das wird
: Gut ausgeschlafen klänge sie anders

Besucherin mit bewegter Biografie: Die japanische Avantgarde-Musikerin Phew ist zu Gast in Bremen

Von Stephanie Grimm

Ihre musikalische Initialzündung erlebte Hiromi Moritani, besser bekannt als Phew, vor dem Fernseher: als sie dort 1976 einen Auftritt der Sex Pistols sah. Die seinerzeit 16-Jährige überzeugte ihre Eltern, dass sie dringend Englisch lernen und für einen Kurs auf die Insel müsse – wo sie dann jedes Wochenende nach London fuhr. Zurück im japanischen Osaka gründete sie die Band Aunt Sally.

Nachdem die sich 1980 aufgelöst hatte, trat Ryūichi Sakamoto, an sie heran. Der 2023 verstorbene Ambient-Musiker, damals Keyboarder des Elektropop-Trios Yellow Magic Orchestra, bot an, ihre erste Single zu produzieren. Die wiederum führte dazu, dass Phew für ihr Debütalbum von ihrem Label in Conny Planks Studio bei Köln geschickt wurde. Dort entstand – mit Krautrock-Ideengeber Plank und Mitgliedern der Band Can – das Album „Phew“ (1981).

Ihr eigener Stil kristallisierte sich nicht zuletzt durch die Zusammenarbeit mit anderen Künstlern heraus. Hierzulande eher unbekannt sind ihre mannigfaltigen Kooperationen mit japanischen Bands, 1994 etwa gründete sie mit Improvisationsmusikern die Supergroup Novo Tono. Auch international tauschte sie sich aus: Mit dem grooveaffinen Produzenten Bill Laswell arbeitete sie ebenso wie mit Jim O’Rourke, der in Chicago als Teil der Postrock-Avantgarde zu Ruhm kam und mittlerweile selbst in Tokio lebt. Unlängst nahm Phew ein Album mit der Berlinerin Danielle de Picciotto auf, das aber noch seiner Veröffentlichung harrt. 1992 kehrte sie noch einmal in Planks Studio zurück, dieses Mal auf Initiative von Chrislo Haas, Gründungsmitglied der Band D.A.F und eine Hälfte des Duos Liaisons Dangereuses.

Dort entstand das Album „Our Likeness“, 2023 wiederveröffentlicht, in dem schon vieles steckt, was ihre Veröffentlichungen bis heute prägt: verschleppte Rhythmen, eigenwillige Klangtexturen und zerhackte Flächen, ein unruhiger, dabei soghafter Fluss. Dazu ihr expressiver, live improvisierter Gesang auf Japanisch.

Konzert Phew: heute, 20 Uhr, Bremen, Gesellschaft für aktuelle Kunst; ab 19 Uhr: Klang-Bild-Installation „Scatter, no turn“ von Nika Son

Das hat durchaus eine somnambule Anmutung – was dazu passt, dass sie nun im Rahmen einer Ausstellung über Schlaflosigkeit auftritt: Die audiovisuelle Komposition „Scatter, no turn“ der Hamburger Künstlerin und Musikerin Nika Son handelt vom Schlaf beziehungsweise seiner Abwesenheit; von der Sehnsucht, Ruhe zu finden – und der Frage, was mit unseren Wahrnehmungen passiert, wenn wir festhängen zwischen Schlaf und Wachen. Phew erklärt dazu im Interview: „Ich bin eher ein schläfriger Mensch und oft müde. An meiner Musik arbeite ich vormittags oder am frühen Nachmittag, nicht nachts. Wenn ich gut schlafen würde und erfrischt aufwachte, würde ich vermutlich ganz anders klingen“.

Im vergangenen Jahrzehnt hat Phew die Vorzüge des Homerecordings für sich entdeckt, was ihren bemerkenswerten Output noch weiter steigerte. Zuletzt erschien ihr Soloalbum „New Decade“ (2021). Der Titel ist insofern Programm, als sich die umtriebige Mittsechzigerin dafür interessiert, was die Zukunft bringt – nostalgische Rückschau ist nicht ihr Ding, trotz aller bewegten Biografie. Statt sich vom avantgarde-affinen Hochkulturbetrieb herumreichen zu lassen, tritt sie am liebsten auf kleinen DIY-Festivals der Tokioter Indie- und Punkszene auf. In Bremen wird sie heute vorab eingespieltes wie auch improvisiertes Material präsentieren.