Deutsche EM-Fankultur: Ein Tag mit Schlandisten

Die diesjährige EM hat eine andere Dimension als die mythische Erzählung vom Sommermärchen. Ein Ausflug zur Fanzone im Münchner Olympiapark.

Deutschlandfans in Schwarz-rot-goldener Kleidung

Schlandisten vor dem Vorrundenspiel Deutschland-Schottland in München Foto: Bernd Feil/MIS/imago

Es lebt sich doch recht gut in München. Ich umkurve die Schwabinger Lastenrad-Geschwader, was gar nicht so einfach ist, denn die 5.000-Euro-Boliden werden von den Pilotinnen forsch über den Asphalt gepeitscht. Am Eisbach ist Betrieb; die Surfer stehen Schlange, um ein paar Sekunden hin- und herzurutschen auf dem graublauen Wasser. Sie landen dann im Nass und auf Filmchen der vielen Umstehenden, die ihr Smartphone zwischen sich und die Wirklichkeit schieben.

An der Isar schaut mich ein Elch an. Im Englischen Garten riecht es nach Schaf – und im Gasteig wird über Fußball nachgedacht. Ein Spaßmacher im „Stadion der Träume“ sieht aus wie ein Linienrichter, und deswegen will er unbedingt unter Buhrufen auf die Bühne gehen. Er wird dann auch wunschgemäß vom Moderator angekündigt: „Und jetzt, Arschloch, Ficker, Hurensohn…“ Das Publikum ist freundlich-bemüht, hat Kinder und Kunstsinn dabei.

Nur noch ein paar Stunden sind es bis zum Deutschland-Spiel, und sogar hier, wo man sein Oberstübchen kulturell hübsch begrünt hat, sitzen ein paar Leute im Deutschland-Trikot in der ersten Reihe. In der Stadt herrscht unruhige Vorfreude. Der Verkehr hat sich schon auffällig beruhigt, dafür nimmt man dort, wo große Leinwände aufgestellt sind, geräuschvoll Anlauf auf das Spiel.

Auf der Praterinsel pumpen schon die Bässe, auf dem Odeonsplatz sowieso. Ich will freilich weiter zum Olympiapark und seiner Fanzone. In der Tengstraße sehe ich eine doch sehr seltene Deutschlandfahne, aus dem offenen Wohnungsfenster plärrt Peter Schillings „Völlig losgelöst“.

Rummelplatz für Schland-Liebhaber

Die Fanzone hat für Schlandisten schon neunzig Minuten vorm Spiel geschlossen, ich komme mit einer dreifach kontrollierten Akkreditierung herein. „Du Depp“, schreit ein abgewiesener Fußballfan einen Ordner an, der ihm die schlechte Botschaft überbringt: „Wer bist du denn!?“ Dann: Rummelplatzatmosphäre, das Amphitheater mit Blick auf die Leinwand ist restlos gefüllt. Das teure Bier geht gut weg. Katar wirbt im Pavillon für Wüstenbesuche, 4.500 Kilometer sind es bis Doha, steht da.

Die Schlandisten werden, bevor der Ball rollt, gut beschäftigt: Sie üben, sponsorenumrahmt, Herzmassage, testen ihre Reaktionsfähigkeit, messen die Geschwindigkeit ihrer Schüsse – 100 Sachen schafft fast keiner. Auf dem kleinen Fußballplatz des Bayrischen Fußballverbands versuchen türkische Jungs auf Socken ihre Gegner auszutricksen, was ihnen ganz gut gelingt.

Das große Spiel wird später mit vielen Ohs und Ahs begleitet, am Ende gibt es eine Bierdusche und die Schlandisten gehen, nun ja, irgendwie zufrieden und erfüllt heim. Der Tagespatriotismus wird zu Hause mit dem müffelnden Plastik-Trikot von Adidas abgestreift, denn das Private soll, ganz anders als im Jahr 2006, diesmal sauber bleiben. Diese Europameisterschaft hat eine andere Dimension als die mythische Erzählung vom Sommermärchen, auch im schönen München. Und das ist vielleicht ganz gut so, nicht wahr?

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