taz Panter Forum in Erfurt: „Ich gehöre zu Thüringen“

Die Zivilgesellschaft in Thüringen ist bedroht. Das berichtet unter anderem die Sozialarbeiterin Nour al Zoubi auf dem taz Panter Forum in Erfurt.

Podium

Ver­tre­te­r:in­nen zivilgesellschaftlicher Organisation diskutieren über den Begriff „Brandmauer“ Foto: Kyaw Soe

Dieser Tage kann man kaum eine Zeitung aufschlagen, kaum eine Sendung anschauen, ohne das Wort „Brandmauer“ zu lesen. Sie müsse angesichts der Bedrohung von rechts stehen, heißt es allenthalben. Doch gibt es diese Brandmauer überhaupt? Und wenn ja, wie sieht sie aus? Das wollte die taz am Sonntag in Erfurt wissen – im dortigen Kulturbahnhof hat sie zum Panter Forum geladen, um mit Menschen aus Politik und Zivilgesellschaft über das Leben und die politische Arbeit in Thüringen zu sprechen. Neben Gesprächen auf der Bühne im alten Güterbahnhof können sich die Be­su­che­r:in­nen auch unter den Sonnensegeln vor dem Gebäude einfach ein Mikro schnappen und miteinander diskutieren. Oder einfach beim Plausch auf den Palettenbänken ringsherum.

Die Brandmauer also, existiert die? Felix Steiner, der die rechtsextreme Szene in Thüringen erforscht, findet: Nein. Zumindest nicht, wenn die rechtsextreme Björn-Höcke-AfD bei der Europawahl hier bei 30 Prozent liegt.

Auch der Leiter der Gedenkstätte Buchenwald und Mittelbau-Dora, Jens-Christian Wagner, berichtet von einer fast schon unheimlichen Begegnung. In einem Zug in Thüringen unterwegs habe er auf einmal einen Mann gesehen, der dort ganz selbstverständlich in der Uniform der Waffen-SS saß (das Hakenkreuz auf der Binde hatte er abgeklebt). Da niemand anderes sich daran zu stören schien, habe Wagner den Mann schließlich auf seine Uniform angesprochen.

Was also hält die Faschisten auf? Vielleicht der Rechtsstaat, die Gerichte? Auch sie sind keine rettende Planke, sagt Maximilian Steinbeis vom Verfassungsblog im Gespräch mit taz-Redakteurin Anne Fromm und Co-Moderator Carsten Rose von Radio F.R.E.I.: Man könne die Verfassung nicht wasserdicht gegen eine rechtsextreme Machtübernahme machen, sagt Steinbeis. Auch hier also keine „Brandmauer“. Ist sie also mehr hoffnungsvoller Wunsch als Wirklichkeit?

Deutlich wird an diesem Sonntag, dass es nach wie vor viele Engagierte gibt, die durch ihr alltägliches Handeln ein anderes Thüringen erschaffen. Da ist etwa die Sozialarbeiterin Nour al Zoubi, die in Syrien geboren wurde, später nach Deutschland kam und jetzt für das Zeitungsprojekt „Neu in Gera“ über ihre transkulturellen Erfahrungen schreibt. Al Zoubi erzählt Moderator und taz-Redakteur Konrad Litschko, sie habe sich gefragt, ob es nicht besser wäre, Gera und Thüringen zu verlassen. Sie aber hat sich entschieden: „Ich gehöre zu Thüringen. Und Thüringen gehört zu mir.“

Frau mit Mikro

Nour al Zoubi schreibt für das Zeitungsprojekt „Neu in Gera“ über ihre trans­kulturellen Erfahrungen Foto: Kyaw Soe

Auch die linke Landtags­abgeordnete Katharina König-Preuss plädiert fürs Bleiben. „Was ist denn mit denen, die hier bleiben müssen?“, fragt sie und meint etwa die Geflüchteten in den Asylunterkünften, für die der Wegzug keine Option ist. Angesichts der aktuellen politischen Rückschläge schwört sie die Anwesenden auf Kämpfe ein, „die zehn, fünfzehn, zwanzig Jahre dauern.“

Bleibt die Frage, was Menschen antreibt, die AfD wählen. Linke betonen oft die sozialen Verwerfungen in Ostdeutschland – doch für Autorin Grit Lemke reicht das nicht. Sie ist in der Niederlausitz geboren, hat in Hoyerswerda gelebt, über den Rassismus dort geschrieben. Jemand kann ein dickes Auto vor der Tür haben, sagt Lemke, und trotzdem rechtsextrem denken. Sie spricht von einer „Gesellschaft der Unglücklichen, die unglücklich wählen“.

Vor dem Kulturbahnhof erschallt derweil ein lautes Lachen. Es kommt aus einer Gruppe von „Omas gegen Rechts“, die sich hier im Kulturbahnhof unter die jüngeren Be­su­che­r:in­nen des Forums gemischt haben. Der Kampf gegen Nazis muss ja nicht auch gleich die Laune verderben, das zeigt auch die „Oma“ Gabriele Wölke-Rebhan, die auf der Bühne von ihrem Einsatz in Erfurt erzählt.

Bei den Demos trifft sie gelegentlich auch auf Teil­neh­me­r:in­nen der Antifa. „Anfangs hatte ich da auch eine leichte Berührungsangst. Da laufen dann so wilde, schwarz gekleidete junge Leute um mich rum“, sagt Wölke-Rebhan. Aber als sie vor einigen Jahren am Rande eines Höcke-Auftritts nicht wusste, wer für und wer gegen den AfD-Politiker demonstriert, habe sie sich einfach zur Antifa gestellt. „Da wusste ich, das sind die Richtigen.“

Über den Tag hinweg zeichnet sich langsam ab, was die Zivilgesellschaft in Thüringen braucht: unermüdliches Engagement, Humor – und vielleicht auch ungewöhnliche Allianzen: Wölke-Rebhan erinnert sich an eine Kundgebung am 1. Mai, wo die Omas (und Opas) gegen Rechts auf einmal auch körperlich bedrängt wurden. Da seien junge Leute von der Antifa gekommen und hätten gefragt, ob sie helfen können. „Das muss man sich mal vorstellen: Das hat noch nie jemand anderes gemacht.“

Diese Mischung aus verschiedenen Initiativen macht dann vielleicht noch keine undurchlässige „Brandmauer“, bietet keine absolute Sicherheit gegen den politischen Gegner. Aber sie zeigt, dass es ein anderes, ein wehrhaftes Thüringen gibt.

Die taz Panter Foren sind ein Kooperationsprojekt der taz-Redaktion und der taz Panter Stiftung.

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