Yogalehrerin über Sport-Apps: „Zum Schluss blieb zu wenig übrig“

Ihr Yoga-Institut war lange eine Institution in Berlin. Jetzt schließt Eva Obermeier nach 28 Jahren ihr Studio in Kreuzberg.

Eva Obermeier sitzt im Grünen

Eva Obermeier im Hof ihres Instituts Foto: Sophie Kirchner

wochentaz: Frau Obermeier, vor Kurzem erst hatten Sie Ihre letzte Yogastunde in Ihrem eigenen Studio. Wie hat sich das angefühlt?

Eva Obermeier: Sehr berührend. Das geht jetzt schon ein paar Wochen so, dass ich immer wieder E-Mails kriege oder von Leuten angesprochen werde. Bei der letzten Stunde kamen wirklich einigen TeilnehmerInnen die Tränen. Ich bin überhäuft worden mit Blumen, mit Geschenken, mit Applaus, es gab eine spontane Abschiedsrede. Ein Triathlet, der einen schweren Unfall hatte, hat mir gesagt: „Du hast mich wieder hingekriegt.“ Da bekomme ich auch Gänsehaut und dann liefen auch bei mir die Tränen.

Trotzdem hat es nicht dazu geführt, dass Sie Ihre Entscheidung, aufzuhören, überdenken …

Ich habe mir das wirklich nicht leicht gemacht. Ich unterrichte jetzt seit 31 Jahren, und seit 28 Jahren habe ich diese Yogaschule. Ich habe früher an jedem Tag der Woche unterrichtet, sowohl vormittags als auch abends, an den Wochenenden. Zu meinen Schülern gehörten Schwangere, Frauen nach der Entbindung und auch Kinder. Als meine eigenen Kinder klein waren, habe ich morgens um vier mit dem Training begonnen, damit ich fertig war, wenn um sechs Uhr die Kinder wach geworden sind. Trotz der vielen Arbeit, die das gemacht hat, blieb zum Schluss einfach zu wenig übrig, weil sich die Rahmenbedingungen geändert haben. Ich beobachte das auch bei anderen: Fast alle alten Hasen hören bundesweit auf. Es findet gerade ein großer Wechsel statt.

Der Mensch

Eva Obermeier, 59, ist Physiotherapeutin, Yogalehrerin und Autorin und war bis Mai 2024 Besitzerin des Yoga-Instituts Berlin. In dem von ihr entwickelten Yogastil OrthoYoga berücksichtigt sie Erkenntnisse aus der Physiotherapie, Physiologie und funktionellen Anatomie. Ihre Bücher „Biegsam stabil. Orthopädisches Yoga“ und „Geschmeidig weiter. Orthopädisches Yoga 50+“ sind im Orlanda Verlag erschienen.

Die MethodeOrthoYoga kombiniert einfache, klassische Yogapositionen mit Elementen aus der faszialen Ausrichtung. Zusätzlich verknüpft OrthoYoga das traditionelle Yoga mit den neuesten Erkenntnissen aus der orthopädischen Medizin und der Physiotherapie, um Rücken und Gelenke zu stärken.

Ein alter Hase sind Sie in der Tat. Als Sie 1991 angefangen haben, war Yoga noch ein Nischenphänomen. Wie sind Sie selbst damals dazu gekommen?

Das war nach der Geburt meines ersten Kindes. Ich hatte vorher als Physiotherapeutin in der Orthopädie gearbeitet und war früher Leistungssportlerin, Leichtathletin. Als mein Sohn ein Jahr alt war, musste ich etwas für mich tun. Viele Sportarten kamen mir zu schwierig und zeitintensiv vor. Ich habe nach etwas gesucht, das ich machen kann ohne großen Aufwand. Yoga kann man auch im Alter machen, man muss nicht groß etwas buchen. Also habe ich mich auf die Suche gemacht. 1991 gab es in ganz Berlin tatsächlich nur zwei Yogaschulen, und zu einer bin ich hingegangen. Nach der ersten Stunde war ich völlig überrascht, wie anstrengend und fordernd das war. Ich hatte schon ein bisschen das Beten, das Esoterische erwartet. Tatsächlich bin ich mit Muskelkater, aber dennoch entspannt nach Hause gegangen. Ich war begeistert. Meine erste Yogalehrerin hatte ihren indischen Yogalehrer nach Berlin eingeladen. Bei dem habe ich dann einen Workshop gemacht und danach gedacht: Das ist es! Sechs Wochen später war ich in Indien und habe angefangen, täglich Yoga-Unterricht bei ihm zu nehmen. Er fragte mich: Möchtest du Yogalehrerin werden? Ich hätte mir das gewünscht oder erträumt, aber damals kam mir das nicht realistisch vor. Ich fragte ihn also: Muss ich das jetzt wissen und entscheiden? Er sagt, ja, denn dann wäre sein Unterricht anders. Aus diesem einen Besuch wurden dann 14 Jahre, in denen ich diesen Lehrer regelmäßig besucht habe, mal mit Familie, mal ohne.

Man musste damals also nach Indien gehen, wenn man Yoga richtig lernen wollte?

Es gab in Berlin eigentlich noch gar keine richtigen Yogastudios und Yo­ga­leh­re­r:in­nen-Ausbildungen so wie heute. Meine erste Yogalehrerin hatte ­einfach einen Raum in Schöneberg gemietet, und der Raum sah genauso aus, wie meiner heute immer noch aussieht: nichts drin, außer ein paar Hilfsmitteln, Matten, Decken, Klötze. Das war’s. Wenn man Yoga lernen wollte, musste man im Grunde zu den Quellen, also nach Indien oder vielleicht noch in die USA, wo die Nachfolger von den großen Yogalehrern unterrichtet haben. Ich bin sehr, sehr froh und dankbar, dass ich an der Wurzel war und dass ich Yoga so gelernt habe, wie ich es gelernt habe. Alles, was ich jetzt in Deutschland über die Jahrzehnte verfolgt habe, finde ich verwässert.

Wann haben Sie Ihre eigene Schule gegründet?

1998. Vorher habe ich in irgendwelchen Ateliers oder Shiatsu-Schulen Unterricht gegeben.

Nicht in Sportstudios, die es damals ja auch schon gab?

Nein, die haben das damals noch gar nicht angeboten. Der große Umbruch und Trend kam erst ab 2000. Als die Krankenkassen das als Präventions­kurse angeboten haben, fing das immer mehr an. Damals war noch nicht bekannt, was Yoga eigentlich ist, wie Yoga hilft. Die meisten denken ja: Ich muss beweglich sein, um Yoga machen zu können. Aber in Indien machen nicht die beweglichen Menschen Yoga, ganz im Gegenteil. Mein Ansatz war immer, dass genau die Unbewegten und diejenigen, die Beschwerden haben, Yoga machen sollten. Daraus habe ich meine Methode des OrthoYoga entwickelt, in die natürlich auch die Erfahrungen, die ich als Sportlerin und Physiotherapeutin hatte, eingeflossen sind. Und das hat sich dann herumgesprochen. Als Werbung gab es damals ja nur die Kleinanzeigen in den Stadtmagazinen hier, Tip oder Zitty.

Bei Ihrer Methode spielen also die Spiritualität und die Selbsterfahrung, die viele mit Yoga verbinden, keine Rolle?

Doch, aber ich finde, die spirituellen Erfahrungen sind persönlich. Das gehört nicht in eine Gruppe, da muss jeder seinen eigenen Zugang finden. Ich hänge das nicht an die große Glocke. Aber für mich gehören Meditation und Atemübungen auch dazu. Den Weg zur Selbst­erkenntnis machen die Asanas natürlich leichter. Solche Körper­übungen können einfach ganz viel öffnen, Spannungen ­lösen sich. Dabei kommt viel hoch. Aber ich wollte das niemandem aufzwingen. Mein An­liegen und Ziel ist und war es, dass die ­Teil­­neh­me­r:in­nen sich nach der Yogastunde gut, längerfristig beweglicher und gesünder fühlen.

Es gibt in Ihrem Studio keine Buddha-Bilder, und es wird auch zum Schluss nicht „Om“ gemacht …Genau. Der Ursprung von Yoga hat damit auch gar nichts zu tun. Das steht in der Yoga-Sutra von ­Patanjali, den viele als „Vater des Yoga“ betrachten und der da ziemlich neutral ist: Yoga hat nichts mit Religion zu tun. Im Westen waren die Leute irgendwie auf der Suche nach etwas, und dafür sollte eine Wohlfühl-Atmosphäre geschaffen werden, und daher fließen diese asiatischen Elemente, die das unterstützen sollten, oft mit ein.

Eine Yogamatte auf dem Fensterbrett

Wesentliche Grundlage für Yoga: die Matte Foto: Sophie Kirchner

Worum geht es denn jetzt genau beim OrthoYoga? Wie erfindet man eine eigene Yoga­richtung?

Die meisten Menschen haben irgendwelche Zipperlein und sagen: „Ich kann das nicht machen oder ich kann diese Position nicht einnehmen.“ Ich arbeite funktionell anatomisch. Es geht bei mir nicht darum, die fortgeschrittenen Yoga­positionen zu erreichen. Man soll sich einfach beschwerdefrei bewegen können, und das auch im fortgeschrittenen Alter. OrthoYoga soll einen in die Lage versetzen, möglichst alle Bewegungen, die der Körper natürlicherweise beherrscht, wieder ausführen zu können und das Vertrauen mit dem nötigen Körpergefühl wieder zu erlernen und zu gewinnen.

Aber was bedeutet das für die konkrete Unterweisung? Gibt es für eine Sitzung eine bestimmte Choreografie, eine geplante Abfolge von Übungen?

Nein. Das hat mehr mit Erfahrung zu tun, mit dem geschulten Blick. Am Anfang habe ich mir immer einen Plan gemacht. Aber dann musste ich oft den Plan umwerfen, weil alles, was ich mir vorgenommen hatte, nicht möglich war. Viel wichtiger ist, dass ich mir die Leute ansehe, wenn sie reinkommen: Wie gehen die? Wie stehen die? Wie sieht dieses Gesicht aus? Manche erzählen mir gleich ganz viel. Ich frage auch immer: Gibt es etwas, worauf ich Rücksicht nehmen muss? Am Anfang der Stunde sitzen ja dann alle erst mal ein paar Minuten ganz still. Dann ist mir schon ziemlich viel klar, und ich weiß: Diese Person hat dieses Problem, die kann das, die ist ganz fortgeschritten. Und dann arbeite ich spontan aus meiner Erfahrung und Intuition heraus. Das ist schon harte Arbeit. Die Menschen denken, du machst dein Hobby zum Beruf, du übst bei jeder Yogastunde für dich selbst. Aber das stimmt nicht. Die Diskrepanz zwischen Yoga selber üben und Yoga unterrichten ist groß. Ich persönlich mache sehr selten etwas vor. Kann ich gar nicht, weil ich immer die Gruppe im Blick habe. Wenn ich mal was zeige, dann nur kurz. Bei mir kommt es nicht darauf an, wie stelle ich mich dar. Bei mir geht es darum, wie ich gesund werde und wie man das richtig macht.

Mussten Sie für diese physiotherapeutische Zielsetzung eigene Übungen entwickeln?

Nein, ich bin kein Erfinder. Es gibt über 2.100 Asanas­. Da muss ich nur in diesen großen Pool reingreifen und dann je nachdem anpassen. Beim abwärtsgerichteten Hund gibt es zum Beispiel so viele Varianten und so viele Schritte, um dort hinzukommen, und ebenso viele Ausführungsvariatio­nen. Dass ich dieser Methode den Namen OrthoYoga gegeben habe, kam eigentlich erst durch die Bücher, die ich veröffentlicht habe. Eine Schülerin hat in dem Verlag gearbeitet und gesagt, ich sollte das doch mal aufschreiben, was ich vermittle. Ich hatte nie daran gedacht, dass ich ein Buch schreiben könnte. Aber als ich dann angefangen habe, ging es ganz schnell, das stand alles schon in meinem Kopf. Der Verlag hat dann gesagt: Du musst dem Ganzen einen Namen ­geben. So bin ich auf OrthoYoga gekommen.

Seit Sie angefangen haben, hat sich die Yoga­szene sehr verändert. In Berlin scheint es heute in jedem Häuserblock ein Yogastudio zu geben. Die Kunden kommen nicht mehr wegen Anzeigen in den Stadtmagazinen, sondern werden von Fitness-Apps gelenkt. Was bedeutet das für Ihr Studio?

Diese Fitness-Apps bringen das Ganze zu Ende. Die ganzen Plattformen wie Urban Sport Club, Eversports, Wellpass, Classpass und wie sie alle heißen, nehmen uns kleinen Schulen den Boden. Ich kriege ständig irgendwelche E-Mails, wo mich so ein Unternehmen gewinnen will. Das ist schon sehr bitter, weil alles nur noch auf Masse ausgerichtet ist. Uns bleibt davon spektakulär wenig. Bei uns kostete eigentlich eine Stunde circa 17 Euro. Wenn ein Nutzer, egal welche Plattform er benutzt, die teuerste Mitgliedschaft hat, bekommen wir 7 Euro, wenn er die billigste hat, sogar nur 3 Euro.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Obwohl Ihr Studio dieselbe Leistung erbringt. Die Plattformen nutzen ihre Macht also aus und geben ihr unternehmerisches Risiko an die Anbieter weiter …

Es ist sogar bei manchen Plattformen üblich, dass wir für neue Mitglieder im ersten Monat überhaupt nichts bekommen, egal wie oft sie unsere Kurse besucht haben. Erst bei der Abrechnung am Ende des Monats sehen wir, woran wir waren. Die allermeisten User dieser Plattformen wissen über diese Situation für uns nicht Bescheid. Die Gastronomie hat ja in diesem Jahr geschimpft, weil sie wieder 19 Prozent Umsatzsteuer zahlen musste, wie vor Corona. Das müssen wir schon seit Ende 2022. Wir müssen unsere Krankenkassen zahlen. Wir sind Soloselbstständige. Wir werden teilweise verpflichtet, in die gesetzliche Rentenversicherung zu gehen oder mindestens einen Angestellten zu beschäftigen. Und durch diese Plattformen bleibt bei uns gar nichts mehr hängen. Die Mitglieder dieser Plattformen kann ich verstehen. Die können mit diesen Apps alles ausprobieren. Aber es verführt auch zu einer Konsumhaltung. Man geht hin, dann lässt man es wieder. Das führt nicht dazu, dass man Yoga besser lernt oder versteht. Wenn man bei einem Studio ein gutes Gefühl hat, sollte man sich auch ein bisschen drauf einlassen und nicht dauernd wechseln. Solange es diese Plattformen gibt, sieht es für uns schlecht aus.

Können die Plattformen auch deswegen ihre Bedingungen diktieren, weil es gerade in Berlin ein Überangebot an Yogastudios gibt, die sich alle gegenseitig Konkurrenz machen und dringend Kundschaft brauchen?

Ich weiß nicht, ob es zu viel ist. Aber die meisten machen immer das Gleiche. Dass sich jemand eine Nische sucht, ist selten. Ich bin irgendwann von Ärzten empfohlen worden, die ihre Pa­ti­en­t:in­nenen zu mir geschickt haben. Zum Teil sind die Ärzte auch selbst zu mir gekommen. Viele ­Kol­le­g:in­nen machen es auch aus Leidenschaft, also nicht hauptberuflich, sondern nur nebenberuflich.

Mein Eindruck ist, dass man sein Studio auch immer stärker inszenieren und gestalten muss, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Da muss die Innenarchitektur stimmen, man muss ein Environment bieten, das „instagramable“ ist: Pflanzen, freigelegte Wände, aufwendige Beleuchtung, Wandgemälde. Da entstehen richtige Yogapaläste.

Das stimmt. Bei mir war das nie so. Ich persönlich mache gar nichts auf Instagram. Das macht mich krank. Ich kündige meine Workshops an oder dass ich ein Retreat anbiete oder eine neue Lehrerin da ist. Aber jeden Tag etwas für diese ganzen Kanäle zu liefern in irgendwelchen Positionen, mit irgendwelcher Markenkleidung – nein! Darauf habe ich keine Lust. Woher soll ich auch die Zeit dafür nehmen?

Haben Sie nicht Angst, dass Ihre OrthoYoga-Methode in Vergessenheit gerät, jetzt, wo Sie keinen eigenen Ort mehr haben?

Es gibt inzwischen so viele Yogalehrer:innen, die irgendeine Ausbildung genossen haben, die aber nicht wissen, wie sie mit gesundheitlichen Problemen umgehen sollen. Das sind meist junge Yogalehrer:innen, die nicht in Indien waren, die nicht so lange unter Supervision standen und die kein medizinisches, physiotherapeutisches Hintergrundwissen besitzen. Für die will ich Fortbildungen anbieten. Ich habe mich jetzt so aufgestellt, dass ich genau das machen kann, was ich immer wollte: einfach nur Yoga unterrichten, nicht mehr das Geschäft. Ich werde als Gastdozentin unterwegs in ganz Deutschland und im Ausland sein. Yoga bleibt meine Leidenschaft. Deswegen mache ich auch weiter.

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