Politikwissenschaftler über Populismus: „Wie eine Lupe für das Bauchgefühl“

Woraus resultiert die Stärke der Populisten? Und was folgt daraus für die etablierten Parteien? Marcel Lewandowsky über Hintergründe des Rechtsrucks.

ein blauer Flyer mit der Aufschrift "Es ist okay weiss zu sein" der Jungen Alternative neben einer Tasse, Motiv Mann mit Schwert Freiheitskampf Aufschrift

Wenn Konservative von „kleinen Paschas“ sprechen, bestärkt das nur die Populisten. AfD-Aufkleber Foto: Jens Gyarmaty/laif

taz: Populisten halten sich für die wahren Demokraten, so lautet die Grundthese Ihres Buches. Weshalb haben die Populisten unrecht?

Marcel Lewandowsky: Die Populisten sagen: Wir leben nicht in einer Demokratie, aber wenn wir drankommen, stellen wir die wahre Demokratie wieder her. Ihnen einfach Unrecht vorzuwerfen ist nicht so einfach. Denn was sie wollen, ist schon eine gewisse Art von Demokratie. Sie wollen eine totale Volksherrschaft. Aber diese wäre in der Konsequenz eben illiberal. Sie nutzen das Versprechen, dass das Volk allein regieren sollte, um Justiz, Verfassungsgericht, Medien mit ihren eigenen Leuten zu besetzen. Die Wahlen bleiben erhalten, aber die Gewaltenteilung wird ausgehebelt.

Marcel Lewandowsky wurde 1982 in Köln geboren. Er ist Politikwissenschaftler. Seine Forschungsschwerpunkte sind Populismus, politische Partizipation, Parteien und Parteiensysteme sowie Verwaltungs­politik auf Länderebene. Er schrieb unter anderem die Studie „Aufstand der Außen­seiter – Die Herausforderung der europäischen Politik durch den neuen Populismus“ (Nomos, Baden-Baden 2022). Sein neues Buch: Marcel Lewandowsky. „Was Populisten wollen“. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2024. 336 Seiten, 20 Euro

Die Demokratiezerstörer nennen sich Demokraten. Die Totalitären predigen Toleranz“, zitieren Sie Beatrix von Storch. Glauben AfD-Politiker wirklich, die wahren Demokraten zu sein?

Es ist gar nicht wichtig zu fragen, ob die Spitzen der AfD das tatsächlich glauben. Mir geht es eher darum, dass diese Parteien ein Programm haben, das auf genau diese Erzählung angelegt ist. Die Demokratie wird uns von den Eliten weggenommen und wir bringen sie euch zurück. Und Menschen, die sie wählen, glauben das.

Populisten und ihre Wähler zeichne der Glaube an einen „gerechten Widerstand“ aus, schreiben Sie. Welche Rolle spielt dieser Gedanke bei den aktuellen Attacken auf Politiker?

Es wäre nicht seriös zu sagen, dass ich die Psychologie der einzelnen Täter erklären könne. Wir wissen aber, dass populistisch eingestellte Menschen oftmals eine höhere Toleranz gegenüber politischer Gewalt haben – oder sie sogar befürworten. Sie glauben, da oben sei eine übermächtige Elite, die Menschen wie sie, welche die eigentliche Mehrheit bilden, den Mund verbietet. Also müssen sie sich dagegen auflehnen.

Rechter Populismus und rechter Extremismus seien „nicht unbedingt kompatibel“. Wovon hängt das ab?

Parteien wie die AfD bilden sowohl für Menschen mit rechtspopulistischen als auch für welche mit rechtsextremistischen Einstellungen eine Plattform. Das eine ist aber nicht einfach das Extremere des anderen. Beide wählen die AfD, aber das sind unterschiedliche Gruppen. Eine Person, die will, dass der wahre Volkswille umgesetzt wird, muss nicht antidemokratisch eingestellt sein. Aber diejenigen, die den starken Führer wollen, haben eine antidemokratische Einstellung. Den Rechtspopulisten gelingt es bislang, beiden Ansichten Platz zu bieten. Auf der Wählerebene funktioniert es, auf der Parteiebene führt es zu Konflikten zwischen den populistischen und den faschistischen Vertretern.

Sie sprechen von einer „stillen Reserve“ populistischer Wähler. Das Weltbild schlummere bereits in ihnen und könne durch entsprechende Parteien „aktiviert“ werden. Woher stammen die populistischen Einstellungen?

Darüber rätseln wir auch in der Forschung. Wir wissen aber, dass politische Einstellungen über das ganze Leben hinweg nicht vollständig konstant sind. Menschen aus einem Arbeiterhaushalt sind in der Jugend vielleicht relativ links. Dann studieren sie, werden Steuerberater und haben zur Sozialpolitik andere Ansichten. Bei populistischen Einstellungen ist diese Mechanik grundsätzlich nicht unähnlich. Es gibt aber bestimmte Effekte, die sie verstärken.

Dazu gehören Einsamkeit, das Gefühl, ausgeschlossen und übervorteilt zu sein, die Angst vor ökonomischem Statusverlust oder die Wahrnehmung einer Krise. Die Parteien pflanzen diese Einstellungen nicht ein, sondern sie aktivieren oder verstärken etwas, was bereits da ist. Es ist, als würden sie den Leuten eine Lupe geben, mit der sie in ihr eigenes Bauchgefühl hineinsehen können.

Einmal aktiviert, lassen sich viele Unterstützer nur schwer zurückgewinnen. Die AfD-Wählerschaft zeige die geringste Bereitschaft, eine andere Partei zu wählen, schrei­ben Sie. Welche Botschaft sendet das an die „etablierten Parteien“?

Es sendet die Botschaft, dass man sich nicht auf kurzfristige Lösungsansätze verlassen sollte. Die Parteien sind gerade Getriebene. Manche glauben, dass sie die Wähler am besten mit AfD-Positionen zurückholen können. Wir wissen aus der Forschung, dass das nicht stimmt.

Wenn man in der Migrationspolitik weiter nach rechts rückt, dann stärkt das die Rechtspopulisten sogar. Stellen wir uns einmal vor, jemand wählt AfD, weil er gegen die Asylpolitik ist, und plötzlich spricht Friedrich Merz von „kleinen Paschas“. Dann wird derjenige nicht sofort CDU wählen, sondern sich zunächst einmal in seiner Wahl bestätigt fühlen.

Welche Strategie empfehlen Sie?

Die Frage ist, wie man es schafft, mit den Mitteln der wehrhaften Demokratie der AfD beizukommen und sie aus den Institutionen herauszuhalten. Kurzfristig darf man mit ihr weder koalieren noch sich von ihr in einer Minderheitsregierung abhängig machen. Langfristig stellt sich die Frage, was populistische Einstellungen aktiviert. Wenn wir wissen, dass es mit Angst vor Statusverlust zu tun hat, dann geht es langfristig im weitesten Sinne um Sozialpolitik. Auch über lokale Bürgerräte sollte man nachdenken. Sie erhöhen nachweislich die Zufriedenheit mit der Demokratie.

Die Aktivierung der populistischen Einstellung könne erfolgen, wenn der politische Kontext günstig sei – etwa durch ein schwache Wirtschaftslage. Das führt zum konservativen Vorwurf, dass die Ampel-Regierung schuld sei am Erstarken der AfD.

Die Performance der Bundesregierung ist nicht gut, aber das Argument hinkt trotzdem. Denn wenn die Ampel schuld ist und die Union eine klar konservative Position einnimmt, wieso gewinnt die Union nicht noch stärker anstelle der AfD? Ich halte das Argument nicht für plausibel. AfD-Wähler sind zu einem großen Teil gegenüber ihrer Partei loyal, weil sie die illiberale Demokratievorstellung und die negative Einstellung zur Migration teilen. Sie ist keine reine Protestpartei, sondern holt die Menschen da ab, wo sie stehen.

Der frühere Ostbeauftragte Marco Wanderwitz hat unlängst einen AfD -Verbotsantrag gefordert. Wie stehen Sie dazu?

Wenn die AfD eine in Teilen extremistische Partei ist, dann ist es ein Instrument der wehrhaften Demokratie, sie zu verbieten. Nach dem letzten Urteil sollte die Wahrscheinlichkeit, dass das Bundesverfassungsgericht sie verbietet, auf jeden Fall nicht gesunken sein.

Der Bundesrat könnte als überparteiliches Gremium ein solches Verbotsverfahren anstrengen. Aber dann sollte es auch jetzt bald passieren, denn solche Verfahren dauern lange. Wir reden hier von zwei oder mehr Jahren, während derer die AfD das Ganze für sich nutzen könnte, indem sie den Prozess als Gängelung durch die politischen Eliten bezeichnet und damit bis ins konservative Spektrum mobilisiert.

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