Das Grauen schauen

Das Museumsquartier in der Verteidigungsministerstadt Osnabrück will mit seiner Kollwitz- und Barlach-Ausstellung die Opfer der Kriege dieser Welt in Erinnerung rufen. Das gelingt eindrucksvoll

Das Volk, wie Käthe Kollwitz es 1923 sieht, ist düster und von Düsternis umringt Foto: MQ4/VG Bild Kunst

Von Harff-Peter Schönherr

Der Hype um Verteidigungsminister Boris Pistorius ist ungebrochen. Kein deutscher Politiker ist derzeit beliebter als der oft demonstrativ tarngefleckte Sozialdemokrat, der gern in Panzern und Jets posiert. Pistorius kann der Bundeswehr die „Kriegstüchtigkeit“ verordnen, ei­nen „Neuen Wehrdienst“ nahe­legen, einen „Nationalen Veteranentag“ bescheren: Zu­stim­mung ist ihm sicher. Deutschlands Militär gewinnt neue Sichtbarkeit und Stärke, wird in eine neue Ge­sellschaftsrolle gepusht, die droht neuem Nationalis­mus und Chauvinismus Vorschub zu leisten. Da ist Vorsicht geboten.

Im niedersächsischen Os­nabrück, des­sen Oberbürgermeister Pistorius einst war, gibt es ein Beispiel für diese Vorsicht: Kämpfe­risch stellt das Museums­qua­rtier Os­na­brück (MQ4) seiner Aus­stellung „Barlach | Kollwitz – Nie wieder Krieg“ ein unbequemes, mahnendes Wort von Käthe Kollwitz voran: „Nicht nur bei uns geht die Jugend freiwillig und freudig in den Krieg, sondern bei allen Nationen“, schrieb sie 1916, zwei Jahre nachdem ihr ältester Sohn an der Front gestorben war.

Mit ihm hatte Kollwitz, zuvor noch recht vaterlandsfrohe Sozialdemokratin, ihre eigene Kriegsbegeisterung verloren. „Menschen, die unter anderen Umständen verstehende Freunde wären, gehen als Feinde aufeinander los. Ist wirklich die Jugend ohne Urteil? Geht sie immer los, sobald man sie aufruft?“, fragt die Künstlerin nun.

„Nie wieder Krieg“ ist dunkel. Ausstellungsräumlich, werkstofflich und gedanklich. Eine schonungslose, abgründige Welt aus Schwarz, Fahlheit und Grau. In alptraumhaftem Ernst zeigt sie unerträgliches Leid, echt und tief. Brutal treten uns Not und Tod entgegen, Schmerz und Hunger, Verlorenheit und Verzweiflung. Der Krieg, rammt sie uns schockhaft ins Bewusstsein, frisst seine Kinder. Er ist die Hölle. Immer.

Die Schau, rund 140 Grafiken und Skulpturen groß, trifft wie ein Gewehrkolben, wie ein Bajonett. Sie erprobt unsere Nerven. Sie berührt, bewegt, klagt an. Ihre Intensität ist immens, ihre Intimi­tät, ihre Drastik. Ihr Titel ist ein sendungsbewusstes Statement: Er verweist auf das ikonische Plakat, das Kollwitz 1924 für die Sozialistische Arbeiterjugend in Leipzig gestaltet hatte. Ein junger Mann hebt auf ihm den rechten Arm zum Schwur: Nie wieder Krieg!

Das Plakat ist das erste Exponat, das uns entgegentritt, riesig groß. Es nimmt nicht nur auf die Schrecken des Ersten Weltkriegs Bezug, die für Kollwitz ebenso prägend sind wie die sozialen Ungleichheiten ihrer Zeit, ein Ausfluss des Kapitalismus. Es ist ein Verweis auf die Friedensbewegung der 1970er und 1980er, aus der es nicht wegzudenken ist – eine Bewegung, der sich auch das Rahmenprogramm widmet.

Utopischer Imperativ

Die Ausstellung zeigt Menschen, die einander umklammern, die erkaltet vor uns liegen, zweifelnd Betende, Menschen unter Folter. Blicke gehen ins Nichts, Hände verdecken Gesichter. Universalverständlich ist das, zeitlos. „Wir sehen das auch als politische Schau“, sagt MQ4-Direktor Nils-Arne Kässens der taz. „Als Aufruf, sich ganz persönlich zu engagieren, für den Frieden, für die Demokratie.“

Die Ausstellung „Nie wieder Krieg“ läuft im kulturgeschichtlichen Museum Osnabrück bis 20. Oktober.

Kollwitz und Barlach zusammen zu zeigen, hat Tradition: Bereits in den 1920ern richteten die Berliner Sezession und die Akademie der Künste Dialogausstellungen aus.

Nach anfänglicher Kriegsbegeisterung fand Kollwitz 1914, Barlach 1916 zum Pazifismus.

Begeistert weltweit rezipiertwird Kollwitz dank der Retro­spektive im New Yorker Museum of Modern Art, die bis 20. 7. läuft

Den Titel der Schau verstehe er als „utopischen Imperativ“, der leider sehr aktuell sei. „Das hier geht schon sehr unter die Haut.“ Ernst Barlach und Käthe Kollwitz gemeinsam zu zeigen, liegt nahe.

Die beiden Vertreter der Klassischen Moderne wa­ren miteinander befreundet, haben sich the­matisch und motivisch ergänzt. Im kulturellen Gedächtnis stehen sie für die Sehnsucht nach einer friedvolleren, gerechteren Welt. Während Kollwitz schon vor der Machtübernahme die Nazis künstlerisch bekämpft – und 1933 prompt aus der Akademie fliegt, diente sich Barlach dem Regime zunächst an. Verfemt wurden beide.

Kollwitz wirkt intensiver

Barlachs Bronze „Das Grauen“ (1923) trägt Kollwitz‘ Züge Foto: MQ4

Klug sind ihre Holzschnitte, Lithografien, Bronzen, Strichätzungen und Radierungen im MQ4 so gruppiert, dass sie miteinander korrespondieren. Kollwitz brennt sich dabei weit wirkmächtiger ein als Barlach. Ihre Arbeiten wirken persönlicher, lebendiger, agitativer, kühner, intuitiver, politischer. Kollwitz erzeugt extreme Nähe, oft sehr körperlich, sehr expressiv. Sie inszeniert Pathos, Dramatik. Stark ist das. Es greift uns an, in unseren Sicherheiten. Doch auch Barlach, dem Mystischeren, Distanzierteren, Helleren, gelingen Botschaften, die haften bleiben: Stahlhelme zeigt er, als Teil eines Ehrenmals, das keines ist. Heroismus erscheint als Illusion.

Werke von Barlach und Kollwitz hat man schon oft gesehen. Aber die Mahnung der hier versammelten Exponate, die Opfer der Kriege dieser Welt nicht zu vergessen, ist wichtig. Es sind Kriege, die uns nicht nur geografisch nahe sind.

Kuratorin Maren Koormann beschreibt ihre Arbeit als einen Appell: „Es geht hier auch um den Schrecken, ob sich all das wiederholt, ob wir nichts gelernt haben.“ Kollwitz sei eine unglaublich starke Künstlerin, eine mutige Frau gewesen, eine Vorreiterin auf vielen Gebieten. „Es war immer ein Traum von mir, sie zu zeigen.“