Braune Stellen amGemüse

Der Demeter-Verband feiert 100 Jahre biodynamische Landwirtschaft. Über die NS-Verbindungen führender Funktionäre spricht man nicht gern – trotz neuer Erkenntnisse

Eine Kuh auf dem Demeter-Bauernhof Marienhöhe bei Bad Saarow

Hier haben Kühe noch Namen: der Demeter-­Bauernhof Marienhöhe bei Bad Saarow Foto: Thomas Meyer/ostkreuz

Von der Marienhöhe Stefan Hunglinger

Kinder jagen über den Bauernhof, jaulen vergnügt wie kleine Wölfe. Auf der Marienhöhe oberhalb von Bad Saarow in Brandenburg kann sich eine Grundschulklasse an diesem Maimorgen Ferkelchen anschauen, Rohmilchkäse probieren und sich die Finger schmutzig machen – in anthroposophisch gesegneter Erde.

100 Jahre biodynamische Landwirtschaft feiert der Demeter-Verband gerade. Mit Hoffesten, Führungen, Märkten. Der Jubiläumsbericht zeigt kernig-bunte Bilder und erzählt eine Erfolgsgeschichte. Weltweit mehr als 9.000 Betriebe arbeiten heute nach Demeter-Richtlinien.

Den ältesten Demeter-Hof, Marienhöhe, leitet heute Gerald von Hackewitz, gemeinsam mit anderen. Der Bauer – um die 50, Fünftagebart, Cordweste – tritt aus dem sandfarbenen Landhaus und zeigt stolz den neuen Freilaufstall. 50 Rinder leben hier, der Name eines jeden steht auf einer Schiefertafel, gemolken wird von Hand. Gleich nebenan rührt einer von 16 Mitarbeitenden in Käsemasse. Auch Quark und Sauerrahmbutter machen sie hier, Kindern bringen sie die Landwirtschaft näher, Freiwillige helfen beim Jäten. Marienhöhe ist ein ganzheitliches Idyll.

„Das war hier auch ein Experiment“, sagt von Hackewitz über die Pionierzeit in den Zwanzigerjahren. Auf ganz leichtem Boden, extrem trocken, sollte sich auf Marienhöhe die Lehre Rudolf Steiners beweisen. „Der Ansporn war: Wenn es hier funktioniert, dann muss es überall funktionieren. Deswegen war es ein Vorzeigebetrieb.“

Demeter ist bekannt für Nachhaltigkeit, für Produkte von hoher Qualität und entsprechend hoher Preise. Weniger bekannt sind die esoterischen Grundlagen. Und was im bunten Jubiläumsbericht ebenfalls fehlt, sind die NS-Verbindungen führender Demeter-Funktionäre. Allen voran Erhard Bartsch, Gründervater des Verbandes und der Marienhöhe.

Bartsch, Ex-Militär und promovierter Landwirt, war Praktikant auf einem Gutshof im schlesischen Koberwitz, als Rudolf Steiner dort im Juni 1924 seinen „Landwirtschaftlichen Kurs“ gab. Beeinflusst vom deutschen Idealismus und den esoterischen Strömungen seiner Zeit, verkündete der 1861 im Habsburgerreich geborene Steiner Inhalte aus der sogenannten Akasha-Chronik, der Vorstellung einer Art Weltgedächtnis, in das er Einblick zu haben glaubte.

In Koberwitz erschloss Steiner die Landwirtschaft als anthroposophisches Praxisfeld. Dabei zentral: Kuhhörner. Als eine Art Antenne schufen sie für ihn eine Verbindung zum „Astralischen“ im Kosmos, von der nicht nur das Rind selbst profitiert. Eines der Rezepte, die Steiner den rund 100 Versammelten gab: Bergkristallpulver, Schafgarbenblüten, eine Hirschblase in die Hörner füllen und über den Winter vergraben.

Demeter besteht bis heute darauf, dass seine Er­zeu­ge­r:in­nen den verrotteten Inhalt – die sogenannten Präparate – extrem mit Wasser verdünnen und eine Stunde lang von Hand rühren. Mit einem Reisigbesen. In beide Richtungen. Bei guten Gedanken.

Als „Homöopathie für den Boden“ sprühen Biodynamische wie Gerald von Hackewitz dieses Wasser auf ihre Felder. Der biodynamische Landbau verspricht sich davon fruchtbarere Böden, besseres Futter, verträglichere Milch. Unabhängig belegt ist die Wirkung dieser Methode nicht.

Nach dem Kurs 1924 auf Gut Koberwitz fand Erhard Bartsch mit Hilfe des früheren Reichspräsidenten Georg Michaelis auf der Marienhöhe schließlich einen Hof, den er zum Zentrum der biodynamischen Landwirtschaft und des 1928 gegründeten Demeter-Verbandes ausbauen konnte. Und dann?

Im Jubiläumsbericht heißt es zur NS-Zeit: „Alle Demeter-Organisationen und die Monatsschrift ‚Demeter‘ in Deutschland werden durch die Nazis verboten, führende Persönlichkeiten werden inhaftiert, Auskunftsstellen geschlossen, Literatur beschlagnahmt.“

In der Tat wurde 1941 der von Bartsch gegründete „Reichsverband für biologisch-dynamische Wirtschaftsweise in Landwirtschaft und Gartenbau“ verboten. Doch in den Jahren zuvor und danach waren die Biodynamischen keineswegs nur Opfer. Das sollte Demeter eigentlich wissen. Hat der Verband doch nach zunehmender Kritik selbst eine historische Untersuchung in Auftrag gegeben. Der taz liegen die Ergebnisse vorab vor, veröffentlicht wird die Arbeit Anfang Juli.

Nach der Machtübergabe an die Nazis im Januar 1933 folgte die Gleichschaltung von Kultur und Wirtschaft. In der deutschen Anthroposophischen Gesellschaft (AG) kam es der neuen Studie nach zu einer hitzigen Anpassungsdebatte.

Ita Wegmann, Geliebte Rudolf Steiners und Begründerin der anthroposophischen Medizin, schrieb im Juni 1933 aus dem schweizerischen Dornach an Kollegen in London: „Von Deutschland keine guten Nachrichten; da sind die Menschen ohne Freiheit und das Traurige ist, dass sie es nicht einmal mehr merken und dass unsere ­Anthroposophen in großen Scharen mitmachen.“

Der AG-Vorstand lehnte das „Führerprinzip“ und einen „Arierparagraphen“ für sich ab. Juden und Jüdinnen wurden nicht ausgeschlossen, aber an den Rand gedrängt. 1935 wurde die AG trotzdem verboten.

Für die Mitglieder der biodynamischen Verbände hingegen stand schon ab Sommer 1933 fest, dass sie die Eingliederung in den NS-Staat wollten.

Das „Führerprinzip“ hielt Einzug bei den Biodynamischen, mit Eberhard Bartsch an der Spitze. Ihm unterstanden die Geschäftsstellen des Versuchsrings, des Demeter-Wirtschaftsbundes und der Monatsschriften. Paragraf 3 der Satzung des von Bartsch gegründeten „Reichsverbands“ schloss Juden aus.

In seinen Schriften und Briefen gibt es keine antisemitischen oder rassistischen Argumentationen, Bartsch blieb ganz Anthroposoph. Und doch, so geht aus der neuen Studie hervor, unterstützte er den NS-Staat und verehrte die „Persönlichkeit“ Adolf Hitlers. Der Führer aber wollte gar nichts wissen von Düngung mit astralischen Kuhhörnern.

Der weit größte Teil der NS-Elite stand dem „Stickstoff-Syndikat“ nahe, das zunächst unter der Führung der BASF, später der I.G. Farben, den Einsatz von Kunstdünger in der „Erzeugungsschlacht“ propagierte.

Allein Chemiekritiker wie der „Stellvertreter des Führers“ Rudolf Heß, „Reichsführer SS“ Heinrich Himmler und „Reichs­ernährungsminister“ Walther Darré hingen der Idee einer „ursprünglichen“ Landwirtschaft ohne Kunstdünger an. Bartsch und seine Mitstreiter sahen darin eine Chance, nicht verboten zu werden. Und aus der Nische herauszukommen.

Bartsch knüpfte Kontakte, verwob die Steinersche Idee des geschlossenen Betriebsorganismus mit dem Autarkiegedanken der Nazis und druckte zum Führergeburtstag 1939 ein Bild Hitlers auf den Titel der Demeter-Zeitschrift. Wiederholt lud er NS-Funktionäre auf die Marienhöhe ein, wo er die Wirksamkeit der kosmischen Präparate nachzuweisen versuchte. Am 18. Juni 1940 gelang es Bartsch, „Reichsbauernführer“ Darré in Marienhöhe zu empfangen. Rudolf Heß brachte zu Kabinettssitzungen biodynamische Nahrungsmittel mit und sorgte dafür, dass das Heß-Krankenhaus in Dresden Demeter-Gemüse erhielt.

In einer Rede vor seinen Mitarbeitenden in Marienhöhe sagte Bartsch am Kriegsjahreswechsel 1940/41: „ …daß der Führer selbst mit wachsender Aufmerksamkeit auf unsere Arbeit hinschaut“. Er endete mit einer Art Schlachtruf: „Deutscher Geist und deutsches Schwert werden dem kulturschaffenden Bauern die Zukunft sichern. Heil dem Führer.“

Anthroposophische Zeitgenossen gaben in der Rückschau an, die Jahre 1934 bis 1941 wären mehr gewesen als nur eine „Zeit ungestörten Aufbaus“. Die biodynamische Landwirtschaft habe einen „mächtigen Schritt vorwärts in einem Tempo gemacht, wie er in ruhigen Zeiten nie so rasch zustande gekommen wäre“.

Gerald von Hackewitz kennt die Geschichte seines Hofes. „Ich weiß, was hier geleistet worden ist, ich weiß, in welchem Grenzbereich das liegt“, sagt er. „Keiner weiß ja, wenn man drinnen steht, wie die Zukunft sich entwickelt. Wer frei von Schuld ist, werfe den ersten Stein.“ Dabei ist herauszuhören: Eine andere Epoche überlagert die NS-Zeit auf der Marienhöhe. 40 Jahre selbst erlebte DDR-Agrarpolitik.

Auf dem Hof ist jetzt Mittag, die Mitarbeitenden sammeln sich. Auf einer Holzbank steht ein Blumenstrauß, Frau von Hackewitz soll ein Geburtstagsständchen bekommen. Später, zum Abschied, sagt ihr Mann: „Wenn der Bartsch damals nicht so vorne dran gestanden und seine Sache vertreten hätte, auf allen Ebenen und auf höchster Ebene gegengehalten hätte, dann würde es die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise wahrscheinlich nicht geben.“

„Deutscher Geist und deutsches Schwert werden dem kultur­schaffenden Bauern die Zukunft sichern“

Erhard Bartsch, Gründer des Marienhöhe-Bauernhofs zur Jahreswende 1940/1941

Alexander Gerber ist Geschäftsführer von Demeter. Er kennt die neue Studie. „Wir sehen keine systematische Nähe, aber durchaus einzelne Akteure, die kooperiert haben.“

Doch warum ist im Jubiläumsbericht nichts zu den NS-Verbindungen zu finden? „Was vor 1941 geschah, betrifft nicht Positionen des Verbandes, sondern die einzelner Akteure.“ Unter dem „Führerprinzip“ ist das allerdings schwer zu trennen.

Trotz der guten Verbindungen Bartschs wurde Demeter 1941 verboten. Am 10. Mai war Rudolf Heß Richtung Nordwesten geflogen und am Fallschirm über Schottland aus dem Flugzeug gesprungen. Er wollte mit Großbritannien einen Frieden verhandeln, war aber Desinformation aufgesessen und landete in Gefangenschaft. Hitler tobte, seine Propaganda setzte den „Englandflug“ mit Heß’ okkulten Interessen in Verbindung, alles, was nach Esoterik aussah, wurde verboten. Auch Demeter. Bartsch wurde mehrfach inhaftiert. Im Gestapo-Verhör am 20. Juni 1941 sagte er, kurz vor der Verhaftung sei ihm ein Befehl Himmlers übermittelt worden, die Landwirtschaft in Auschwitz solle biodynamisch werden. Er sei bereits zu einer Besichtigung aufgefordert worden.

Die SS-Versuchsanstalt für Ernährung und Verpflegung war seit 1940 korporatives Mitglied in Bartschs Reichsverband. Die SS rekrutierte sechs biodynamische Fachkräfte, um in den KZ Ravensbrück und Dachau sowie in der besetzten Ukraine Versuchsflächen biodynamisch zu bewirtschaften. Diese Versuche wurden auch nach dem Demeter-Verbot fortgesetzt, mit ausdrücklicher Billigung Bartschs. Nach dem Krieg setzte der sich nach Österreich ab, wo er weiter publizierte und 1960 starb.

Die Mitarbeit der Biodynamischen auf den SS-Gütern könne nur als Kollaboration bezeichnet werden, so die neue Studie. Franz Lippert, bis 1940 Gärtner bei der anthroposophischen Naturkosmetikfirma Weleda und danach Leiter der euphemistisch „Kräutergarten“ genannten biodynamischen SS-Felder in Dachau, musste sich nach 1945 als einziger einem Entnazifizierungsverfahren stellen. Wie die Mehrzahl der Deutschen wurde er entlastet.

Auf der Webseite von Weleda steht, dass es nach 1940 keine Zusammenarbeit mehr mit Lippert gegeben habe. Die neue Studie aber zitiert ein Weleda-Protokoll von 1947, in dem es heißt, „dass wir ohne Lippert gar nichts Rechtes machen können. Inzwischen ist L. dagewesen. Eine gründliche Aussprache ergab durchaus die Möglichkeit der Zusammenarbeit auf einer guten menschlichen Basis.“