Jasmin Ramadan
Einfach gesagt
: Wahlhaftige Ausscheidungen

Wär’schön, wenn man sich mal wieder über was anderes als günstige Lilien freuen könnte!“, sagt die Frau in der Schlange vorm Schanzen-Blumenladen.

„Jetzt mal nicht den Teufel an die Wand“, sagt ihr Mann, „immerhin glänzt die deutsche Mannschaft wieder, da kann man sich ruhig mal freuen.“

„Ach, Kay, da muss ich nicht groß den Pinsel schwingen, nix is’mit Freude, unsere Tochter hat die AfD gewählt und du weißt ja, was die über die deutsche Mannschaft zu vermelden hat!“

„Team“, murmelt ein junger Typ und fotografiert einen Strauß Ranunkeln.

„Wieso hat ihr Kind denn die AfD gewählt?“, fragt eine ältere Dame betrübt.

„Unsere 19-jährige Tochter hat ihre beschissene Entscheidung so erklärt, dass sie von irgendwoher von jemandem safe weiß, dass die Grünen pädophile Praxis legalisieren wollen und nur die AfD ernsthaft was dagegen unternehmen will!“

„Und warum glaubt sie den Scheiß?“, fragt eine junge Frau.

Die Mutter zuckt die Schultern:

„Das hab’ich sie auch gefragt und sie hat gesagt: Ich sag’s einfach, wie es ist, sonst traut sich ja keiner.“

Kay sagt:

„Und dass das Gute heutzutage nicht immer automatisch das wirklich Gute sei, das sagt sie ständig!“

„Was ist denn offiziell das Gute?“

„Na, wir haben ihr immer gesagt, die Coronaregeln sind gut, die wollen unterm Strich für alle nur das Beste.“

„Und jetzt wählt ihre Tochter AfD, weil sie das eigentlich nicht gut fand?“

Von hinten ruft jemand:

„Wenn man immer alle mitdenken soll, dann denkt man eben irgendwann spontan nur noch an sich und scheißt drauf, ob andere deswegen verrecken!“

„Das sagt mein 21-jähriger Neffe, der hat auch AfD gewählt.“

„Und wen meint der damit?“

Foto: Roberta Sant‘anna

Jasmin Ramadan ist Schriftstellerin in Hamburg. 2023 ist ihr Roman „Auf Wiedersehen“ bei Weissbooks erschienen. 2020 war sie für den Bachmann-Preis nominiert.In der taz verdichtet sie im Zwei-Wochen-Takt tatsächlich Erlebtes literarisch.

„Na, alle Schwächeren, ist ihm alles egal, ich first“, sagt er.“

„Also meine Tochter hat die Linke gewählt, sie sagt, sie sei progressiv und würde nie ein sinkendes Schiff verlassen.“

„Mein Sohn hat die CDU gewählt, weil ihn beeindruckt, dass Merz nie den Kampf für sich selbst aufgibt.“

„Meine Tochter hat die FDP gewählt, weil sie findet, Strack-Zimmermann sei die einzig authentische Feministin.“

„Meine Tochter hat Grün gewählt, weil sie glaubt, dass das Gute sich eben auch radikal nachhaltig erneuern muss.“

„Mein Sohn hat die Tierschutzpartei gewählt, einfach wegen des Wahl-O-Mats.“

„Meiner deswegen Volt.“

„Meine Tochter war gar nicht wählen, weil sie zu verkatert war.“

„Man sollte das nicht am Sonntag machen.“

„Frag’mich auch immer, wie viele Stimmen von Leuten, die gern lang feiern, dadurch verloren gehen.“

„Und die sind politisch oft nicht am schlechtesten gestrickt.“

„Hat hier eigentlich von irgendwem ein Kind die SPD gewählt?“, fragt der Blumenmann und bindet einen Strauß rote Rosen.

Alle zucken die Schultern:

Hat hier eigentlich von irgendwem ein Kind die SPD gewählt?

„Nee, ich glaub, die SPD kennen die meisten jungen Leute gar nicht.“

„Mein 18-jähriger Cousin glaubt, Olaf Scholz ist bei der CDU.“

„Meine Tochter sagt, sie würde Kevin Kühnert zum Kanzler wählen, der hätte noch Eier und genug ehrlichen Wahnsinn!“

„Gründlich abgekämpft, der Mann.“

„Wenn der sich vorher mal ordentlich ausschlafen würde, hätte der richtig Potenzial.“

„Der hat keine Zeit zum Schlafen, der muss die Demokratie retten!“