Im Schatten des Obersten Führers Ali Chamenei

Zur Präsidentschaftswahl in Iran treten am 28. Juni fünf Konservative an und ein Vertreter des Reformlagers mit wenig Chancen. Andere wurden vom Wächterrat ausgeschlossen

Wahlkundgebung für den Reformkandidaten Massud Peseschkian am Sonntag in Teheran Foto: Fo­to: ­imago/Sasan

Von Mahtab Gholizadeh

Iran steht vor einer Wahl, die eher eine Show ist als ein demokratischer Prozess. Wegen des Hubschrauberabsturzes von Ex-Präsident Ebrahim Raisi im Mai wird am Freitag ein neuer Präsident gewählt. Vor zwei Wochen hat der sogenannte Wächterrat sechs Kandidaten zugelassen. Bereits diese Auswahl deutet auf eine Konzentration der Macht von Ali Chamenei hin, dem Obersten Führer des Landes. In Iran sehen viele Menschen die Wahl daher als weitgehend entschieden an, mit minimalem Einfluss der Wähler*innen.

Die offizielle politische Landschaft Irans ist in zwei Fraktionen geteilt: Prinzipalisten (Konservative) und Reformer. Unter den zugelassenen Kandidaten sind fünf Konservative, die Chamenei nahestehen, und ein Kandidat, der sich als Reformer präsentiert. Wirklich oppositionelle Kandidaten werden nicht akzeptiert.

Die Hauptkandidaten sind Mohammad Bagher Ghalibaf, Said Dschalili und Massud Peseschkian. Darüber hinaus kandidieren drei weniger prominente Kandidaten, die so gut wie keine Chancen haben und offenbar nur antreten, um den Wahlkampf in Schwung zu bringen: Mostafa Pour-Mohammadi, Amir-Hossein Ghazizadeh Haschemi und Alireza Zakani.

Der ehemalige Militärkommandeur Ghalibaf ist derzeit Parlamentsvorsitzender und war bis 2017 Bürgermeister der Hauptstadt Teheran. Der 62-Jährige ist ein überzeugter Anhänger Chameneis. Er gehört sowohl den mächtigen paramilitärischen Revolutionsgarden als auch der Polizei an. Sein Name ist zudem eng mit der weit verbreiteten Korruption im Land verbunden. Ghalibaf würde wohl den Kurs der bisherigen Regierung fortsetzen, hart gegen abweichende Meinungen vorgehen und für begrenzte Atomverhandlungen mit westlichen Staaten eintreten.

Said Dschalili, Mitglied des sogenannten Schlichtungsrats, ist dagegen für seine entschiedene Ablehnung des Atomabkommens bekannt, das 2015 geschlossen wurde. Derzeit liegt es auf Eis, nachdem die USA unter Donald Trump 2018 ausstiegen, woraufhin sich auch Iran nicht mehr an die Abmachungen hielt. Dschalili leitete von 2007 bis 2013 das iranische Team in den Atomverhandlungen. Sie scheiterten damals zunächst an seinen kompromisslosen Positionen bei der Frage nach der Urananreicherung. Die USA und die UN verhängten als Reaktion schwere Sanktionen gegen Iran. Die Auswirkungen waren so gravierend, dass Dschalili selbst von Chamenei nahestehenden Diplomaten wie Ex-Außenminister Ali Akbar Velayati scharf kritisiert wurde.

Massud Peseschkian gilt als Reformer. Er ist bekannt für seine Zeit im Kabinett von Mohammad Chatami (1997–2005) sowie für kritische Äußerungen zu sozialen Fragen. Im Reformlager war er nie eine bekannte Figur. Er hat aber Anhänger in seiner Heimatprovinz, was ihm als einer der wenigen reformistischen Kräfte im konservativ dominierten Parlament seinen Platz sichert. Im Gegensatz zu einigen Reformern, die aufgrund ihrer Positionen inhaftiert wurden, ist Peseschkian bei der Regierung nie in Ungnade gefallen. Er ist sogar eng verbunden mit Chamenei. Obwohl er zunächst von der Parlamentswahl im März ausgeschlossen worden war, wurde er später durch eine Intervention Chameneis zugelassen.

Viele reformorientierte Anhänger in Iran setzen keine großen Hoffnungen in Pesesch­kian. Er gilt als Notkandidat, während andere, besser qualifizierte Personen nicht zugelassen wurden. Dass sich Pesesch­kian selbst nicht allzu ernst nimmt, zeigte eine Äußerung am Tag der Registrierung für die Wahl. Er sei nur gekommen, um „den Wahlofen anzuheizen“, sagte er. Zwar haben Reformer eine breit angelegte Kampagne für ihn gefahren, dennoch ist es unwahrscheinlich, dass er Erfolg haben wird, solange die Öffentlichkeit sich von der Wahl eher distanziert und die Wahlbeteiligung gering ausfällt. Obwohl Pesesch­kian wenig Chancen hat, Präsident zu werden, zieht er viel Aufmerksamkeit auf sich. Die Nachrichten drehen sich aktuell vor allem um ihn.

Indem Chamenei Pesesch­kian zugelassen hat, hat er den Reformern eine Falle gestellt, da sie wahrscheinlich scheitern werden. Trotzdem ermutigen die Reformer die Menschen zur Stimmabgabe, indem sie Themen wie die Wiederaufnahme der Atomverhandlungen und die Abschaffung der Sittenpolizei auf die Agenda setzen. Ein großer Teil der Gesellschaft sieht die Reformer jedoch als Feigenblätter, die den Anschein eines echten Wettbewerbs zwischen den Kandidaten wahren sollen. Am Ende wird ohnehin derjenige siegreich aus der Wahl hervorgehen, den sich Chamenei wünscht.

Am Ende wird der Kandidat siegen, den sich Chamenei wünscht

Wahrscheinlicher als ein Sieg Peseschkians ist eine Konfrontation zwischen Ghalibaf und Dschalili. Spekulationen zufolge ist Ghalibaf aus mehreren Gründen die geeignetere Wahl für Chamenei. Erstens dürfte er aufgrund seiner militärischen Erfahrung bei der Unterdrückung des Widerstands gegen das Zwangskopftuch und der Aufrechterhaltung der nationalen Sicherheit erfolgreicher sein. Zudem gilt er als konservativer Politiker und Technokrat, der in der Lage ist, den Weg der Regierung Raisi fortzusetzen. Dschalili dagegen fehlt es an Regierungserfahrung. Zudem würde er als Präsident die internationalen Spannungen noch weiter erhöhen, was nicht in Chameneis Interesse liegt, der sich vor dem Hintergrund des Ga­zakriegs derzeit ohnehin schon in einer heiklen Situation mit Israel befindet.

Dass Chamenei wahrscheinlich Ghalibaf bevorzugt, wird durch die Tatsache untermauert, dass Ghalibaf bei der Parlamentswahl im März gegen die Kandidaten der sogenannten Paydari-Front gewann, die eng mit Dschalili verbunden ist. Allgemein wird angenommen, dass dieser Sieg von Chamenei hinter den Kulissen orchestriert wurde.

Sollte ein kompromissloser Hardliner wie Dschalili iranischer Präsident werden und Donald Trump nächstes Jahr als US-Präsident zurückkehren, ist die Wahrscheinlichkeit eines neuen Atomabkommens nahezu null. Schlimmer noch: Die Situation könnte zu einem offenen Krieg in der Region eskalieren. Kommt hingegen ein Konservativer wie Ghalibaf an die Macht, der Chamenei ebenso gehorsam ist wie Raisi, aber nicht so radikal wie Dschalili, wird die Islamische Republik ihre pragmatische Politik und die fragmentierten Verhandlungen mit den USA fortsetzen, besonders wenn Joe Biden und die Demokraten in den USA an der Macht blieben. Dies könnte das beste Szenario für Chamenei sein, denn in der Ära Biden konnte Iran trotz der US-Sanktionen täglich eine Million Barrel Öl verkaufen.

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