dem Kleinen Jasmunder Bodden herum. Die Kühe stören meinen Fotobeweis vom absoluten Nichtstun, weil sie immer genau dann komische Sachen machen, wenn sonst alles stimmt. Vor allem halt diese eine.

Dieser Bodden ist ein Gewässer, falls Sie das nicht wissen. Seit man ihn achtzehnhundert-irgendwas durch einen Damm von der Ostsee getrennt hat, ist er eine Art Binnensee auf der Insel Rügen – und bietet trotzdem auch noch einen hinreichend idyllischen Meerblick-Ersatz.

Es ist insgesamt sehr schön hier, sehr friedlich und abgesehen von den Rindern eben auch angenehm ereignislos. Vielleicht sogar ein bisschen ereignisloser, als mir gut tut. Meine eigentlich nur noch zum allerletzten Feinschliff mit in den Urlaub genommene Kolumne war vorhin das erste Opfer dieser sonderbaren Stimmung. Ich habe sie nämlich gelöscht.

Dabei war’s im Grunde ein spitzenmäßiger Text über das strukturschwache Bremen: wütend und bissig und trotzdem mit einer irre lustigen Pointe am Ende. Sogar der Titel war gut und Polizeigewalt kam auch drin vor. Allein: Das alles fühlt sich nicht mehr richtig an hier draußen auf der Insel. Nichts ist mir gerade egaler als der beschissene Schienenersatzverkehr um Bremen – überhaupt habe ich keine Energie mehr, mich über irgendwas aufzu­regen.

Und das ist auf dreierlei Weise schade: um meine Arbeitszeit, weil der erste Text ja fast fertig war. Ums Honorar natürlich noch mehr und ein bisschen eben auch um Ihre Zeit, weil Sie nun statt dieser abgefahrenen Krawallstory nur noch der schleichenden Erosion meines Hirns nach wochenlanger Überbelastung folgen können.

Wobei immerhin noch eine Geschichte darüber abfällt, was man sich für einen Extrastress macht, wenn und weil es auf Pausen zugeht. Oder ist das am Ende nur bei mir so? Dass ich mich in solchen Phasen über zwei schlaflose Wochen auf den Kopf stelle, um dafür hinterher wenigstens mal eine halbe so richtig frei zu haben?

Falls Sie das jedenfalls auch so machen, dann wissen Sie ja, dass dieser Plan niemals aufgeht. Weil Sie am Ende doch wieder so einen Irrsinn veranstalten, wie eben eine im Grunde fertige Kolumne durch irgendeinen Quatsch mit Kühen zu ersetzen, den Sie dann doch nicht auf den Punkt bekommen, weil diese Tiere Ihnen überhaupt nichts getan haben und unterm Strich halt einfach nur kuhmäßig existieren.

Es ist leider so: Urlaub macht selbstgerecht. In der abklingenden Erschöpfung bleibt das marode Selbst als eine gebrochene und schutzlose Mär­ty­re­r:in der Arbeit zurück, die nichts anderes mehr vermag, als ihre Umgebung eben damit vollzutexten. Ob die das nun will oder nicht. Keine Ahnung, wer sich diesen Mist ausgedacht hat, aber es kann schlicht nicht funktionieren, die bloße Unterbrechung des Elends zu seinem sinnstiftenden Fetisch aufzubauen.

Es ist leider so: Urlaub macht selbstgerecht

Ehrlich gesagt, habe ich natürlich schon eine Ahnung, wer sich das ausgedacht hat. Lässt man Kühe und Bodden nämlich kurz mal links liegen, ist auf der anderen Seite Prora zu entdecken, wo die Nazis den Massentourismus erfunden haben. „Kraft durch Freude“ und so weiter: 20.000 Deutsche sollten sich genau hier gleichzeitig für Führer, Volk und Vaterland im Akkord entspannen, bis ihnen Arbeitsmoral und Wehrfähigkeit wieder aus den Ohren spritzen.

Wenn ich so drüber nachdenke, ist es vielleicht doch gar nicht so schlecht, im Urlaub wenigstens ein bisschen zu arbeiten, bevor man auf dumme Gedanken kommt. Ich geh gleich rüber und guck mir Prora als mahnendes Beispiel an. Und wenn das Wetter noch besser wird, gibt’s dann noch Strand, Kreidefelsen, Insel-Brauerei, Segelboot, Hiddensee, Feuersteinfeld … Lieber ein dichtes Programm als gar keinen Stress. Und dann kann die Kuh meinetwegen auch weiter mein Stillleben zertrampeln.