2. Wahlgang in Frankreich: Merci, Macron

Panische Reaktionen auf den 1. Wahlgang in Frankreich waren unangemessen. Entscheidend ist, dass die Mehrheit die Faschisten von der Macht fernhält.

Emmanuel Macron und seinFrau Brigitte Macron gehen, begleitet von verschiedenen Männern, am Strand spazieren. Macron trägt eine Lederjacke

Emmanuel Macron und seine Frau Brigitte am Strand Hand in Hand Foto: Ludovic Marin/afp

Mit insgesamt 33,2 Prozent hat der Rassemblement National (RN) im ersten Wahldurchgang ein historisches Ergebnis erzielt. Vielleicht lag es an der insbesondere deutsche Gemüter verschreckenden Zahl 33, dass die meisten Medien die faschistische Machtergreifung schon vollzogen sahen: „Macron verzockt die Republik“, titelte etwa die taz, damit ausnahmsweise im Mainstream der Meinungen bleibend.

Dass man das Ergebnis im Rahmen eines nicht unkomplizierten – aber auch nicht völlig unentschlüsselbaren – Wahlsystems auch anders lesen konnte, zeigte die linke Zeitung il manifesto aus Rom in einem Leitartikel am Mittwoch. Der war überschrieben mit „Das Spiel ist noch völlig offen“. Zwar nehme man das Risiko im Kauf, nach dem zweiten Wahlgang am Sonntagabend als hoffnungslos optimistisch verlacht zu werden; aber die absolute Mehrheit des RN sei keineswegs ausgemacht, selbst die Zusammensetzung des Parlaments überhaupt könne noch überraschen.

Das liegt schlicht daran, dass die von Präsident Macron beförderte breite ­demokratische Front – von gerade eben noch republikanisch rechts bis stramm links – zur Abwehr der faschistischen Gefahr für den zweiten Wahlgang Wirklichkeit geworden ist. Übrigens schon der zweite Erfolg von ­Macron bei dieser Wahl. Der erste war der durch die Ansetzung ausgelöste Druck auf die sich ­chronisch kabbelnden ­französischen Linksparteien, das Wahlbündnis Nouveau Front populaire (NFP) zu schließen, das nun mit fast 30 Prozent nur unwesentlich hinter den Faschisten liegt. Wird Frankreich am Ende links regiert?

Den Börsen, die angesichts des ausgebliebenen Durchmarsches des RN „Erleichterung nach französischer Wahl“ (FAZ) signalisierten, dürfte das kaum gefallen; und keineswegs wollen wir behaupten, vorhersehen zu können, wie viele gerade bürgerliche Wähler am Sonntag ihr Kreuz dann doch bei den Faschisten machen.

Unsere eigenen braunen Zonen

Die Sache ist noch ernster, wenn wir uns der EU-Ebene und insbesondere unseren eigenen braunen Zonen zuwenden. Denn selbst wenn die europäische Einheitsfront gegen den Faschismus hält, bleibt die Frage, ob sie in der Lage ist, eine Politik zu machen, die die Zahl der faschisierten Wäh­le­r:in­nen – das von neurotischen Ängsten und lustbesetzten Grenzüberschreitungen gepeitschte „Normalitariat“, wie Kollege Andreas Rüttenauer sie mal genannt hat – dauerhaft unter 50 Prozent hält und perspektivisch auf ein wohl unvermeidliches, aber ungefährliches Sockelmaß an Demokratiegefährdern zurückdrückt.

In dem erwähnten Leitartikel aus Italien wird ein Programm für eine solche Politik entworfen: Wiederherstellung sozialer Sicherheit, Schutz vor den Verwerfungen eines zerstörerischen Kapitalismus, Arbeitsplätze mit Würde und mit einem ein Leben im Nachkriegswohlstand sichernden Einkommen – das sei die wirkungsvolle, eben sozialpolitische Brandmauer gegen rechts.

Einen indirekten Einwand gegen solche Rezepte hat gerade in einem Interview mit der FAZ ein erfahrener Journalist aus Sachsen gegeben: „Wir hatten hier Arbeitslosigkeit, die wirklich viele Menschen extrem belastet hat. Das Thema ist durch. Wir haben Vollbeschäftigung, wir haben Neuansiedlungen, den Menschen geht es gut. Die Straßen sehen geleckt aus im Vergleich zu manchen Orten im Westen. Und trotzdem äußert sich eine riesengroße Unzufriedenheit.“

Wenn Sie nun die Geduld aufbringen, mir noch mal nach Italien zu folgen, dann lesen Sie bitte noch, was der 68er ­Adriano Sofri ebenfalls unter dem Eindruck der französischen Wahlen geschrieben hat. Die Basis für den Aufstieg der Formen des „revolutionären“ Faschismus des 20. Jahrhunderts seien Krieg und organisierte Arbeiterbewegung gewesen. Der „evolutionäre“ Rechtsextremismus unserer Zeit habe hingegen „seinen entscheidenden Faktor in der Einwanderung“. Der „Virus“ Kampf gegen Einwanderung sei inzwischen in Europa endemisch geworden, und der europäische Körper habe ein „dramatisches Problem mit der Immunabwehr“.

Schmerzhafte Kompromisse

Man muss die Terminologie nicht teilen, um festzuhalten: Antifaschismus heute bedeutet primär Verteidigung, Management und Entwicklung der Einwanderungsgesellschaft – was extrem harte Arbeit ist, da selbst unter ähnlich Gesinnten die Haltungen dazu weit auseinandergehen.

Die Front gegen verängstigte Herrenmenschen und ihre Demagogen müssen wir jedenfalls alle zusammen bilden. Das wird schmerzhafte Kompromisse bei unseren 50,1 Prozent erfordern. Die gute Nachricht ist: Migration kennt die Menschheit seit ihren Anfängen. Der Kampf bleibt uns nicht erspart, aber es besteht kein Zweifel, dass wir gewinnen werden.

Wenn wir auf die Wahlen in Frankreich zurückkommen, dann hat Macron – gewiss auch aus eitlen Zockermotiven, aber ohne die geht es in der Politik nicht – kraftvoll eine grundsätzlich Klärung verlangt, eine ­clarification: Entscheidet euch – für die Zukunft oder für die Rückkehr in die dunkelste Vergangenheit.

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Geboren 1968 in München, seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort taz2: Gesellschaft&Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, Organisierte Kriminalität und Schöne Literatur.

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