Für Kröten wird der Platz echt knapp

Wird gebaut, braucht es Ausgleichsflächen. In Schleswig-Holstein findet und verwaltet die eine Agentur. Aber selbst in dem dünn besiedelten Land wird nun der Boden knapp

Sehlendorfer Binnensee: Wo früher ein Campingplatz war, wächst heute wieder Kriechender Sellerie Foto: Panthermedia/imago

Aus Hohwacht Esther Geißlinger

Die Kröten sind gerade einmal so groß wie ein Daumennagel, aber sie wissen genau, wohin sie wollen: ans Licht. Als der Biologe Hauke Drews den Deckel des weißen Plastikeimers lüpft, machen sich die winzigen Tiere auf den Weg. Drews hockt am sandigen Rand eines Tümpels, neben ihm geht Tobias Goldschmidt in die Knie: Schleswig-Holsteins Umwelt- und Energiewendeminister darf den ersten Schwung seltener Wechselkröten in die Freiheit entlassen. Ein Grünen-Politiker beim Krötenschubsen – mehr Klischee geht eigentlich gar nicht.

„Das passt schon“, sagt Goldschmidt. „Ich habe in letzter Zeit so viele Windräder und Solarparks eingeweiht, da darf es auch mal ein Naturschutzgebiet sein.“ Wobei Naturschutz und Bauprojekte hier Hand in Hand gehen: Wird irgendwo gebaut, braucht es Ausgleichsflächen, die der Natur zurückgegeben werden. Diese Flächen zu finden und zu verwalten, ist Aufgabe der Ausgleichsagentur Schleswig-Holstein. Eine Aufgabe, die im Lauf der Zeit eher schwieriger wird, denn auch in einem dünn besiedelten Land wie Schleswig-Holstein wird der Boden knapp.

Hinter der Ausgleichsagentur steht die Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein, die das Bundesland 1978 ins Leben rief. Die Stiftung finanziert sich durch Pachteinnahmen, Zinserträge, Drittmittel aus Bund und Ländern sowie aus Spenden, erklärt Ute Ojowski, Vorstandsmitglied der Stiftung und Geschäftsführerin der Ausgleichsagentur. Die Stiftung besitzt heute knapp 39.000 Hektar Land. Darunter sind Biotopflächen wie am Sehlendorfer Binnensee in der Gemeinde Hohwacht nahe der Ostsee, sowie landesweit Moore oder Wälder. Zwischen den Biotopen verlaufen grüne Pfade, auf denen Tiere wandern und sich Pflanzen verbreiten können, so zumindest das Ideal.

Die Stiftung kauft Flächen wie das Gelände am Sehlendorfer Binnensee, auf dem früher ein Campingplatz stand und auf dem nun wieder Kriechender Sellerie oder Raue Nelken wachsen. Wer bauen will, sei es ein Unternehmen wie der Batteriehersteller Northvolt, eine Kommune, die ein Wohngebiet erschließt, oder ein einzelner Landwirt, der einen neuen Stall braucht, kann sich an die Agentur wenden, die einen „Full-Service vom Flächenkauf über die Planung und Umsetzung, die Abstimmung mit den Genehmigungsbehörden, dauerhafte Pflege und das Monitoring“ bietet.

„Die Stiftung ist ein starker Player“, lobt Minister Goldschmidt bei seinem Besuch. Allerdings sieht auch er die Probleme, neue Flächen zu finden: „Schleswig-Holstein ist Vorzugsgebiet für Agrar, Tourismus, Energiewende und Naturschutz, es sind viele Nutzungsinteressen im Raum.“

In Gebieten, die bereits für den Naturschutz vorgesehen sind, die Moore oder bestimmte Gewässer umfassen, hat die Stiftung ein Vorkaufsrecht. Ansonsten bietet sie zum marktüblichen Preis mit, wenn Land­ei­gen­tü­me­r:in­nen ihre Flächen veräußern wollen.

„Wir wollen keine Preistreiber sein“, betont Ojewski. Nicht alle Flächen, die die Stiftung in Obhut nimmt, werden der Landwirtschaft entzogen. So können Bäue­r:in­nen Wiesen für extensive Viehhaltung pachten: Robustrinder halten dann das Gras kurz, sodass Wiesenvögel brüten können. 1.400 Päch­te­r:in­nen arbeiten mit der Ausgleichsagentur Schleswig-Holstein zusammen, das Verhältnis sei gut, berichtet Ojowski. Aber sie weiß auch: „Die Fläche ist endlich.“ Wer Land besitzt, zögert zurzeit mit dem Verkauf. Aktuell beträgt die landwirtschaftliche Fläche in Schleswig-Holstein rund 982.750 Hektar, also ein Vielfaches der Naturschutzflächen.

„Schleswig-Holstein ist Vorzugsgebiet für Agrar, Tourismus, Energiewende und Naturschutz, es sind viele Interessen im Raum“

Tobias Goldschmidt, Umweltminister Schleswig-Holstein

Allerdings sind Naturschützer und Landwirte an unterschiedlichen Flächen interessiert. Moore oder magere Böden, die für den Naturschutz am spannendsten sind, sind für die Landwirtschaft am wenigsten interessant, sagt Goldschmidt. Und durch neue EU-Regeln wie die Gemeinwohlprämie verdienen Landwirte auch dann Geld, wenn sie Flächen für Naturschutz bereitstellen.

Zurzeit schafft es die Agentur, genug passende Flächen für alle Bauvorhaben bereitzustellen, berichtet Ute Ojowski. Aber vom Ziel der EU, 30 Prozent ihres Gebietes naturnah zu gestalten, ist auch Schleswig-Holstein noch sehr weit entfernt. Das Land der Stiftung umfasst gerade einmal zwei Prozent.