Eva, kein Adam

Die grotesken Szenarien der New Yorker Künstlerin Nicole Eisenman scheinen direkt aus dem Unterbewusstsein zu stammen. Die Galerie Barbara Weiss präsentiert erstmals hierzulande eine Einzelausstellung des „Riot Girls zwischen Porno und Punk“

VON SEBASTIAN FRENZEL

Ein Gott hat diese Welten wohl nicht erschaffen, und wenn, dann war es kein männlicher. Gleichwohl – oder gerade deshalb – mutet die Szenerie paradiesisch an: eine archaische Naturlandschaft in orgiastischen Farben, ruhig und harmonisch, von industrieller Hektik und Entfremdung keine Spur.

Es gibt Frauen in diesem Mini-Kosmos, aber keinen einzigen Mann. Nackt sind sie, in einem Zustand vor oder jenseits der Scham, und doch tätig. Die Frauen kommen von der Jagd oder vermessen das Land. In der unteren Bildhälfte sieht man einen Bergbruch, ein Förderwagen rollt aus einer Grube. Doch was an die Oberfläche gebracht wird, ist kein Erz und keine Kohle, sondern Farbe. Rot, Grün und Blau – das ist der Rohstoff für diese Welt; ihre Produkte aber sind die Kunst.

Fast naiv muten die großformatigen Gemälde der New Yorker Künstlerin Nicole Eisenman an. Gäbe es in der Galerie Barbara Weiss nur diese Bilder zu sehen, könnte man fast vergessen, mit wem man es hier zu tun hat. Denn Nicole Eisenman, 1965 in Frankreich geboren, machte sich nicht eben als neoromantische Naturliebhaberin einen Namen. Spätestens nach ihrer Teilnahme an der „Bad girls“ Ausstellung im Londoner ICA 1993 wurde sie vielmehr als „bad-ass feminist“ tituliert, als „riot girl“ zwischen Porno und Punk, als Lesbierin, die Kastrationsfantasien Bild werden ließ.

Und noch immer werden lässt, was eine Reihe von Tuschezeichnungen in der Ausstellung deutlich macht. In Rottönen gehalten, ist jedes dieser etwa DIN A 4 großen Blätter ein Universum für sich, dessen Reichtum auf den ersten Blick kaum zu fassen ist. Comic-artige Kreaturen geistern durchs Bild, man sieht deformierte Gestalten mit Zigarrennasen und Fische mit Armen. Blut spritzt, als ein Kopf zerplatzt, und es regnet aus Brüsten. Ein Mann im Handstand pupst Blumen; DIX ist auf seinen Hintern tätowiert. Klosprüche zieren andere Bilder, und auch die Titel der Arbeiten sind als ironischer Kommentar zu verstehen.

In „Pit stop between the material and spiritual worlds“ saugen die Figuren an einem Darm; „I C U“ spielt mit dem Fensterblick klassischer Meister. Immer neue Details entdeckt man in diesen wahnwitzigen Szenerien, die direkt aus dem Unterbewusstsein zu stammen scheinen. Menschen- und Tiergestalten verwischen, Geschlechterordnungen allemal: Zwei Frauen, nein Männer küssen sich und weinen dabei. Zwei Penisse stecken in einer Nase, ein dritter hat einen Schlangenkopf. Phallisch ist da einiges, symbolisch auch.

Eisenmans Vater ist Psychiater; die beiden dürften einigen Diskussionsstoff haben. Verkopft sind ihre Arbeiten jedoch keineswegs; zu offensichtlich ist das Groteske der Bilder. Nicole Eisenman weiß um diese Wirkung. Der Humor, so hat sie ihre Arbeitsweise beschrieben, öffne den Betrachter für Ideen, die ihn sonst verstören würden; er sei eine Art Umschlag, in dem man dem Betrachter eine Idee überbringt. Was in den Tuschezeichnungen der Humor, das scheint in den Gemälden die Farbe zu sein: Das Lockmittel in eine Welt, die zunächst harmlos und angenehm wirkt, dann aber das Lachen ersticken lässt. Spätestens auf den zweiten Blick fragt man sich, ob die Splatterszenarien in Eisenmans Bildern nicht doch auf bittere Wirklichkeiten verweisen.

In der ersten Einzelausstellung Eisenmans in Deutschland sieht man schließlich, dass die New Yorkerin auch ihre eigene Rolle als Künstlerin subversiv zu verarbeiten weiß. In einer Reihe von Porträts spielt sie auf alte (männliche) Meister wie Breughel und Bosch an. Wie Eisenman sich in dieser Tradition verortet? Nun, sie kreuzt das Ganze mit einer Portion White Trash, indem sie den in den USA beliebten Autoaufkleber „How’s my driving?“ abwandelt.

„How’s my painting?“, prangt es in grellen Farben von Stickern, die Eisenman auf die Werke geklebt hat. Eine Nummer für Rückmeldungen hinterlässt sie auch: Call 1-800-EAT SHIT!

Nicole Eisenman: „A show called nowhere“. Galerie Barbara Weiss. Bis 25. Juni. Di–Sa 11–18 Uhr