Zivilgesellschaft in Thüringen: Sorge vor Kürzungen
Bei EU- und Kommunalwahlen erstarkt die AfD, vor allem in den östlichen Bundesländern. Für die Flüchtlingsarbeit sind die Wahlergebnisse bedrohlich.
Beim Bildungswerk „Faire Integration“ bietet Heinrichs arbeitsrechtliche Beratungen für Beschäftigte aus Drittstaaten an. Rassismus in Betrieben sei ein wachsendes Problem. Ergebnisse wie das der AfD bei den jüngsten Wahlen beförderten diese Tendenzen. Bei den Beratungen werde er von ArbeitnehmerInnen immer wieder mit Überlegungen wie dieser konfrontiert: „Soll ich Thüringen nicht besser verlassen und nach Westdeutschland gehen?“
Thüringens Zukunft
Das betreffe auch die Zukunft von Thüringen, sagt Heinrichs. „Was würde denn passieren, wenn alle diese Menschen gehen würden? Wer würde dann in Thüringen noch die Pakete austragen?“ Und nicht nur im Paketdienst seien viele Menschen mit Migrationshintergrund beschäftigt. Auch in den Krankenhäusern und den Pflegediensten, „vom Chefarzt bis zu den Reinigungskräften, überall“.
Hamidou Maurice Bouguerra ist politischer Referent bei DaMOst. Das ist der einzige Dachverband der Migrant*innenorganisationen in Ostdeutschland und damit nach eigenen Angaben die wichtigste Interessenvertretung von Migrant*innen in den östlichen Bundesländern. Das Ergebnis der AfD bei den Kommunal- und Europawahlen sei keine Überraschung, sagt Bouguerra. Die Prognosen für die kommenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg hätten sich bestätigt: „Das ist bitter.“
Denn auf Landes- und Kommunalebene werde die tatsächliche Integrationspolitik gemacht. In den Kreistagen und Stadträten könne die AfD nun immensen Schaden auf diesem Gebiet anrichten. Gelder für die Unterbringung von Geflüchteten, für Integrations-, Kultur- und Demokratieprojekte könnten gekürzt oder ganz gestrichen werden.
Resignation und Ohnmacht
Die Projekte könnten sich eines Resignations- und Ohnmachtsgefühls nicht erwehren. „Wir versuchen, Strategien dagegen zu finden“, sagt Bouguerra. Aber viel mehr als bisher könne man kaum tun. Das Erstarken der AfD zu verhindern sei Aufgabe der Mehrheitsgesellschaft und der Regierungsparteien.
Das Beratungsprojekt des DGB-Bildungswerks Thüringen ist im Unterschied zu den kommunal betriebenen Integrationsprojekten nicht durch das Erstarken der AfD bedroht. Man sei EU-finanziert, sagt Benjamin Heinrichs. „Aber auch wir werden weiter dafür kämpfen, dass sich die gesellschaftliche Stimmung wieder verbessert.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen