Präsidentschaftswahl in Iran: Iran hat keine Wahl
Am Freitag wird in Iran gewählt – zumindest soll dieser Anschein erweckt werden. Viele junge Menschen schauen desillusioniert auf dieses Theater.
S eine Wut ist ihm anzusehen. Ein junger Student mit schwarzem, lockigem Schopf und einem getrimmten, modischen Bart ist aufgestanden und spricht laut und bestimmt. Er ist Teil eines großen Publikums, in der Mitte des Raums sitzt Masoud Pezeshkian. Es ist eine Art „Wahlarena“, Pezeshkian ist einer der „Kandidaten“ für das iranische Präsidentschaftsamt.
„90 Prozent der jungen Menschen versuchen andere davon zu überzeugen, nicht zu wählen“, sagt der Student in Richtung Pezeshkian. „Ich bin selbst einer von denen, die ihre Umgebung dazu anregen, dass sie ihre Stimme nicht abgeben.“ Die Veranstaltung wird gefilmt; es gehört Todesmut dazu, solche Worte in einem öffentlichen Raum in der Islamischen Republik auszusprechen.
Denn der Anschein von freien Wahlen ist der Führung immens wichtig. Die Wahlbeteiligung war für die Machthaber stets ein „Beweis“ für die Unterstützung der Bevölkerung. Nur ist an Wahlen in der Islamischen Republik nichts legitim; sie sind weder frei, fair, gleich oder allgemein. Die „Kandidaten“ werden durch den fundamentalistischen Wächterrat bestimmt und müssen den Vorstellungen Khameneis genügen. Die Kandidaten sollen nicht der Bevölkerung dienen, sondern allein der islamistischen Diktatur. Nun soll also ein Nachfolger für den im Mai verstorbenen Staatspräsidenten Ebrahim Raisi „gewählt“ werden.
Dem jungen Studenten in der „Wahlarena“ zuzuhören, bricht einem das Herz. Er spricht den Präsidentschaftsbewerber Masoud Pezeshkian direkt an und erklärt, dass dieser bekanntermaßen zu den sogenannten „Reformern“ gehöre und allein deswegen kandidiere, um die Wahlbeteiligung hochzuschrauben. Dabei verkenne das System die Situation der jungen Menschen im Iran: „Ich lerne, ich studiere, einfach nur, um diesem Staat zu entfliehen“, so der junge Mann, der mit diesen Worten sein Leben und seine Freiheit in Gefahr bringt.
Man kann ihn sich vorstellen, in einem freien Land, wie er mit Kommiliton:innen in der Bibliothek lernt und über Politik und das Leben debattiert. Dort sollte er sein; nicht inmitten eines diktatorischen Wahltheaters, bei dem es nur darum geht, welcher Mann als nächster bestimmen soll, welche Menschen verfolgt, inhaftiert und ermordet werden.
Für Menschen wie den jungen Studenten spielt es keine Rolle, wie der nächste Präsident heißt. Sie alle sind Männer des Systems. Eines Systems, das außer Unterdrückung und Verderben nichts kennt. Eines Systems, das keine Wahl lässt.
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