Bunt provoziert nicht mehr

Auf den Bühne des Schleswig-Holsteinischen Landestheaters sind Rocko Schamonis „Dorfpunks“ endlich dort gelandet, wo sie hingehören: Sie sorgen für gute Unterhaltung

Rumhängen, Dosenbier, Musik machen: Hat man sich früher voll Ärger mit eingehandelt Foto: Henrik Matzen/LandestheaterSH

Von Alexander Diehl

Am späten Nachmittag finden sich auf dem Platz vor dem Gründerzeit-Theaterbau tatsächlich welche ein: alt gewordene Angehörige genau der – ihrerseits in die Jahre gekommenen – Subkultur, die so ein Stück, ein Stück mit so einem Titel, anlocken müsste – „Dorfpunks“. Bis die Türen sich öffnen zur kleineren Spielstätte des Rendsburger Theaters, ist es noch etwas hin. Also sitzen die drei Tätowierten in den schwarzen Band-T-Shirts, zwei Typen, eine Frau, erst mal noch etwas in der Sonne. Die Frau, es sind ja auch in solchen Zusammenhängen die Frauen, die sich kümmern, reicht Bier. Auf einer Bank haben sie eine kleine Auswahl Dosen stehen.

Nicht, dass Rendsburg ein Dorf wäre, wie es der Wahlhamburger Entertainment-Tausendsassa Rocko Schamoni seinem Roman „Dorfpunks“ als Handlungsort verpasst hat, wahrscheinlich eher schon die Art Nachbarstadt, in die man mitunter fliehen muss vor der Ödnis echter Dörfer. Eine Jugend auf dem Land, mal mehr, mal weniger von Musik geprägt: In den mittleren Nullerjahren war das ein belletristischer Trend, nicht nur Schamonis „Dorfpunks“ kam 2004 heraus, auch sein humormäßiger Bruder im Geiste, Heinz Strunk, legte sein Romandebüt „Fleisch ist mein Gemüse“ vor. Beide Bücher wurden erfolgreich, beide wurden verfilmt und erhielten den bürgerlich-kulturellen Ritterschlag: Sie kamen auf richtig große Theaterbühnen.

Anfangs besorgten beide Autoren das selbst, genauer: Die ersten Inszenierungen beider Stoffe am Deutschen Schauspielhaus waren Projekte des absurden Komiker-Outfits „Studio Braun“, das zu zwei Dritteln, eben, Strunk und Schamoni bilden. Dessen „autobiographischer Roman über eine Punkjugend in der Holsteinischen Schweiz wird nicht brav nachbuchstabiert, sondern sehr frei neu erzählt“, war damals einer Rezension zu entnehmen.

Dagegen wirkt Moritz Nikolaus Kochs Inszenierung am Landestheater Schleswig-Holstein nun beinahe, als wäre Schamonis Coming-of-Age-Variation mit der etwas schrägeren Musik inzwischen Kanon, an dem nur mit sehr guten Gründen gerührt werden darf. Gut – es wird allerlei weggelassen, es ist aber auch wirklich nicht jede Erinnerung ans auch mal raue Aufwachsen unter Moped-Machos, aus der Ferne nach den „duftenden Töchtern“ mit dem Reitunterricht schmachtend, so richtig gut gealtert.

Dafür, dass sie beim Verlag „Roman“ auf Schamonis Buch geschrieben haben, tritt es streckenweise ganz schön auf der Stelle, reiht sich Pubertätsszene an Adoleszenzanekdote, geht es dann doch mehr um westdeutsche nicht ganz randständige Provinz als den Punk. Ja, die Straffung schadet gar nichts. Es landen immer noch reichlich Provinzdöntjes auf der niedrigen Bühne der Rendsburger Kammerspiele. Auf der ist ein Wohnzimmer aufgebaut: Sofa, eine Stehlampe, die im Prospekt wohl als „rustikal“ bezeichnet würde; ein Kühlschrank, der gar nicht ans Gutbürgerliche erinnert, sondern eher aussieht wie damals in der Groß-WG, so bekritzelt und beklebt; ein Garderobenständer schließlich, mit schwarzer Lederjacke dran.

Wenn das aber ein Wohnzimmer ist, oder eine Wohnküche, dann eine etwas andere, denn es stehen auch noch Mikrofone und ein Schlagzeug drin und Verstärker für Gitarre und Bass, und ziemlich zu Beginn spielen sie dann auch, die vier Dar­stel­le­r:in­nen (Dennis Habermehl, Aaron Rafael Schridde, Neele Frederike Maak, Steven Ricardo Scholz) – eine scheppernde Version von „Als hätte es uns nie gegeben“, dem Opener von Schamonis 2019 veröffentlichtem Album „Musik für Jugendliche“.

„Dorfpunks“, da wo dieser Stoff hingehört, in norddeutsche Nicht-direkt-Metropolen: Es ist ein unterhaltsamer Abend geworden, der beim Rendsburger Premierenpublikum auch manche nostalgische Aufwallung zu bewirken schien – wozu niemand unbedingt irgendwann irgendwo dabei gewesen sein muss. Die „Würde des rebellierenden Outsiders“, mit der laut taz Schamoni seinen Helden ausgestattet hat, eigentlich also sich selbst, die ist bis heute maximal anschlussfähig. Wie neu dieser Typ schwieriger Jungmann schon in den späten 70ern nicht mehr war, das sei dahingestellt.

Aufführungen: Rendsburg 22. 6. und 27. 6., 19.30 Uhr, Kammerspiele; Flensburg, 29. 6. und 7. 7., 19.30 Uhr, Kleine Bühne; Schleswig, 4. und 13. 7., 19.30 Uhr, Slesvighus

Die drei vom Vorplatz, die mit den Bierdosen, saßen nun aber auch in den ausverkauften Reihen, dazu noch einige angejahrte Freun­d:in­nen lauter Gitarrenmusik mehr. Ob darunter auch Menschen aus Lütjenburg waren, wo Schamoni aufwuchs und das er nur ums allernotwendigste verfremdete zum fiktiven „Schmalenstedt“? Dort soll Schamoni, über Jahre auf dem Marktplatz präsent, bis heute bekannt sein, aber nicht mehr so sehr berüchtigt: „Heute kommen die ehemaligen Freunde, die Eltern der Freunde, die Lehrer, die nicht immer nur gute Zeiten mit ihm hatten, und kaufen sein Buch“, stand 2004 in der taz. Und die örtliche Buchhändlerin ließ sich zitieren mit den versöhnlichen Worten: „Das ist ja alles auch schon zwanzig Jahre her. Das nimmt man heute nicht mehr so krumm.“

Von der Provokation, die Schamoni zufolge damals alles Bunte und Schräge darstellte, ist der Abend weit entfernt. Nein, hier wärmt man sich an mal reichlich, mal nicht ganz so präzise Aufgespießtem. Das Gute ist: Auf jede trügerisch Gemeinschaft herstellende Bespöttelung all der doofen Spießer, die nun nicht im Saal sitzen, folgt ein Verweis auf die Lächerlichkeit auch so manchen subkulturellen Abgrenzungsrituals. Alles bloß eine Frage des Drinnen- oder Draußenseins.

Die Straffung schadet gar nichts: Es landen immer noch reichlich Provinzdöntjes auf der niedrigen Bühne der Rendsburger Kammerspiele

Das Buch endet mit einer nächtlichen Szene: Der Ich-Erzähler lässt seine Jugend und seine Liebe davonschweben wie heliumgefüllte Ballons. Doch, ja, das ist so die Art von innerer Visualisierung, wie sie einem heute auch zur Stressregulierung angetragen wird. Was bedeutet es nun, wenn dieser sachte antherapiert wirkende Epilog an den Anfang des Theaterabends geschoben ist?

Zumindest nicht das ganz Naheliegende: Hier blickt kein auf diese oder jene Weise arrivierter Alt-Dorfpunk zurück, dazu spielt Dennis Habermehl, Schamoni, aber auch jedem Punkklischee phänotypisch erfreulich fern, viel zu unbekümmert. (Vor der dagegen erst mal geradezu zerbrechlich wirkenden Neele Frederike Maak indes kann man richtig Angst bekommen, wenn sie immer wieder „Alter!“ rausrotzt – ein Erlebnis.)

Irgendwann werden über diesen Stoff Schularbeiten geschrieben und dann macht die Klasse einen Ausflug ins Theater: In Schamonis anschlussfähiges Volks-Theater. Haben sie das wirklich noch nicht im Ohnsorg-Theater gespielt? Das kann echt nur eine Frage der Zeit sein.