das portrait
: Wie Antonio Rüdiger mitreißt

Foto: Marcus Brandt/dpa

Eine Szene dürfte in den Zusammenschnitten des deutschen EM-Auftritts schon mal gesetzt sein. Antonio Rüdiger liegt in der Nachspielzeit nach einer geretteten Aktion auf dem Boden und ballt wild die Fäuste. Dabei bebte sein Körper nach diesem kräftezehrenden Spiel, als wäre er elektronisch aufgeladen. „Jeder weiß, dass ich eine emotionale Person auf dem Feld bin“, sagte Rüdiger später. Eine solche Aktion fühle sich für ihn fast so an wie ein eigener Treffer. Sein Mitspieler Jamal Musiala sprach nach der Partie mit großer Bewunderung von Rüdiger und seinem Kompagnon Nico Schlotterbeck: „Dieser Spirit, wie die verteidigen und jubeln, das braucht man.“

Rüdiger stand auf der Pressekonferenz Rede und Antwort. Eine Pflichtaufgabe für jeden, der von der Uefa zum Spieler des Spiels gewählt wird. Doch anfangs kündigte der Uefa-Mitarbeiter bedauernd an, Rüdiger wolle nicht kommen. Er kam dann doch, um zwei statt drei Fragen zu beantworten, wie es hieß. Und Rüdiger, der schon immer Medienanfragen eher meidet, ergab sich wenig später etwas unwillig in sein Schicksal, als daraus vier Fragen wurden. Der gebürtige Neuköllner beantwortete unterdessen selbst die deutschen Fragen auf Englisch, als wolle er zumindest auf dieser Ebene ein wenig Distanz halten.

In den letzten Monaten ist einiges auf den 31-Jährigen eingestürmt, weil einige mehr über ihn zu wissen glauben, als seinen Äußerungen zu entnehmen ist. Julian Reichelt, der Chef des rechtspopulistischen Medienportals Nius, hatte eine Hetzkampagne gegen Rüdiger in Gang gesetzt und hält sie bis heute fleißig am Laufen, weil er ihm unterstellte, mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf Social Media bewusst einen Islamisten-Gruß zu verbreiten. Rüdiger hat Klage eingereicht. Er lasse sich nicht als Islamist verunglimpfen.

So emotional Rüdiger auf dem Rasen ist, so wenig teilt er abgesehen von seinem Bekenntnis zum muslimischen Glauben außerhalb des Spielfelds von seinem Innenleben mit. Ein Foto von seiner ikonischen Jubelgeste auf dem Rasen hat er freilich direkt nach der Partie via Instagram gepostet. Darunter steht: „Emotions and Hunger“, gefolgt von Feuer-, Blitz und Faust-Emoji. Dafür und für seine gute Laune, die er wie kein anderer zu verbreiten weiß, wird er geliebt im deutschen Nationalteam. Überdies ist er derzeit einer der weltbesten Innenverteidiger. Gefürchtet sind seine Zweikampfstärke und seine präzisen Pässe nach vorne. Fast hätte Kai Havertz in der Anfangsviertelstunde ein solches Zuspiel im Tor untergebracht. Der Gefühlsausbruch am Ende wäre so etwas kleiner ausgefallen und die EM-Rückschau etwas unspektakulärer.

Johannes Kopp