LESERINNENBRIEFE
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„Jetzt aber, weil aus meinem Land, / das von ureigenen Verbrechen, / die ohne Vergleich sind, / Mal um Mal eingeholt und zur Rede gestellt wird, / wiederum und rein geschäftsmäßig, wenn auch / mit flinker Lippe als Wiedergutmachung deklariert, / ein weiteres U-Boot nach Israel / geliefert werden soll, dessen Spezialität / darin besteht, allesvernichtende Sprengköpfe / dorthin lenken zu können, wo die Existenz / einer einzigen Atombombe unbewiesen ist, / doch als Befürchtung von Beweiskraft sein will, sage ich, was gesagt werden muß.

Und zugegeben: ich schweige nicht mehr, / weil ich der Heuchelei des Westens überdrüssig bin.“

Aus dem Gedicht von Günter Grass, veröffentlicht in der Süddeutschen Zeitung am 4. April 2012

Grass hat recht

■ betr.: „Der an seiner Schuld würgt“, taz vom 5./6. 4. 12

Günter Grass hat recht, wir machen uns und den Westen unglaubwürdig, wenn wir Israels verheimlichte und unkontrollierte Atomwaffen dulden und auf dem Iran herumhacken. Das macht es leicht, Propaganda gegen uns zu machen und wütende Feinde zu erzeugen. Es gab Rabin und Peace Now!, es gibt eine Opposition in Israel, aber wir helfen Herrn Netanjahu. Keine Waffen in Spannungsgebiete! Wie können Sie diesem Herrn Brumlik eine Seite zur Verfügung stellen?! Diese alberne Art, Günter Grass Alter und Schuldgewürge psychologisch zu diagnostizieren – schämen Sie sich. ROSVITHA BULLE, Halstenbek

Soll er’s tun?

■ betr.: „Grass: Richtiges Motiv, falscher Ton“, taz v. 7./8./9. 4. 12

Als falschen Ton empfinde ich auch, dass Grass Ahmadinedschad einen „Maulhelden“ nennt – eine Person also, die ihre Taten wortreich ankündigt, jedoch letztlich nicht ausführt. Beim Vorwurf des Maulheldentums schwingt ja immer mit, der Gescholtene möge doch endlich seinen Worten auch Taten folgen lassen. Der „Maulheld“ soll den Beweis antreten, dass er auch tut, was er sagt. Vielleicht stimmt ja mit meinem Sprachgefühl etwas nicht. Im Hinblick auf Ahmadinedschads vielfältige Drohungen gegenüber Israel finde ich die Titulierung als „Maulheld“ jedenfalls gewagt. CLAUS MISFELDT, Molfsee

Boshaft und geschmacklos

■ betr.: Günter Grass und die taz

Wer in aller Welt hat denn diese Günther Gras dümmlich diffamierenden Gedichte in der taz vom 5./6. 4. geschrieben? Macht denn in der taz „total liberal“ jeder, was er will? Wir fanden diese Gedichtversuche boshaft, geschmacklos, dämlich und kindisch und die Kommentare von Klaus Hillenbrandt, Dirk Knipphals und Stefan Reinecke schlicht falsch. Am schlimmsten aber ist es, dass in der taz ein Gedicht „durch den Kakao“ gezogen und niedergemacht wird, ohne den Text abzudrucken, sodass die Leser sich nicht einmal ein eigenes Bild machen können. Glücklicherweise lesen wir noch andere Zeitungen, sonst wären wir aufgeschmissen gewesen. In der Bild-Zeitung ist solches Verhalten normal, aber in der taz? Unmöglich! Mit sehr erstaunten Grüßen. FRIEDERIKE BERKING, Bindow

Axt im gefrorenen Meer

■ betr.: „Der an seiner Schuld würgt“, taz vom 5./6. 4. 12

Grass Gedicht war für mich – frei nach Kafka – die langersehnte prominente „Axt im gefrorenen Meer“ in und um uns, die im Stile des jüdisch-deutschen Dichters Erich Fried oder in der Tradition Emile Zolas („J’accuse“) das peinliche Schweigen der Intelligenzia, der Massenmedien und aller Politiker dieses Landes zu dem angekündigten Angriffskrieg Israels mit US/EU-Unterstützung gegen den Iran krachend durchbrach. Dafür gebührt ihm seitens aller, denen der Weltfriede und die Souveränität der Staaten heilig ist, Dank, Respekt und Lob. Aus Grass’ Flugschrift spricht die gleiche Sorge oder „German Angst“ vor einem neuen Weltenbrand, die auch in mir und vielen meiner Bekannten nagt. MARC HEINECKE, bei Hannover

Jüdischer Staat dämonisiert

■ betr.: „Grass: Richtiges Motiv, falscher Ton“, taz vom 7./8./9. 4. 12

Während Micha Brumlik in der taz vom 5./6. April eine treffliche Analyse des Grass-Gedichts vorlegte, darf Stefan Reinecke in der folgenden Ausgabe die taz-Linie einseitiger Israelkritik bruchlos weiterverfolgen und zudem völlig argumentlos behaupten, Grass sei „kein Antisemit“. Dabei ist der „Fall Grass“ ein vergleichsweise einfacher. Indem Grass Israel völlig realitätsfern unterstellt, einen atomaren (!) Erstschlag zu planen, dämonisiert er den jüdischen Staat. Indem er ferner den fanatischen Antisemiten Ahmadinedschad als „Maulhelden“ verharmlost, relativiert Grass die sehr reale Bedrohung, die das iranische Regime und dessen Atomprogramm für das Leben der Bürgerinnen und Bürger Israels darstellen. All dies dürfte Reinecke eigentlich mitbekommen haben. HARTWIG SCHUCK, Berlin

So oder so Antisemit

■ betr.: „Der an seiner Schuld würgt“, taz vom 5./6. 4. 12

Von Juni bis Oktober 1966 habe ich im Kibbuz Neoth Mordechai bei Quiriat Shemona in Nordisrael gearbeitet. Als ich mich im April 67 in Tübingen immatrikuliert hatte, habe ich mich einer Gruppe von Israelfreunden um einen Professor Meier zugesellt und dort erzählt, dass alle meine Kibbuzniks davon ausgingen, es müsse noch in diesem Frühjahr Krieg geführt werden. Postwendend hat man mich als verkappten Antisemiten, der Israel schlecht machen wolle, rausgeworfen. Nach dem Sechstagekrieg ging ich noch mal hin, aber da waren alle schon zu Dajan-Fans mutiert und mein Pazifismus war antisemitisch.

Mit solch blindwütigen Israelfreunden wollte ich dann nichts mehr zu tun haben.

FRITZ PH. MATHES, Pforzheim

Tabubruch-Gerede

■ betr.: „Grass-Gedicht sorgt für Empörung“, taz vom 5./6. 4. 12

Das ganze Tabubruch-Gerede und die Diskussion darüber, ob Günter Grass ein Antisemit ist oder nicht, verhindert eine sachliche Auseinandersetzung mit dem, was er der israelischen Politik vorwirft. Bei den öffentlichen Spekulationen über einen israelischen Militärschlag gegen iranische Atomanlagen in den letzten Wochen und Monaten ging es nie um den Einsatz von Nuklearwaffen. Niemand kann sich ernsthaft vorstellen, dass Israel in der gegenwärtigen Lage Atomraketen gegen den Iran einsetzen wird. So etwas wäre verbrecherisch und würde den Weltfrieden tatsächlich gefährden.

Es wäre auch nicht denkbar, dass Israel ohne Zustimmung der USA einen solchen Schritt wagen würde. Der von Grass verwendete Terminus „Erstschlag“ ist eine Begrifflichkeit, die im Kontext nuklearer Einsatzdoktrin verwendet wird. Wenn also Grass in seinem Gedicht der israelischen Politik eine nukleare Kriegsplanung unterstellt, so ist das unredlich. Ob man daraus gleich einen Antisemitismusvorwurf basteln muss, ist zumindest fraglich.

Auf der anderen Seite rührt Grass tatsächlich an gewisse Tabus im Umgang mit dem jüdischen Staat. Denn Israel hat die Atombombe. Doch der Diskurs darüber, welche Einsatzdoktrin das Land damit eigentlich verfolgt, wurde und wird öffentlich nicht geführt.

HARTMUT GRAF, Hamburg

„In Busse packen und ertränken“

■ betr.: „Hört nicht die Signale“ von Micha Brumlik, taz vom 3. 4. 12

Hallo, Herr Brumlik,

wir freuen uns, dass Sie die Gefahr erkannt haben und sich strikt gegen einen von den USA geduldeten und von Israel ausgeführten Luftangriff auf den Iran wenden. So weit unsere Gemeinsamkeit. Dann aber treffen Sie alternativlos die Feststellung, der einzige Weg, einen Krieg zu verhindern, seien die westlichen Sanktionen. Das ist eine kühne Behauptung, denn diese Sanktionen kennzeichnen eine Politik, die auf Konfrontation setzt, nicht aber auf Überwindung der Gegensätze durch Verständigung. Die Erklärung aus Friedensbewegung und Forschung haben wir nicht umsonst überschrieben „Friedens- statt Kriegspolitik im Iran-Konflikt“. Wir wollen aus der Gewaltlogik ausbrechen, die so viel Unheil in der Geschichte der Menschheit bewirkt hat.

Sie werfen uns Geschichtsvergessenheit vor. Hätten wir ausführlicher auf den Sturz der ersten demokratischen Regierung Mossadegh durch die CIA und den englischen Geheimdienst eingehen, das von den USA gestützte Terrorregime des Schahs beschreiben, auch den vom Westen geförderten Angriff des Iraks auf den iranischen Ajatollah-Staat mit seinen fürchterlichen Folgen ausführlicher erwähnen sollen, wie auch die beiden israelischen Angriffe auf Atomanlagen in Irak und Syrien?

Wir haben in der Erklärung darauf verzichtet, die verbalen Attacken des iranischen „Maulhelden“ gegen Israel zu erwähnen wie auch, dass Israel schon so oft Iran mit Krieg gedroht hat, und haben nur von der gegenseitigen Bedrohung gesprochen.

Sie erwähnen auch, dass Israels überragende nukleare und konventionelle Bewaffnung durch die Nichtanerkennung durch einige Nachbarstaaten bedingt sei. Spätestens seit 2002 könnte sich nach dieser Logik der israelische Staat der atomaren Abrüstung widmen. In diesem Jahr gab es ein Angebot der Arabischen Liga, Israel anzuerkennen, wenn es seine auch von der UN verurteilte Okkupation des Westjordanlandes in den Grenzen von 1967 aufgeben würde. Geschichtsvergessenheit!?

Sie verurteilen zu Recht die scheußliche Polemik iranischer Führer. Doch ist bei der Eskalation von Drohungen und Gegendrohungen, also bei Anbahnung von kriegerischen Handlungen es nicht fast schon „normal“, dass der Ton auch in Hinblick auf die jeweils eigene Bevölkerung jedes Maß übersteigt und Aussagen mit Lügen glaubhaft gemacht werden? Entsetzlich zu lesen, dass der heutige israelische Außenminister Avigdor Lieberman 2003 vorschlug, „alle Palästinenser in Busse zu packen und im Toten Meere zu ertränken“. Der Mann ist heute noch im Amt. Doch würden wir solche Aussagen niemals zur Grundlage politischer Analyse machen.

Sie werfen uns vor: „Eine die Tragik der Situation ernst nehmende Stellungnahme hätte wenigstens einräumen können, dass derlei Ankündigungen, hier die der Mullahs, allein schon deshalb exekutiert werden können, weil sie bereits einmal exekutiert worden sind.“ Solchen geschichtsmythologischen Aussagen können wir nicht folgen. Zumindest hätten Sie vor Ihrem Vorwurf an uns die reale militärische Machtkonstellation anschauen sollen.

Sie werfen die Frage auf: „Regimechange! als Gefahr – was in aller Welt spricht in den Augen einer ‚Friedensbewegung‘ gegen die Ablösung einer klerikalfaschistischen Diktatur?“ In Ihrer Frage haben Sie einen entscheidenden Zusatz vergessen, nämlich „zum Preis eines fürchterlichen regionalen Krieges“. Denn wer unseren Appell genau liest, sieht vom ersten Absatz an, dass wir einen demokratischen Iran natürlich sehr begrüßen würden. „Regimechange“ hingegen bedeutet – wie in Afghanistan, Irak und jüngst in Libyen durchexerziert – seitens der Schöpfer dieses schönen Begriffes Krieg.

Sie bezeichnen alle Unterzeichner als politisch dumm und sprechen ihnen ab, dass sie fähig und bereit wären, einen Text über so ein brisantes Thema inhaltlich beurteilen zu können. Auch unsere Forderung nach einem Nichtangriffspakt kombiniert mit völliger internationaler Kontrolle des iranischen Atomprogramms unter dem Gesichtspunkt des Atomwaffensperrvertrages bezeichnen Sie als „regelrecht dumm“.

Wir halten diese Polemik in einer so ernsthaften Frage für unangemessen. Dies auch deshalb, da Sie zunächst versichern, Sie seien gegen israelische Angriffe auf den Iran, dann aber einer Konfrontationspolitik das Wort reden, die weiterhin darauf beharrt, dass „alle Optionen“ auf dem Tisch bleiben, einschließlich Krieg.

ANDREAS BURO, CHRISTOPH KRÄMER, MOHSSEN MASSARRAT