Jasmin Ramadan
Einfach gesagt
: Exklusive Euphorie in Tüten

Berührt euch die Fußball-EM hier eigentlich gerade irgendwie?“, fragt die Freundin vorm Restaurant in der Schanze und stochert in ihren rot-weiß ­zermatschten Pommes.

„Wahrscheinlich nicht, denn ich hab bisher noch kein einziges Spiel ganz gesehen“, sagt der Freund und nippt am Rotwein.

„Ich nicht mal den Hymnenteil.“

„Der läuft gerade hinter dir auf dem Bildschirm.“

„Hmm, wer ist denn da aufgereiht?“, fragt er, ohne sich umzudrehen.

„Keine Ahnung, welche Farben haben die Trikots?“

„Daran erkennst du das?“

„Nee, stimmt, hab’echt keinen Plan von nix daran.“

„Ich mag es, wie die ganzen Clowns durch die Stadt laufen und an den Ampeln Samba tanzen und so.“

„Voll, das hat so eine urban beschwipste Grundatmo!“

„Als wäre im Grunde doch alles Trallaschalala.“

„Ich guck in letzter Zeit ziemlich viel Tennis.“

„Der Charme des Einzelkampfs!“

„Und wer ist da gerade die ganz große Hoffnung?“

„Keine Ahnung, ich seh’mir nur alte Spiele an, vor allem die mit Steffi Graf oder ihrem Mann mit Frotteestirn.“

„Kontemplativer Anachronismus?“

„Genau, und dazu ein Softeis. Die Vergangenheit ist wie die Gegenwart, nur eben in weichgespült.“

„Du weißt, da war auch vieles scheußlich, dennoch drehte die Welt sich immer weiter.“

„Das Gehupe neulich, als zum Beispiel die Türkei gewonnen hat, fand ich bizarr anachronistisch.“

„Was meinst du? Sollen die Leute sich jetzt digital freuen?“

„Nee, aber irgendwann war das mal neu, dass türkische Fans hier auf den Straßen euphorisch ihre Mannschaft abfeiern.“

„Und dann die deutsche Mannschaft, falls die Türkei nicht mehr am Start war.“

„Haben denn auch die Deutschen dann die Türkei abgefeiert, wenn Deutschland raus war?“

„Ach Türkei, Deutschland, Deutschland, Türkei, Flaggen hier, Gegröle da, Clowns mit Alkoholvergiftung, am Ende ist es doch bloß alles Nationalismus in Tüten.“

„Teuer verpackt in ein Sportevent.“

„Aber da geht’s ja wenigstens eher inklusiv zu.“

„Du meinst, Deutscher ist, wer für Deutschland spielt?“

„Wer sind denn überhaupt die Deutschen?“

„Zu guter Letzt bloß Formalien.“

„Nichts für exklusive Nationalisten.“

„Da hat das Formale doch fast mal was Versöhnliches.“

„Ist Formalität eigentlich das Gegenteil von Magie?“

„Wieso?“

„Ach, vielleicht nur wegen Märchen.“

„Sommermärchen?“

„Was war daran eigentlich das Märchen?“

„Die Behauptung, Fahnenschwenken wäre voll okay und könnte nun endlich wieder normal werden.“

Foto: Roberta Sant‘anna

Jasmin Ramadan ist Schriftstellerin in Hamburg. 2023 ist ihr Roman „Auf Wiedersehen“ bei Weissbooks erschienen. 2020 war sie für den Bachmann-Preis nominiert.In der taz verdichtet sie im Zwei-­Wochen-Takt tatsächlich Erlebtes literarisch.

„Patriotismus solle man nicht den Rassisten überlassen.“

„Die wird man ja wohl noch schwenken dürfen.“

„So fing es an und jetzt haben wir den Salat.“

„Offener Rassismus ist ja nun wirklich kein Salat.“

„Salat hin oder her, Metaphern bringen da ohnehin nicht weiter, egal ob gute oder schlechte.“

„Große Worte aber auch nicht.“

„Außer sie bringen die Scheiße wirklich mal auf den Punkt.“

„Wisst ihr noch die No-go-Areas?“

„Aus dem immensen Funken Wahrheit ist ein Waldbrand geworden.“

„Schäuble hat sich damals furchtbar aufgeregt – es gebe in Deutschland keine Zonen, in denen das Gewaltmonopol des Staates nicht gelte.“

„Verharmlost geht das Land zugrunde.“

„Daran kann nun weder eine Mannschaft noch ein Team was drehen.“