Prokofjew-Oper in Bremen: Zitrussex für Demokraten

Oper kann lustig sein, schön und frei von jedem Zug ins Totalitäre: Sehr vergnüglich erinnert daran „Die Liebe zu den drei Orangen“ in Bremen.

Eine Frau in orangem Kostüm liegt vorne am Bühnenrand, etwas weiter im Hintergrund liegt der ratlose Prinz

Gottlob! Dank den Störenfrieden und einem Eimer Wasser wird die letzte der Orangen gerettet Foto: Jörg Landsberg/Theater Bremen

Hochdramatisch schmettert der endlich zu Heldenmut und Liebesglut erwachte Prinz von den oberen Rängen des Bremer Theaters ins Publikum hinab: „Ich fürchte nicht den Löffel!“ Den Löffel? Oh ja, den Löffel, denn der ist die furchteinflößende tödliche Waffe in „Die Liebe zu den drei Orangen“.

Der vom königlichen Vater gebuchte Clown Truffaldino hat nur Scheißwitze mit Luftballons auf Lager

Und diese Verspottung des traditionellen Opernpathos mit seinen eigenen Mitteln ist einfach immer noch zum Piepen komisch. Dabei kann die parodistische Energie an dieser Stelle ja nicht mehr überraschen.

Schon allein, weil unmittelbar zuvor Tenor Ian Spinetti in der Rolle des namenlosen ­Königssohns mit herrlichstem lyrischem Schmelz und im Fortissimo vom Balkon aus seine passionierte, erotische Bindung an Zitrusfrüchte geschmettert hat: „Ich lieeebe“, so singt er auf Deutsch und exzellent verständlich „drei Orangen.“

Nach dieser ungewöhnlichen Leidenschaft heißt die 1921 in Chicago uraufgeführte Oper ja auch. Bloß: Stünde da statt der Apfelsinen ein Name, so könnte dieser glanzvoll eine Oktav durchschreitende Melodiebogen auch ganz ernst gemeint in einer der schwülstigen Pietro-Mascagni- oder Umberto-Giordano-Opern stehen, die damals schwer in Mode waren.

Modern – und doch nicht schwierig

Allerdings, da steht nun mal Apfelsinen. Und Sergej Prokofjew, der 1919 die Musik schrieb und auch den Text nach einem Entwurf Wsewolod Meyerholds verfasst hat, war eben kein Faschist gewesen, ja überhaupt nicht totalitär.

Ihm ging es nicht darum, das Publikum angenehm in sämig-reaktionären Klangsuppen zu ersäufen. Stattdessen hat er trillernd-witzige und bösartig-dissonante Akzente gegen die betäubend-schwitzige Gefühligkeit gesetzt, die Musik gerade in der Oper befördern und entfalten kann. „He makes opera safe for democracy“ hatte die zeitgenössische amerikanische Fachpresse die politische Dimension seines Stils bemerkt, also im Grunde: Er macht diese Kunstform demokratietauglich.

Dazu gehört eben auch, dass dem Ukrainer jeder Zug ins Elitäre fern lag, obwohl er kompromisslos modern komponiert und sich aus dem Tonarten- und Geschlechterkorsett befreit hat: „Es gibt nichts Schwieriges an dieser Musik“, so der Uraufführungskritiker Ben Hecht.

Gerade für das ungeübte Ohr habe der Orchesterklang „eine charmante Launenhaftigkeit“, drehe Pirouetten, rodele, spinne: „Es klingt wie das Bild eines verrückten Weihnachtsbaums, das ein glückliches Kind gemalt hat.“

Das gilt natürlich besonders für den schrägen As-Dur-Marsch. Den erkennen Sie, weil John Williams ihn unter Beseitigung seiner wehrkraftzerstetzenden Sprünge und pazifistischen Hüpfer für die „Krieg der Sterne“-Filmmusik geklaut, mit Blech vollgepumpt und plattgedrückt hat. Aber eigentlich trifft es auf alle Elemente dieser Oper zu.

Oper „Die Liebe zu den drei Orangen“, Theater Bremen, wieder am 12., 20. und 22.6., jeweils 19.30 Uhr.

Und sowohl die Inszenierung von Frank Hilbrich, als auch Sebastian Hannaks von leuchtend farbigen Quadermodulen geprägte Bühne und das beschwingte Spiel der von ­Sasha Yankevych angeleiteten Philharmoniker vermögen in Bremen den nervösen Humor und das sportive Tempo der Vorlage wunderbar in den Theaterraum zu übertragen. Das macht Freude und ist ein schöner Abschluss der Opernsaison.

Dabei verdrängt er bei aller Albernheit nicht den blutigen Ernst des Werks. Der brodelt in seinem Hintergrund so, wie in jener Küche, in der Hidenori Inoue als anthropophage, aber leicht ablenkbare Köchin mit Mordslöffel und bedrohlich-tiefem Bass regiert. Und eben auch die Pomeranzen hütet.

Erzählt wird das verwicklungsreiche von Carlo Gozzi im 18. Jahrhundert ersonnene Märchen von einem an Melancholie erkrankten Prinzen. Der vom besorgten Vater (ebenfalls Inoue) engagierte Clown Truffaldino (Fabian Düberg), hat jedenfalls nur Scheißwitze mit Luftballons auf Lager, was die Stimmung nur noch trüber werden lässt.

Rettung durch Schadenfreude

Vom Unvermögen, zu lachen, heilt den Prinzen aber, völlig entgegen ihrer Absicht, die von Nadine Lehner böse gut gesungene fiese Fee Fata Morgana, versehentlich, indem sie sich gemein das Bein stößt: „Hahaha-haa!“, bricht's schadenfroh aus Ian Spinetti aus, „Hahaha-haa“, zitiert Prokofjew hier Ludwig van Beethovens Fünfte.

Fata Morgana tut das in der Seele leid. Sie versucht sich zu rächen, indem sie dem Prinzen die ja echt etwas abartig anmutende Orangenliebe anhext. Doch auch, wenn von den dreien zwei, kaum sind sie geschält, verdursten, wird auch diese ungewöhnliche Objektwahl ihm letztlich den Weg zu sexueller Erfüllung und Regierungsfähigkeit ebnen.

Umrahmt und in entscheidenden Momenten gestört wird das vom – bereits durch Meyerhold ins Drama hineingetragen – lächerlichen Streit um die richtige Bühnenkunst. Den hat der zunächst im Publikum platzierte Chor über die Sitzreihen hinweg und quer durch den Saal, später dann auch auf der Bühne auszutragen, mit erhobenen Fäusten und sinnfreien Transpis.

Nein, an die blutigen Kämpfe um den Prokofjew-Flughafen­ wird man hier nicht denken müssen. Eher mögen diese Szenen an gegenwärtige Kulturkämpfe erinnern – was die wahre Flut an Orangen-Inszenierungen erklären könnte: Zwischen Flensburg und Fürth ist die Bremer Produktion eine von acht in der laufenden Spielzeit.

Gerade indem Hilbrich sie so direkt in den Saal montiert und dem Publikum auf den Pelz rücken lässt, macht er den Widerschein der historischen Auseinandersetzungen kenntlich, in denen postrevolutionär um ein dem Sozialismus angemessenes Theater gerungen wurde. Oh, und noch so voller Hoffnung, als Prokofjew „Die Liebe zu den drei Orangen“ schrieb.

Meyerhold ist dann, als Protagonist dieses Streits, erschossen, Prokofjew als Volksfeind geächtet worden. Das gute Ende bleibt nun mal das alleinige Vorrecht des ­Märchens.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.